Durch die Beschäftigung mit Bach-Kanons kam der Däne Hans Abrahamsen auf die Idee seines Werkzyklus’ „Schnee“, in dem sich unterschiedliche Zeitverläufe überlagern. Das Resultat sind eigentümlich starre, in sich kreisende Figuren, in denen sich konstruktive Fantasie mit einer Vorliebe für den gedämpften Klang verbindet. Mit glasklarer Deutlichkeit bringt das Ensemble Recherche die unterkühlte Musik zum Klingen. (Winter&Winter, 910 159-2)
Walter Fähndrich, Improvisationsmusiker und vielseitiger Klang-Raum-Künstler, ist in „Betrachtung“ als Sprecher in einer Textkomposition zu hören, die einen extrem narrativen Gestus besitzt, aber sprachliche Bedeutung konsequent vermeidet. Der Strom der Kunstsprache (Fähndrich: „südwestkirgisisch“) wird nur unterlegt durch ein leises rhythmisches Raster von Computerklängen. Und nach vierzig Minuten suggestiver Erzählung beginnt man diesen Dialekt aus dem Lande Nirgendwo immer besser zu verstehen ... (www.cubus-records.ch, CR 365)
Eine ebenfalls ganz persönlich geprägte Kunstsprache zelebriert John Cage in „Empty Words“, der Meditation aus den 1970er-Jahren über Texte von Thoreau. In der Aufnahme, die 1991, ein Jahr vor seinem Tod, in Buffalo entstand, ist er mit einem Ausschnitt daraus zu hören. Ivar Mikhashoff spielt dazu simultan die „Music for Piano“. Zweites Stück auf der CD ist „One7“ für beliebige Besetzung. In seiner Vokalperfomance kontrastiert Cage minutenlange Stille und kaum hörbares Gemurmel durch plötzliche, schreckeinflößende Stimmattacken – von Altersmilde keine Spur. (Mode Records, mode 200)
Henryk Mikołaj Górecki, polnischer Avantgardist der ersten Stunde, ist seit den 1970er-Jahren vor allem durch zeitlich gedehnte, meditative Stücke in Erscheinung getreten. Darauf lässt er sich aber nicht reduzieren, wie das extrem kontrastreiche „Requiem für eine Polka“ – seltsamer Titel – von 1993 zeigt. Die in England produzierte CD „Chamber Domaine“ enthält aber vor allem Werke der 1950er-Jahre, teilweise als Erstveröffentlichungen: eine rhythmisch zupackende, von brüsken Stimmungswechseln geprägte Musik, die rebellisch an den Gitterstäben des sozialistischen Realismus’ rüttelt. Im reihentechnisch beeinflussten, hart konturierten Concerto für neun Instrumente von 1957 hat Górecki den Weg hinaus gefunden. (Landor Records, LAN287)
Anderthalb Generationen später klingt die polnische Musik entschieden anders, nicht zuletzt durch den Einsatz des Computers. Die 1978 geborene Agata Zubel, Komponistin und Sängerin, setzt mit der Elektronik Klangprozesse in Gang, die sich mit dem Instrumentalklang auf ungemein lebendige Weise verbinden. Als Sängerin zeichnet sie in ihrer Komposition „Cascando“ über einen Text von Beckett große Emotionen nach, in den vokal-instrumentalen Studien „Unisono I und II“ führt sie die von Cathy Berberian vorgezeichnete Linie der Vokalperformance fort. Eine CD, vollgepackt mit Zukunftspotenzial. (Accord/Universal, ACD 123-2)
Und zum Schluss eine Entdeckung aus Litauen: Werke für Cello des 1930 geborenen Vytautas Laurušas. Zwischen expressiven Melodiebögen, gläsernen Flageolettklängen und wilden Orchestertutti ist der „Discorso concitato“ angesiedelt, der Dialog zweier Celli in „Concento di corde“ bildet ein ver-schlungenes Zwiegespräch, im Trio „Madrigale strumentale“ wechseln Momente dramatischer Erregung mit lyrischen Momenten und plötzlichen motorischen Einschüben. Die bildstarke, vitale Musik findet in David Geringas einen hervorragenden Interpreten. (Profil/Edition Günter Hänssler, PH 09064)