Anja Bossen: Das BeLesen-Training – ein Förderkonzept zur rhythmisch-musikalischen Unterstützung des Schriftspracherwerbs in multilingualen Lerngruppen, Die Blaue Eule, Essen 2010, Theorieband: 206 S., € 24,00, ISBN 978-3-89924-294-2; Materialband: 134 S., Abb., CD, € 21,00, ISBN 978-3-89924-296-6
Zahlreiche Studien beklagen ein altes Problem: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund offenbaren oft erhebliche sprachliche Defizite, die vielfältige Nachteile mit sich ziehen. Unterschiedliche, zum Großteil staatlich geförderte Maßnahmen bringen nur Teilerfolge. Hier setzt Anja Bossen an. Sie entwickelt ein differenziertes synergetisches Konzept, in dem sie sprachliche und musikalische Grundstrukturen vereint. Es geht um „die Entwicklung und die praktische Erprobung eines rhythmisch-musikalisch konzipierten Fördermaterials (‚BeLesen-Training’) zur Förderung der phonologischen Bewusstheit, des Hörverständnisses und der Lesefertigkeit.“ (S. 147)
Im Mittelpunkt stehen mannigfaltige musikalisch rhythmisierte und metrisierte Texte. Die Spannweite reicht von einfach bis mittelschwer, von grundschlägig bis synkopisch. In der Musik kann Sprache helfen, Rhythmen besser zu erfassen und instrumental umzusetzen. Umgekehrt vermag eine geeignete Rhythmisierung „Sprachstrukturen hervor[zu]heben und sprachliche Inhalte [zu] verstärken“. (S. 11)
Wenn auch weniger gewichtet, so bleiben dennoch andere Sprach-Musik-Parameter wie Tempo, Melodie, Klangfarbe, Dynamik und Artikulation keinesfalls außen vor.
Das umfangreiche und vielschichtige Trainingsprogramm enthält kommentierte Lieder, Geschichten, Gedichte, Lückenteste, rhythmisierte Sprachspiele, phonetische Aufgaben und anderes. Alphabetisch nach Klanglauten (Vokale, Diphtonge und Konsonanten) sortiert, fasst die Autorin die praktischen Aufgaben beziehungsweise Übungen in einem separierten Materialband zusammen. Überhaupt ist es eine gute Idee, den großformatigen, kopierfähigen und praxisorientierten Materialband vom kleinformatigen Theorieband zu trennen.
Überall arbeitet Anja Bossen wissenschaftlich stringent und umfassend, dabei gut geerdet und nachvollziehbar. So zieht sie selbst ein kritisches und (er)nüchterndes Resümee – ohne „unpassende“ Statistiken gerade zu biegen. Ungeachtet beachtenswerter Erfolge ihres „BeLese-Trainings“ sieht sie ihre Zielsetzungen nämlich nur bedingt erfüllt. Vor allem bleibt die sprachliche Schere zwischen deutschen und migrierten Schüler/-innen weiterhin bestehen. Die Autorin vermutet mehrere Gründe – unter anderem eine unzureichende musikalische Kompetenz der beteiligten Lehrkräfte.
Fazit. Ein sehr interessantes und hochaktuelles zweibändiges Konzept, das weiterentwickelt werden sollte. Eine wohltuend saubere wissenschaftliche Auseinandersetzung – insbesondere vor dem ständig präsenten Hintergrund von Plagiat, Korruption und Karrieredenken.