Pünktlich zu Hans Werner Henzes 80. Geburtstag am 1. Juli werden dem großen Alten unter den deutschen Komponisten neue Ehren zuteil. Das Label Wergo würdigt einen seiner bedeutendsten Künstler mit der Ersteinspielung des Dramma in Musica „Aristaeus“ (2003) für Sprecher und Orchester sowie dem Chorwerk „Orpheus behind the wire“.
Ist die Fortschreibung des Mythos um den Sänger Orpheus dabei das thematisch verbindende Element, so könnten beide Werke freilich in musikalischer Hinsicht unterschiedlicher kaum sein. „Orpheus behind the wire“ (1981–83 entstanden) ist eine Umarbeitung von Henzes Orpheus-Ballett (1978) für 8- bis 12-stimmigen gemischten Chor a cappella nach Gedichten von Edward Bond.
Die Texte zu dieser in ihrer feinen Linienführung und Chromatik ungemein spannungsgeladenen Chorkomposition fügen sich ein in den Kontext von Henzes politisch engagierten Werken. Der mythologische Stoff von Verlust, Liebe und Entzug wird in Verbindung gesetzt mit den Gräueltaten der argentinischen Militärregierung – mit den Worten von Bond „ertönt uns Musik von Orpheus, von Sieg, von Freiheit“.
Ganz anders hingegen das 2004 uraufgeführte musikdramatische Orchesterwerk „Aristaeus“. Die von Henze verfasste Geschichte lebt von der ungemein kontrastreichen Orchestrierung, von der Spannung zwischen kraftvollen Passagen und intensiven kammermusikalischen Momenten. Erzählt wird rückblickend aus der Seitenperspektive des Hirten Aristaeus, der für den Tod von Orpheus’ Gattin Eurydike verantwortlich ist, dafür aber keineswegs angeklagt wird.
Die Geschichte wird von einem Sprecher rezitiert und gelegentlich mit musikalischen Mitteln dramatisiert. Vor, während und nach den einzelnen Textpassagen verlegt Henze das Geschehen in den Orchesterapparat, überträgt die Handlung auf einzelne Instrumente, Themen oder Klangfarben. Entsprechend repräsentiert etwa die Gitarre – für Henze ein Instrument aus „den Anfängen der Musik“ und ein „Echolot der Geschichte“ –, unterstützt durch die Harfe, die Figur des Sängers Orpheus, der als Person nicht auftritt, sondern nur musikalisch präsent wird. „Aristaeus“ ist eine von Henzes jüngsten Kompositionen, die von einer Fülle an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten lebt, die elegant und mitunter überraschend miteinander in Bezug gesetzt werden.
Nicht allein Elemente aus älteren Werken (Orpheus-Ballett, Sonate für Violine solo, Barcarola) sind darin geschickt mit neuen Elementen verwoben, sondern vor allem die von Henze immer wieder heraufbeschworene Verbindung von Musik und Dichtung wird in ungemein ausdrucksstarker Form praktiziert.