Das wohl langweiligste Jahr der Popgeschichte geht rapide zu Ende. Bleibendes und noch einmal zu Erwähnendes drängt sich nicht auf. Gut, Bohlen darf wieder im Casting-Sandkasten spielen, Madonna sieht um Jahre älter aus und Robbie Williams weiß immer noch nicht, ob er nun Manderl oder Weiberl ist – respektive bevorzugt. Stürzen wir uns auf den Rest des Jahres und einige letzte versöhnliche Töne.
Zwar schon Anfang November erschienen, dennoch mehr als erwähnenswert ist die jüngste Veröffentlichung der norwegischen Pop-Titanen a-ha. „Analogue“ entstaubt relativ respektlos sämtliche dem Kommerz zum Fraß vorgeworfenen Alben im Stil eines Robbie Williams oder einer Madonna. Diese drei Norweger gehen gnadenlos mit Popmusik um, entrümpeln den Pathos, begreifen Pop als Songwriting und reduzieren humorlos aber expressiv und teils irrational jeden Song auf das Essentielle. Winter-Melancholie ist bei a-ha keine hohle Phrase, sie nimmt konkrete Züge an, Musik als Leben zu stilisieren. Ganz vorzüglich sogar. Hemdsärmelig kommt zu Weihnachten gar nicht an, deswegen liegt man mit der Kompilation „Best Acoustic Album… Ever“ nicht so falsch. Alle Größen, die je Strom- mit elektrifizierten Gitarren tauschten, stimmen in anheimeliges und behagliches Akustikrauschen ein. Eine stille Nacht und eventuell zärtliche Nächte kann es auf dieser Doppel-CD unter anderem mit R.E.M, Oasis, Blur, Depeche Mode, The Verve, Joss Stone oder Radiohead geben.
Völlig aus unseren vorgestanzten Schemen entreißt uns arme Püppchen der türkische Wunderpianist Aydin Esen mit seinem Album „Dialogo“, den er eindeutig nicht mit den Hörern führt, denn er ist perfekt, aber ein kauziger Zausel. Er hebt die Käseglocke, nimmt sein Talent und vermengt das mit Klassik, Jazz, Elektronik. Von Songs oder Kompositionen scheint er weit entfernt. Er bietet Collagen an, Versatzstücke, Fragmente. Oft einzigartig schön, dann abgrundtief unverständlich. Und stets unberechenbar. Nennen wir ihn ruhig den „Harry Potter der Pianisten“ und grienen über derart freche Musikvorschläge. Wahre Reduktion und Fokussierung auf den Jazzpunkt bietet nicht zum ersten Mal aber wiederum charmant „leiwand“ der Österreicher Parov Stelar mit „Seven And Storm“. Es gibt eigentlich nur ihn, der um Samples alter Jazzplatten charmante Tracks – wie der Neudeutsche so sagt – bastelt. Lediglich aber intensiv unterstützt von Gesang oder Schlagzeugspuren (auch Beats genannt), die fast verstohlen im Hintergrund laufen, so dass man schlicht in „Seven And Storm“ versinkt wie im heimischen Kuschelkissen. Scheinbar ist der „Prinz der Dunkelheit“ der Einzige, bei dem es richtig läuft. Von MTV reanimiert wirft Ozzy Osbourne eine Veröffentlichung nach der anderen auf den Markt, „Under Cover“ lautet die aktuelle. Vierzehn bislang nicht bekannte Coverversionen hat Osbourne eingesungen, darunter den John Lennon-Evergreen „Woman“, Creams „Sunshine Of Your Love“ oder „All The Young Dudes“ von „Mott the Hoopl“. Man muss überraschenderweise gestehen, dass Osbourne das nicht schlecht macht und sofort fragen: „Warum nicht schon früher?“ Der Boss – also Bruce Springsteen – feiert den 30. Jahrestag der Veröffentlichung seines Stigmata-Albums „Born to Run“. Der Konsument darf teilhaben und das relativ opulent mit dem Box-Set „Born to Run“. Zu ergattern sind ein digital überarbeitetes „Born To Run“-Album, eine DVD mit dem „Making of“ des Albums sowie drei unveröffentlichten Songs in Live-Versionen. Eine weitere DVD glänzt mit dem Konzert „Bruce Springsteen and the E- Street Band – Hammersmith Odeon, London 1975“, das zugleich der erste komplette Konzertfilm von Bruce Springsteen ist. Ruhig zuschlagen, ist für die Ewigkeit.
Mit dem vierten schmackhaften Teil macht sich die bemerkenswerte Deluxe Edition zum vierten Mal an den Fan und Vergötterer ran. Das unerreichte Konzept in Kurzform: „Ursprünglich als Einzel-CDs veröffentlichte Meilensteine der Musikgeschichte sind wieder mit Bonusmaterial, Konzertmitschnitten, Studio Outtakes, Übungsraumversionen und Remixen als Zwei-CD-Digipack neu erhältlich. Diesmal freut man sich über Elton John (Captain Fantastic), Tears For Fears (Songs From the Big Chair) oder Joe Cocker, Sonic Youth und Paul Weller (Stanley Road). Einfach „superb“ und lecker. Dass Dynamik einen Namen hat – nämlich Wilco – wissen wir seit ihrem Album „Yankee Hotel Foxtrot“. Ihr aktuelles Meisterwerk „Kicking Television – Live In Chicago“ zeigt die Band auf ihrem Höhepunkt. Selten hat man eine so homogene Band gehört. Es knistert in jedem Song. Es brutzelt mit jedem Akkord. Es brennt mit jeder Dynamikschwankung. Und dabei zeigen Wilco ihren Nacheiferern wie Coldplay nicht nur was eine Harke ist, sondern wie Emotion wirklich klingen kann. Überirdisch. Mehr als ein Fünkchen „Funk“ legen die Holländer Kraak & Smaak auf den Tanzboden. Italo-Pop, Jazz, Nujazz, Blues, Fender Rhodes, Breakbeats, Dancefloorkisten, Basshooks und Melodien drehen sich um das zentrale Anliegen des Trios: Funk zu entstauben und neu aufzulegen. Eine gewitzte Platte, die schelmisch grinst und voller Ironie steckt. Extrem kaufbar.
Jeder Kritiker dieser Welt hat darauf gewartet Madonna mit „Confessions on a Dance Floor“ zu zerreißen und auf den Boden zu werfen – ging daneben. Madonna legt nach wir vor eine flotte Sohle aufs Parkett, lässt sich mit vielerlei Hilfe Songs voller Zeitgemäßheit auf den knackigen Leib schneidern und bleibt unantastbar. Angenehmes Restjahr wünscht…
Diskografie
• a-ha: Analogue (Universal, 11/2005)
• V.A.: Best Acoustic Album …Ever (EMM)
• Aydin Esen: Dialogo (Material Records)
• Parov Stelar: Seven And Storm (Etage Noir)
• Ozzy Osbourne: Under Cover (SonyBMG)
• Bruce Springsteen: Born To Run/Box Set (Sony BMG)
• V.A.: Deluxe Edition (Universal, 11/2005)
• Wilco: Kicking Television – Live In Chicago (Warner)
• Kraak & Smaak: Boogie Angst (Jalapeno Records)
• Madonna: Confessions on a Dance Floor (Warner)