Vorbei das Jahr. Ein ruhiges bescheidenes Phonojahr. Geprägt von bodenständigen Veröffentlichungen. Verschont von 24-Stunden-Stars. Das Genre der Sängerinnen und Sänger und Songschreiber und Geschichtenerzähler erlebte eine Renaissance. Es ist wieder sozial kompatibel, akustisch zu flennen und sein Leben auszubreiten. Die Liveclubs sind voll und der fromme Wunsch für 2007 könnte lauten: mehr davon.
Jarvis Cocker, der ehemalige Frontmann der Britpop-Band Pulp (Hit: „Disco 2000“), sticht im Meer der Songschreiber in See und präsentiert ein Soloalbum namens „Jarvis“. Britisch geprägt, leicht Bowie-lastig und allseits in Melancholie getaucht. Ein vielleicht zu bedächtiges Album, aber kurz vor dem Fest des Herrn besinnt sich wohl auch Herr Cocker der gemächlichen Kunst.
… And You Will Know Us By The Trail Of Dead beginnen mit „So Divided“, ehrlich zu sein. Inhaltlich entflechten sie einen Korb Lügen, den sie oder wir alle uns gegenseitig auftischen. Musikalisch könnte das ein weiteres Konzeptalbum der Postrocker sein, das sich weder scheut, Pianos zu benutzen, noch, Rockgitarren zu verzerren. Die Songs fallen krud und oft tödlich aus. Grundstimmung: verzweifeltes Moll. Wundersames wie rührendes Album.
Verehrer der deutschen Avantgarde-Musikszene werden nun mit der leicht pelzigen Zunge schnalzen, denn von La Düsseldorf gibt es die Wiederveröffentlichung des vierten Albums „Mon Amour“ zu feiern. Es handelt sich um das Kultalbum von Klaus und Thomas Dinger sowie Hans Lampe, das nun klanglich auftoupiert neu erscheint und vor bebendem Schmalz und rockendem Elektro nur so tropft. Willkommen Nostalgie!
Allein schon, dass das Golden-Smog-Album „Another Fine Day“ auf dem Lost-Highway-Label erscheint, bürgt für einen Blindkauf. Und dann die Musiker: Marc Perlman (Bass) und Gary Louris (Gitarre) sind von den Jayhawks, Dan Murphy (Gitarre, Vocals) ist von Soul Asylum, Grammy-Gewinner Jeff Tweedy (Gitarre, Vocals) ist Frontmann bei Wilco und Kraig Jarret Johnson stammt von Run Westy Run. Beste Voraussetzungen für 15 waghalsige Indierock-Songs, deren Amplituden zwischen Folk, Country, Psychedelic, Britpop oder Akustikrock schwanken. Schlicht großartig.
Bei David Coverdale’s Whitesnake läuft prinzipiell gar nichts mehr. Best-of-Alben und Liveplatten reihen sich endlos aneinander. So auch das nächste Livedokument „Live ... in the shadow of the blues“. Zwar wie immer überzeugend, weil live dermaßen perfekt gespielt und arrangiert, aber langsam wird es eben zu viel. Zwar gibt es vier neue Nummern zu hören, deren Aussagekraft reicht aber leider nicht ganz an die alten Gassenhauer heran. Angeblich kommt nächstes Jahr ein Studioalbum. Derweilen gähnen wir mal kräftig.
In der Heimat Kanada ist Sam Roberts durchaus ein Begriff, führte er doch mit „Chemical City“ die Charts an. Und das mit einer ganz und gar ungängigen Musik: Psychedelische Klänge, Folkgitarren, Rockposen und endlose Songwriter-Landschaften zeichnen für ein Album verantwortlich, dass die Traurigkeit und Schwere des Winters auf Anhieb definiert und dezent umschreibt. Je nach Sichtweise. Ziemlich sehr gut.
The Fratellis aus Glasgow passen punktgenau in die aktuelle Zeitrechnung der Popindustrie. „Costello Music“ ist ein Sammelbecken aus Popfetzen, Schrammelgitarren und Glitzerkugeln. Irgendwie charmant, wenn auch nicht sonderlich originell. Klar, dass die britische Presse The Fratellis überschwänglich lobt, denn dafür halten die dann auch die Wurzeln und Ursprünge britischer Popmusik in allen Ehren.
Leider fast nichts Neues von Pave-ment. Nur ein zu Recht neu aufgelegtes Album als Sonderedition: „Wowee Zowee“ (erschienen 1995), Untertitel „Sordid Sentinels Edition“. Das wahrscheinlich alternativste Album, das dieses Genre je gesehen hat. Pavement-Kopf Stephen Malkmus präsentierte sich in Hochform, die Songs wurden bitter, süß und schaumig vorgetragen. Angereicht wird das Spezialalbum mit unveröffentlichten Stücken, B-Seiten, Studio-Experimenten, Radiosessions und Alternativversionen. Klarer Weihnachtsbaumfall. Die Prog-Ritter Spock‘s Beard verpassen sich nach Neal Morses Abgang ein frisches Gesicht. Zwar nicht das erste Album ohne den Kopf der Band, doch das erste mit neuem Profil. Lockere Songarrangements lenken von den Progdrachen und Songungetümen weg, die da einst erschaffen und geschlichtet wurden. Man entdeckt die Simplizität des Spielens, bleibt im Rahmen und feilt am gebliebenen Bandcharakter. Vielleicht das beste, weil gewagteste Album der Band.
Cat Stevens heißt ja seit vielen Jahren Yusuf. Dieser hat nach 28 Jahren eine neue Platte veröffentlicht. Weil der Sohn eine Gitarre nach Hause schleppte. Die sprach über Zargen wohl mit dem Meister, der klatschte „An Other Cup“ auf eine Studiofestplatte. Wird nicht zum großen Comeback reichen. Höchstens zur Nostalgieanreicherung. Yusuf präsentiert eine musikalische Aneinanderkettung von Zitaten und ausgelaugten Gitarren-Zupfereien.
Textlich bleibt es banal und kaum erhellend. Alles in allem könnte das wohl genauso gut die örtliche Pfadfindergruppe im Ferienlager-Musikworkshop auf die Beine stellen. Natürlich dilettantischer produziert. Dafür ehrlicher?
Diskographie
Jarvis Cocker – Jarvis (Sanctuary 17.11.2006)
Trail of Dead – So Divided (Interscope, 17.11.2006)
La Düsseldorf – Mon Amour (Warner, 17.11.2006)
Golden Smog – Another Fine Day (Lost Highway, 24.11.2006)
Whitesnake – Live ... in the shadow of the blues (SPV, 24.11.2006)
Sam Roberts – Chemical City (Universal, 1.12.2006)
The Fratellis – Costello Music (Universal, 26.10.2006)
Pavement – Wowee Zowee (Domino, 17.11.2006)
Spock‘s Beard – Spock‘s Beard (InsideOut, 24.11.2006)
Yusuf – An Other Cup (Universal, 10.11.2006)