Den im Musiktheater im letzten Jahr eher übersehenen 130. Geburtstag von Franz Schreker (1878–1934) haben der Schreker-Biograph Christopher Hailey und die von ihm verwaltete Schreker Foundation zum Anlass genommen, in Zusammenarbeit mit dem Luzerner Symphonieorchester zwei dramaturgisch aufgebaute Schreker-CDs herauszubringen. Die eine, „Franz Schreker – Ausdruckstanz“ fasst die fünf erhaltenen jener sechs Kompositionen, die Schreker im Auftrag der Schwestern Wiesenthal komponierte, zusammen.
Die erst zweite Einspielung erlebt dabei die Urfassung des „Geburtstag der Infantin“. Die Uraufführung des Wilde-Märchens als Tanzhandlung im Garten der Sezession hatte Schreker im Jahre 1908 in Wien bekannt gemacht. Im Jahr 1923 entnahm Schreker Teile dieser Pantomime für eine groß besetzte Orchester-Suite, die an der Berliner Staatsoper als „Spanische Feste“ zur Aufführung kam und anschließend im Konzertsaal und auf Tonträgern häufig interpretiert wurde. An der Urfassung überrascht der Klangreichtum in der Reduzierung, und nicht in die Suite übernommene Szenen – insbesondere in der Soloszene des Zwerges vor dem seine Hässlichkeit verratenden Spiegel – weisen zurück auf Wagners Beckmesser-Pantomime im dritten Aufzug der „Meistersinger von Nürnberg“. Dirigent John Axelrod gönnt sich Muße, mit dem Luzerner Symphonieorchester die Theatralik hervorzukehren und die grotesken Momente herauszuarbeiten, die Schrekers Oper „Die Gezeichneten“ vorwegnehmen.
In dem ursprünglich „Kaiserwalzer und Walzerintermezzo“ benannten Beitrag zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Josef I. kehrt der Dirigent hervor, wie der feierliche Grundton der Komposition aus dem Jahre 1908 durch die Verwandlung der österreichisch-ungarische Nationalhymne im Viervierteltakt zu einem Walzer im ¾-Takt parodistisch verunglimpft wird. Daher kam es vermutlich auch zu Lebzeiten des Komponisten zu keiner Aufführung des „Festwalzer und Walzerintermezzo“. Die im selben Jahr für Elsa Wiesenthal komponierte und von ihr als „Weiße Walzer“ zum Erfolg geführte Komposition „Valse Lente“ besticht hingegen durch ihre schwebende Leichtigkeit. Die einer Prosadichtung Grete Wiesenthals folgende Pantomime „Der Wind“ reduziert den Schrekerschen Mischklang auf nur fünf Soloinstrumente, ohne die für diesen Komponisten typische, irisierende Farbsättigung einzubüßen. Die 1909 in Wien uraufgeführte Komposition wurde häufig konzertant interpretiert. Die Interpretation von Dimitar Dimitrov (Violine), Thomas Brand (Klarinette), Lukas Christinat (Horn), Peter Somodari (Violoncello) und Paul Suits (Klavier) setzt eigene Schwerpunkte.
Verblüffend der Sprung, den der Komponist – lange vor den neo-barocken Bestrebungen der Zwanzigerjahre – mit der Wiederbelebung historischer Formen im „Tanzspiel“ des Jahres 1910 macht: Seine eigene Tanzdichtung gliedert sich in Sarabande, Menuett, Madrigal und Gavotte als „vier Stücke im alten Stil für Orchester“, wobei die Mischung die Eleganz des 17. und 18. Jahrhunderts mit Schrekers eigenen, spezifischen Sinnlichkeit paart. Ähnlich überzeugend wie die Interpretation von Schrekers frühen Beiträgen zum Tanztheater gelingt dem Symphonieorchester Luzern der Bogenschlag des 22-jährigen Absolventen Schreker mit seinem frühem Intermezzo und Scherzo zu Kompositionen seiner Schüler. Schrekers zahlreiche, teilweise sehr berühmt gewordene Wiener und dann auch Berliner Schüler bildeten allerdings keine Schreker-Schule, da der Komponist als Pädagoge bestrebt war, jeden produktiven Musiker in seiner spezifischen Eigenart zu fördern. Die beiden hier vertretenen Kompositionen ebenfalls 22-jähriger Schüler Schrekers zeigen sehr unterschiedliche Ausgangspunkte der Musik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Schrekers Intermezzo, das 1902 bei einem Preisausschreiben der Neuen musikalischen Presse den ersten Preis erhielt, übernahm der Komponist 1909 als Satz in seine Romantische Suite. Eine Novität, da erst 2006 veröffentlicht, bietet die Einspielung des gemeinsam mit dem Intermezzo entstandenen Scherzos, das mit kühn nebeneinander gesetzten Harmonien auf die spätere Praxis des Komponisten verweist.
Eine echte Überraschung bietet die Begegnung mit dem Jugendwerk von Julius Bürger (1897–1995), den Liedern nach Christian Morgensterns „Legende“ und Gottfried Kellers „Stille der Nacht“: ungemein expressiv und doch sehr sanglich und eingängig ist die sinfonisch-zyklische Ausdeutung des Morgenstern-Gedichts durch charakterisierende Zwischensiele und ein breites Nachspiel. Voller Farbigkeit und Schlagkraft sowie illustrativ mit plastischer Thematik ist auch die eigenwillige Umsetzung der Keller-Vorlage.
Unentschieden in den Mitteln, aber gleichfalls stringent in der Durchführung seines Materials ist die einsätzige, halbstündige Erste Symphonie Ernst Kreneks. Wie in Bürgers farblich meisterlicher textlicher Ausgestaltung finden sich auch in Kreneks 1922 uraufgeführtem Jugendwerk Hinweise auf die dritte Schaffensphase seines Lehrers, etwa in der stringenten Kontrapunktik und harmonischen Radikalität.
Mit vorbildlicher Diktion und vokaler Charakterisierungskunst macht Bariton Dietrich Henschel die beiden Orchester-Gesänge Julius Bürgers zum eigentlichen Höhepunkt der zweiten CD. Beide CDs enthalten umfangreiche, originell bebilderte Booklets mit Originalbeiträgen von Christopher Hailey.