Die Musikszenen der ehemaligen Ostblockländer sind auch 15 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs weiterhin terra incognita. Mit der CD-Reihe „Zeitgenossen“ will die Bremer Edition Hastedt – in Co-Produktion mit der WDR-Reihe „Musik der Zeit“ – dem abhelfen und legt dabei ihren Schwerpunkt auf die kulturellen Leistungen der Ex-DDR. Hanns Eisler, Friedrich Goldmann, Kurt Schwaen oder Gerhard Rosenfeld sind hier mit wichtigen Werken (neu) zu entdecken; die (Wieder-)Begegnung mit Herbert Kegel, Annerose Schmidt, Gerald Fauth wirft Schlaglichter auf eine verloren gegangene Reichhaltigkeit der Interpretation.
Der rumänische Komponist Pascal Bentoiu geriet wohl eher durch Zufall in dieses Verlagsprogramm, befördert durch seinen kongenialen Fürsprecher, den Dirigenten Horia Andreescu, heute Chef der beiden Radioorchester Bukarest, doch viele Jahre auch Gastdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und der Dresdner Philharmonie. Ein Glücksfall, denn Andreescu vermag die von einer von Bartók geschärften Neoklassizität zu dodekaphonischen Ufern aufbrechende Musik Bentoius äußerst farbig, lebendig und differenziert darzustellen, überzeugend vor allem in ihren dramaturgischen Abläufen. Der Nordwestdeutschen Philharmonie vermittelt er das entsprechende sinnliche Klangfeuer und das richtige Feeling für die vertrackten, dennoch leicht und fließend zu nehmenden Rhythmen der Orchesterwerke.
Der 1927 geborene Komponist wandelt darin – wie könnte es anders sein – auf den Spuren des großen Vorgängers und Landsmannes George Enescu, dessen 4. und 5. Sinfonie er Mitte der 90er-Jahre vollendete. Bentoiu nahm von 1945 bis 1948 privaten Kompositionsunterricht bei Michail Jora und studierte gleichzeitig Jura an der Universität. In den 50er-Jahren arbeitete er zudem am Bukarester Institut für Folklore und trat unter anderem mit musikwissenschaftlichen Untersuchungen zur asymmetrischen Rhythmik der rumänischen Tanzmusik hervor. Ein „Volkskünstler“ war er deshalb noch lange nicht. Zwar erhielt er mehrere hohe Staatspreise, doch brachte ihm sein Beharren auf professionelle Qualität, seine Verweigerung des ideologisch Verwertbaren eher Behinderungen seines Schaffens ein. Nach dem Umsturz 1989 wurde Bentoiu zum Präsidenten des Komponistenverbandes gewählt, dessen Struktur er grundlegend reformierte.
Können die drei hier vorgestellten, um 1960 entstandenen Werke den Anspruch der Reihe erfüllen, als Musik des 20. Jahrhunderts „im beginnenden 21. Jahrhundert ihren Rang“ zu haben? Gewiss sind sie wie so vieles andere, was heute neu entdeckt wird, „aus der Zeit gefallen“. Weder entsprechen sie der damals gängigen West-Avantgarde, noch zeigen sie eine Experimentierlust, die andere Künstler schon längst über die Grenze getrieben hatte. Innerhalb ihrer gemäßigten, folkloristisch verwurzelten Modernität, mit einem persönlichen Amalgam von „Fundstücken“ liegen sie aber durchaus im heutigen Trend. Musikgeschichtlich informativ und reizvolle Repertoire-Auffrischung sind sie allemal. Das Konzert für Violine und Orchester op. 9 von 1958 ist ganz und gar von lyrischer Melodik durchdrungen, zieht in den Sog einer eindringlichen, weit gespannten Linienführung. Der dicht gefügte Satz lässt an einen Ausspruch Enescus denken, wonach eine Melodie nicht der Ausgangspunkt, sondern Ergebnis eines gedanklichen Prozesses sei, durch den bereits im Thema alles Künftige enthalten sei. Zwölftönigkeit ist für Bentoiu aber nur eine selten und sehr diskret angewandte Möglichkeit unter vielen anderen.
Seine spezifische Eigenart zeigt sich dagegen in den ostinaten, komplex geschichteten und ungleichmäßig akzentuierten Rhythmen des Scherzos, einem rasanten Presto-Satz. Wenn die Solostimme ganz frei, wie ungerührt, darüber schwebt, wirkt das manchmal wie improvisiert – eine merkwürdige Jazz-Affinität kann so entstehen.
Wie selbstverständlich betont auch das Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester (1960) das perkussive Element des Soloinstruments, nie jedoch so konsequent, scharfkantig, streng reduziert wie beim Vorbild Bartók. In die herben Sekundketten mischen sich alsbald chromatische Terztonleitern Liszt’scher Prägung, ein geschmeidiger, glitzernder Klaviersatz zeigt starken französischen Einfluss à la Ravel. Dieses Werk ist vielleicht am ehesten eklektisch zu nennen, leichtgewichtig und äußerst effektvoll – was jedoch niemals billige Anbiederung bedeutet, da sei die grundsolide und komplex-ideenreiche Kompositionstechnik vor.
Die Sonate op. 14 für Violine und Klavier (1962) bündelt alle diese Elemente – auch hier die Ravel’schen Sekunden, Bartóks splitterige Nachtmusiken, weitgeschwungene Lyrismen und zerklüftete Repetitionsrhythmen. Fast rührend, wie hier manchmal alte Bekannte im neuen Gewand auftauchen – bestimmte Doppelgriff-Folgen etwa erinnern einfach daran, dass Bach im Grunde schon alles komponiert hat. Das hat nichts mit postmoderner Beliebigkeit zu tun, sondern erhält in schlüssiger Dramaturgie seinen sinnvollen, strukturierenden Platz. Die Geigerin Jenny Abel und der Pianist Mihai Ungureanu, die wie zuvor als Solisten der Konzerte durch viel Klangsinn und intelligente Gestaltung überzeugen, finden im reduzierten, manchmal kargen Klang zu noch intensiverer Spannung zusammen. Zum Schluss tupft der Pianist weitverstreute Töne in den Raum, bevor dumpfe Repetitionen wie Morsezeichen ersterben. Das klang doch fast wie…? Aber den Gefallen tut uns Bentoiu nicht. Es waren nur elf Töne.
Zeitgenossen. Musik der Zeit 25
Hastedt-Verlag und Musikedition,
Bremen
LC 10973, HT5325