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Claudio Monteverdi und die Folgen. Bericht über das Internationale Symposium Detmold 1993. Herausgegeben von Silke Leopold und Joachim Steinheuer. Bärenreiter-Verlag Kassel u.a., 1998, 497 Seiten, 68 Mark
Fünf Jahre sind vergangen, seit man Monteverdis 350. Todestag beging – und seit in Detmold das Symposium „Monteverdi und die Folgen“ stattfand. Doch das Warten hat gelohnt: Mit dem Kongreßbericht, herausgegeben von Silke Leopod und Joachim Steinheuer, ist ein umfangreicher Band erschienen, dessen 23 Beiträge häufig den neusten Stand der Monteverdi-Forschung präsentieren. Verschlungene Wege Die thematische Aufteilung in „Quellen der Monteverdi-Rezeption in Europa“ und „Monteverdi und seine Zeitgenossen“ spiegelt das Anliegen des Symposiums: den oftmals verschlungenen Wegen nachzuspüren, auf denen Monteverdis Werke in die Länder nördlich der Alpen gelangten, und so auf seinen musikalischen Einfluß und seine Bedeutung für die Musikentwicklung im 17. Jahrhundert zu schließen. Denn obwohl der Komponist – so die Herausgeber in ihrem Vorwort – aus musikalischen, aber auch aus kulturgeschichtlichen Gründen im 17. Jahrhundert relativ schnell in Vergessenheit geriet, war seine Musik im Norden keineswegs unbekannt. So bieten die einleitenden Aufsätze von Jerome Roche, Franco Piperno und Peter Wollny einen hervorragenden Überblick über die Verbreitung italienischer Musik in Deutschland und den Niederlanden, wobei die Auswahl der Verleger und die Techniken der Kontrafaktur auf den musikalischen Geschmack des häufig bürgerlichen Publikums schließen lassen. Auf die Kontrafaktur von Monteverdis weltlicher Musik gehen Sabine Ehrmann-Herfort und Kristin Sponheim im Detail ein und erläutern dabei einerseits das geistliche, gegenreformatorisch geprägte Klima in Italien, andererseits das Bemühen nördlicher Musiker, mit Kontrafakturen von Monteverdis Werken die Verbreitung moderner italienischer Musik in ihrer Heimat zu fördern. Den umgekehrten Weg beschreitet Lorenz Welker mit einer faszinierenden Studie zur möglichen Entstehung von Kompositionen Johann Rosenmüllers, die ursprünglich in Venedig komponiert wurden, jedoch erst später in Deutschland erschienen. Die genaue Kenntnis liturgischer und devotionaler Texte des 17. Jahrhunderts sowie des musikalischen Kontexts ermöglichen Welker, auf die möglichen Originalfassungen beziehungsweise Modelle dieser für den deutschen Markt aufbereiteten Kompositionen zu schließen. Eine Reihe von Beiträgen ist den verschiedenen Ländern nördlich der Alpen und ihrer musikalischen Infrastruktur gewidmet. Herbert Seifert zeigt die zahlreichen Berührungspunkte zwischen den Arbeitsstätten Monteverdis – Mantua und Venedig – auf, die sich nicht nur auf Reisen der Fürsten und ihres Gefolges, auf Musikeraustausch und Musikdrucke beschränkt, sondern auch durch zahlreiche Familienbande gefördert wurde. Einblicke in die wenig bekannte, aber dennoch sehr reiche Musikausübung in Polen und in den Niederlanden gewähren Anna Szweykowska und Jan Nuchelmans: auf der einen Seite hierarchische Hofstrukturen mit ihrem Bedarf an prachtvoller, repräsentativer Musik, auf der anderen Seite eine bürgerlich-calvinistische Gesellschaft, deren Musikleben sich vorwiegend in nichtprofessionellen Zirkeln abspielte. Rare Quellen Mit seiner chronologischen Auflistung rarer Quellen, die von der niederländischen Monteverdi-Rezeption zeugen, bietet Nuchelmans einen motivierenden Ansatzpunkt zu einer weiteren Erforschung des möglichen musikalischen Einflusses, den Monteverdis Musik auf niederländische Komponisten ausübte. Zu einer negativen Bilanz kommen hingegen Jonathan Wainwright und Jean Lionnet: Weder in England noch in Frankreich läßt sich im 17. Jahrhundert eine nennenswerte Präsenz von Monteverdis Musik ausmachen. Während Wainwrights Anhang mit handschriftlichen Quellen doch immerhin die Aufführung von Monteverdis Madrigalen in englischen Musikerkreisen belegt, scheint Monteverdi im Frankreich des 17. Jahrhunderts quasi unbekannt. Fast eine Sektion für sich bilden die Aufsätze von Sibylle Dahms, Monika Woitas, Joachim Steinheuer und Norbert Dubowy zur dramatischen Musik von Monteverdi. Mit ihrem Abriß über den geistig-kulturellen Hintergrund des höfischen Tanzes und seiner