Bernard Herrmann: Moby Dick Cantata (1936–1938), Sinfonietta for strings (1935–1936). Michael Schønwandt dir. Danish National Choir & Symphony Orchestra, Richard Edgar-Wilson (Tenor), David Wilson-Johnson (Bariton). Chandos CHSA 5095.
Von diesem Jubilar hat die klassische Musikszene, fast demonstrativ anmutend, auch anlässlich seines 100. Geburtstags so gut wie keine Kenntnis genommen. Was uns wieder einmal zeigt, wie hartnäckig die Barrieren kleinkarierter Genretrennung funktionieren. Dabei gehört er nicht nur zweifellos zu den wenigen Komponisten, deren Musik fast jeder schon des Öfteren gehört hat, sondern auch in der ganzen Breite seines reichen Œuvres zu den versiertesten Meistern seiner Generation.
Bernard Herrmann, am 29. Juni 1911 in New York geboren und am Heiligen Abend 1975 in Los Angeles gestorben, ist als Gigant der Filmmusik in die Geschichte eingegangen – sei es die Musik zu „Citizen Kane“, die zu zahllosen Hitchcock-Filmen wie „Psycho“, „North by Northwest“ oder „Vertigo“, jene zu Truffauts „Fahrenheit 451“ oder Scorceses „Taxi Driver“, Herrmann schuf den idealen akustischen
Suspense. Darüber ist fast völlig in Vergessenheit geraten, dass Herrmann nicht nur auch ein exzellenter Dirigent war (der von 1934 bis 1951 das Columbia Symphony Orchestra leitete), sondern vor allem ein grandioser Schöpfer von Werken für den Konzertsaal, der eine der fulminantesten Symphonien in der Mahler-Nachfolge geschrieben hat.
Von früher Jugend an war Herrmann von Herman Melvilles „Moby Dick“ fasziniert, und schließlich reifte in ihm der Plan heran, eine Oper über den Roman zu schreiben. Doch dann erschien die Form der epischen Kantate geeigneter. Es ist sehr interessant, dass zwei weitere große Komponisten der klassischen Moderne andere musikalische Lösungen des „Moby Dick“-Stoffs erschufen: Giorgio Federico Ghedini das „Concerto dell’albatro“ für Klaviertrio und Orchester mit Sprecher, in welchem das Erscheinen des Albatros' geschildert wird; und Peter Mennin das rein instrumentale „Concertato Moby Dick“ – beides wahre Meisterwerke. Auch Herrmanns Kantate ist ein großer Wurf von eminenter bildnerischer Kraft, elementarer Aussage, reich an intensiven Stimmungsbildern, dramatischen Kontrasten, suggestiven Übergängen. Der Männerchor verleiht dem Ganzen ein heroisches Erzählelement, hinzu treten die Solostimmen von Ishmael, Starbuck und Ahab.
Das Werk war eines der Lieblingsstücke von John Barbirolli, der es am 11. April 1940 mit den New Yorker Philharmonikern zur Uraufführung brachte. Wieder einmal erweist sich, dass Herrmann bei aller klaren Tonalität alles andere als ein Romantiker war, sondern ein Nervenmusiker aus der Tradition des Expressionismus, unter dessen fast kühl scheinender Oberfläche ein Vulkan der lyrischen Ekstase brodelt. Ein herrliches Werk, dessen große durchkomponierte Form von mehr als einer Dreiviertelstunde in nüchterner Wachheit durchträgt, bei allen wilden Umschwüngen und überraschenden Wendungen einen kontinuierlichen Spannungsbogen bildet.
Auch die Sinfonietta für Streichorchester, aus welcher Herrmann später Elemente des „Psycho“-Soundtracks extrahierte, ist eine faszinierende Komposition von gestisch unmittelbar anspringender Qualität, die einen eigenen Weg in der Nachfolge von Ives und des frühen Schönberg beschreibt – Herrmanns Tonsprache hat eine physische Intensität, die dem Hörer immer wieder Schauer einjagt, eigentümlich Vertrautes mit Fremdartigem legiert, den Hörer in eine Dämmerungs-Parallelwelt mitnimmt, die fast verstörend wirkt.
In dieser sehr ansprechenden Aufnahme ist erstmals die Urfassung der Sinfonietta zu hören. Auch in der Aufführung des „Moby Dick“ agieren die Kopenhagener Musiker unter Michael Schønwandt kultiviert, präzise, gewandt und feinnervig, unterstützt von einer sensibel ausgewogenen Tontechnik. Man kann auf Schritt und Tritt hören, dass Bernard Herrmann zu den unbestreitbaren Großmeistern der klassischen Moderne zu zählen ist.