Zum 80. Geburtstag von Folkmar Hein gratuliert die DEGEM mit fast sechs Stunden elektroakustischer Musik! +++ Die österreichische Komponistin und Bratschistin Julia Purgina (*1980) möchte eine anspruchsvolle Musik der Gegenwart schreiben und dennoch breite Hörerkreise erreichen +++ In den letzten Jahren hat die Präsenz von Komponistinnen erfreulich zugenommen, auch wenn da noch reichlich Luft nach oben ist. Insofern ist dieses Solo der Cellistin Sophie-Justine Herr unter dem Titel – Achtung: Triggerwarnung! – „:innen“ nur zu begrüßen
Fundstücke auf dem USB-Stick
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Zum 80. Geburtstag von Folkmar Hein gratuliert die DEGEM mit fast sechs Stunden elektroakustischer Musik! Die opulente Sammlung enthält (fast) alle Auftragskompositionen, die Hein als langjähriger Leiter des Elektronischen Studios der TU Berlin (1974–2009) seit 1994 kommissionierte und später im Rahmen des Thomas-Seelig-Fixed-Media-Preis vergeben wurden. Darunter sind so einige Entdeckungen zu machen: zum Beispiel die elektronischen Anfänge der aktuellen Siemens-Preisträgerin Unsuk Chin („Allegro ma non troppo“, 1994); Ludger Brümmers Zugriff auf Mozarts „Requiem“ („Inferno der Stille“, 2000), wo das „Introitus“ wie ein Geist durch die akusmatischen Klänge weht; der babylonische Sprachtumult in Trevor Wisharts „Globalalia“ (2004) oder Maximilian Marcolls Carillon-Stück „Adhan“ (2015), das sich an einer Hybris dreier Weltreligionen versucht. Die realen Fundstücke, die hinter den elektronischen Transformationen stehen, sind höchst divers und wurden regelmäßig in Heins Wohnung gefunden (Horacio Vaggione, Hanna Hartman und Mario Verandi). Unterm’ Strich mehr Spaß als das Gros der Auftragswerke machen 76 Ein-Minuten-Stücke, kredenzt zum 65. Geburtstag Heins von allem, was in der Szene Rang und Namen hat zwischen Christina Kubisch, Thomas Kessler, Francis Dhomont, Robert Henke und und und… Dass das hier alles in eine Veröffentlichung passt, ist einem USB-Stick zu verdanken, der bald auch schon wieder zum alten Datenträger-Eisen gehört. (Edition DEGEM)
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Die österreichische Komponistin und Bratschistin Julia Purgina (*1980) möchte eine anspruchsvolle Musik der Gegenwart schreiben und dennoch breite Hörerkreise erreichen. Diese Gratwanderung gelingt ihr in stilistisch ganz unterschiedlichen Instrumentalstücken meist erstaunlich gut! Aktionsreiche Klangprozesse werden dabei oft von außermusikalischen Narrativen bewegt. Die melodischen Orchester-Bruchstücke von „farewell, lady, farewell“ (2020) folgen den Spuren einer Demenzerkrankung und ihren Fragmentarisierungen von Erinnerung; Bilder Francis Bacons haben „From Bacon. From Muybridge. The Human Figure“ (2017) angeregt, das als flirrend-zerbrechliche Ensemble-Textur beginnt und in eine immer größere Unruhe hineinwächst als agiere jeder Spieler für sich. Am meisten beeindruckt hier das Orchesterstück „Akatalepsia“ (2018), wo die Wiener Symphoniker und Sylvain Cambreling Zustände der Unsicherheit in spannungsträchtigen Verdichtungsprozessen greifbar machen. (Kairos)
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In den letzten Jahren hat die Präsenz von Komponistinnen erfreulich zugenommen, auch wenn da noch reichlich Luft nach oben ist. Insofern ist dieses Solo der Cellistin Sophie-Justine Herr unter dem Titel – Achtung: Triggerwarnung! – „:innen“ nur zu begrüßen. Es präsentiert erstmals (so behauptet jedenfalls das Booklet) Stücke für Cello solo ausschließlich von Komponistinnen. Gute Idee, das Ganze mit Younghi Pagh-Paan zu beginnen: nicht nur eine Pionierin kompositorischer Brückenschläge zwischen Asien und Europa, sondern eine Vorkämpferin weiblichen Komponierens. Ihr „AA-GA I“ (1984) gedenkt in Anlehnung an ein koreanisches Gedicht Menschen, „die ihr Leben für die Wahrheit geopfert haben“. Auch Kaija Saariaho zählte zu den ersten einsamen Streiter-innen der Neuen Musik. Ihre „Sept Papillons“ (2000) lauschen mit flirrenden Oberton-Arpeggien Zuständen ephemerer Zerbrechlichkeit, Schmetterlingsgeflatter inklusive. Dem Naturlaut verschrieben hat sich auch Judith Shatin in „For the Birds“ (2005), eine Hommage an die Vogelwelt des Yellowstone-Park. Ziemlich gediegen allerdings kommt die imaginäre Folklore von Elisenda Fábregas „Danses de la Terra“ (2020) daher. Experimenteller geht es in „I Am“ (2017) von Teresa Grebchenko zu. Mit schroffer Gestik hat sie Gedichte von Emily Dickinson, Sylvia Plath und die Wikipedia-Definition eines „Photons“ zu einer Synchronizität von Wort und Klang collagiert. Die Rezitation für „singende Cellistin“ kommt jedoch ein wenig bemüht daher. Das Interview mit Judith Shatin und Teresa Grebchenko über ihre Erfahrungen in einem lange Zeit prekär männerdominierten Metier ist interessant und wichtig. Dennoch wirkt die Gender-Thematik diesem Programm ein wenig „übergestülpt“. Im Angesicht einer derart existentiellen Thematik ließen sich andere Klänge finden als über Schmetterlinge, Vögel und katalanische Tänze… (PASCHENrecords)
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