Stellung um 1600 bietet Dahms gleichsam die Folie für Monika Woitas‘ Einordnung des „Combattimento di Tancredi e Clorinda“ in den heute kaum präsenten Kontext der Torneo-Tänze im frühen 17. Jahrhundert. Im Vergleich mit dem erhaltenen Repertoire aus Tanz-Traktaten dieser Zeit wird einerseits die theatralische Tradition deutlich, in der Monteverdis „Combattimento“ steht, andererseits aber auch die entscheidende, musikdramatische Neuerung des Komponisten, der den Inhalt über die herkömmlich Form stellt und so eine exemplarische „Verbindung von Text, Musik und szenischer Aktion nach dem Modell mimetischer Tanzformen“ schafft (S. 187). Eigenständige Gattungen Doch auch als musikdramatische Umsetzung eines epischen Textes erscheint der „Combattimento“ nach Steinheuer als ideale Lösung und gleichzeitig als neue, „eigenständige Gattung epischen Musiktheaters“ (S. 208f) – bemerkenswert ist hier die abschließend gezogene Parallele zur zeitgleich verlaufenden Entwicklung eines epischen Musiktheaters in Japan, die dennoch mit Monteverdis Experiment kaum im Zusammenhang stehen kann. Dubowys Abriß über die „Ulisse“-Opern des 17. Jahrhunderts stellt die Problematik des epischen Stoffes und Monteverdis Lösung dar, die durch eine intensivere Dramatik gekennzeichnet ist; gleichzeitig erfüllt die Darstellung der Quellen sowie der vermutlichen Entstehung und Bearbeitung des „Ritorno di Ulisse in patria“ ein bislang offen gebliebenes Desiderat in der Monteverdi-Forschung. Den stilistischen Einflüssen Monteverdis auf andere Komponisten widmen sich die Beiträge von John Whenham (eine Darstellung der Werke von dem heute fast unbekannten Venezianer Pesenti, wobei die Analyse besonders akustische Qualitäten berücksichtigt, die den blinden Komponisten beeinflußt haben mögen), Maria Antonella Balsano (eine vergleichende Analyse von Vertonungen identischer Texte durch Schütz, Sigismondo d’India und Monteverdi), Zygmunt Szweykowski (rezitativische Werke von Hieronymus Kapsberger), Gunther Morche (ein Vergleich von „Salve Regina“-Vertonungen mit der Hypothese einer „korrigierenden“ Parodie einer Vertonung Monteverdis durch den späteren Markuskapellmeister Natale Monferrato) und Konrad Küster (eine Differenzierung von Schütz‘ Verständnis des „redenden Stils“ mit einer guten Darstellung der Probleme einer unmittelbaren Monteverdi-Rezeption in Deutschland). Bemerkenswert ist Margaret Mabbetts Darstellung der musikalischen Vorlieben am Habsburger Kaiserhof in Wien, die möglicherweise die Kompositionen in Monteverdis achtem Madrigalbuch in der Wahl der Instrumente, in der ausgedehnten, wohlstrukturierten Anlage und den virtuosen Passagen für einen Solo-Baß entscheidend beeinflußt haben – musikalische Einflüsse sind also keineswegs einseitig von Italien nach Norden zu suchen. Daß schließlich auch die Musiktheorie im Norden nicht unberührt von der Musik Monteverdis blieb, zeigen die Beiträge von Claudia Theis und Andreas Waczkat, wobei die Vermittlung einerseits über als beispielhaft angeführte Werke, andererseits über die Stillehre Marco Scacchis und Christoph Bernhards verlaufen sein könnte. Allein die Vielfalt der Themen und der Forschungswege, die sie in die unterschiedlichsten musikalischen, aber auch geographischen Bereiche des 17. Jahrhunderts eröffnen, empfiehlt diesen Band als umfassende Dokumentation zur Monteverdi-Forschung. Etwas befremdlich wirkt an mancher Stelle das Ignorieren der neueren Literatur, wie die – inzwischen abgeschlossene – Diskussion um den Behelfsbegriff einer „Terza pratica“, oder aber das bloße Zusammenfassen schon vorhandener Forschungsergebnisse, ohne daraus weitere Anstöße abzuleiten. Auch die gelegentlichen Apotheosen, die Monteverdis Kompositionen als Zielpunkt jeder Diskussion erscheinen lassen, scheinen nicht immer ganz angemessen – ebensowenig aber die emphatische Abwertung eines „veralteten“ Kompositionsstils, die im Hinblick auf die rasante musikalische Entwicklung im 17. Jahrhundert zu kurz greift. Dies sind jedoch nur kleine Mängel, die in der dargebotenen Fülle wertvollen Forschungsmaterials kaum ins Gewicht fallen. Als ebenbürtiger Nachfolger der Monteverdi-Bände „Claudio Monteverdi e il suo tempo“ (1969) und der „Hammerstein-Festschrift“ (1986) gehört dieser Kongreßbericht ins Regal jeder Musikbibliothek.