Um die mit Verve begonnene Wiederentdeckung Franz Schrekers an den Bühnen ist es recht still geworden. Dies mag daran liegen, dass der Reiz der Wiederentedeckung im „neuen Alten“ lag, denn in den vergangenen zwei Dezennien wurden sämtliche seiner Bühnenwerke einer Neubefragung unterzogen. Schrekers erste Oper „Flammen“ erlebte 1901 in Wien nur eine konzertante Uraufführung, erst 1980 erfolgte daselbst die szenische Uraufführung; die auch auf CD (Marco Polo 8.223422) festgehaltene Produktion gab es in den Folgejahren auch als Gastspiel in Berlin, Basel und Hamburg zu sehen. Nun aber kündigen die Städtischen Bühnen Kiel für diese Spielzeit erneut die „Uraufführung“ dieser Oper an. Die erneute Klassifizierung als „Uraufführung“ setzt hinsichtlich publizistischer Beachtung offenbar auf den ungeprüft größeren Effekt einer solchen Behauptung. Auf CD hingegen erschienen kürzlich einige Werke Franz Schrekers tatsächlich erstmals auf Tonträgern.
Von den drei Erstveröffentlichunchungen des Labels Capriccio ist Schrekers frühe Symphonie für großes Orchester in a-Moll gar eine veritable Uraufführung. Auch im Konzert ist bislang (beim Schreker-Festival in Basel 1988) nur die vierhändige Klavierfassung des Komponisten erklungen. Leider ist der auf dem Vorsatz der Partitur als „Allegro vivace“ bezeichnete Schlusssatz verschollen; die verbleibenden drei Sätze (Allegro non troppo – Presto – Andante) sind von mitreißender Verve und Jugendfrische. Diese in der Spätromantik verwurzelte Komposition zeigt Schreker trotz seines Bekenntnisses zum Antagonismus, Brahms zu verehren und Bruckner zu lieben, deutlich als einen bereits in seinen Anfängen der Neudeutschen Schule verbundenen Komponisten. Der zum Abschluss seiner Studien bei Robert Fuchs komponierte Psalm 116 mag an Brahms „Deutsches Requiem“ gemahnen, seinen Lehrer Fuchs aber muss auch diese vorwärts treibende Komposition im Innersten schre(c)klich verunsichert haben. Die Interpretation durch Chor und Orchester des WDR ist erstklassig.
Das im Auftrag der Tochter Max Halbes, der Schauspielerin Toni Halbe-Halberstamm im Jahre 1932 in Estoril komponierte Melodram „Das Weib des Intaphernes“ ist Schrekers letzte vollendete Komposition, die postum 1934 in Wien uraufgeführt wurde. Die Auftraggeberin, die bei der Machtergreifung der Nationalsozialis-ten nach London emigrierte, hat das Melodram nie interpretiert, und szenisch wurde „Das Weib des Intaphernes“ erst im vorletzten Dezennium zur Uraufführung gebracht, inszeniert von Jacobo Romano im Frankfurter TAT und dann – in einer Neuinszenierung dieses Regisseurs – im Berliner Hebbel-Theater. Eduard Stuckens Ballade von König Daritis und seiner Leidenschaft zur Frau seines gefangenen Erzfeindes Intaphernes enthält all die Schreker’schen Topoi von Eros und Vernichtung, die für seine eigenen Libretti symptomatisch waren, die Tragödie des hässlichen Mannes ebenso wie die alle Leidenschaften erstickende Feuersbrunst. Im Spätstil, der nach Einflüssen der neuen Sachlichkeit, erneut den für Schreker typischen Klangrausch aufbranden lässt, interpretiert Peter Gülke dieses dramatische Konzertwerk mit dem Kölner Rundfunkorchester. Der häufig selbstgefälligen Interpretation Gert Westphals setzt die Koch-Edition mit der sprecherischen Interpretation der Filmschauspielerin Lena Stolze eine weibliche Sicht auf die Geschichte entgegen; Gerd Albrecht lotet die Partitur mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin nach ihrer klanglichen Seite aus und interpretiert sie expressiv. Die Kompilation beider Einspielungen – aus den Sichtweisen des Darius und der des Objektes seiner Begierde, in verteilten Rollen – böte die ideale Vision eines Bühnenwerkes im Kopf des Hörers.
Gelungene Alternativen zu den Einspielungen sinfonischer Werke unter Michael Gielen, Edgar Seipenbusch, Uwe Mund und Karl Anton Rickenbacher bei Marco Polo und Schwann bietet die neue Chandos-Edition: Eine interpretatorisch und technisch erstklassige Einspielung mit dem BBC Philharmonic Orchestra unter der beschwingten, dramatisch vorantreibenden Leitung von Vassily Sinaisky. Dieser Dirigent verfügt über ein großes Gespür für den Aufbau der bei Schreker stets impulsiv gestaffelten Höhepunkte; die sinfonischen Opernbilder sind ebenso spannend und plastisch ausgedeutet wie die Sinfonische Ouvertüre „Ekkehard“ oder die „Phantastische Ouvertüre“, und selbst der „Valse lente“ wird zu einer Opernszene en miniature.
Wenig neue Fassetten bietet hingegen Franz Welser-Mösts klanglich ausgezeichnete Einspielung der Kammersinfonie für 23 Soloinstrumente mit der Camerata Academia Salzburg. Und Albrechts Interpretation des „Geburtstags der Infantin“, der zur Suite verkürzten Tanz-Pantomime, die Schreker 1908 für die Schwestern Wiesenthal komponiert hatte, bleibt mit virtuosem Orchesterklang an der Oberfläche.
Die wohl schönste und gleichzeitig preisgünstigste Schreker-Einspielung gelang Arte Nova, mit 28 Liedern des Komponisten, stimmschön, textintensiv und mitreißend interpretiert von Noëmi Nadelmann und Andreas Schmidt. Da die zweite Folge der Schreker-Lieder-Gesamtedition bei Channel Classics (CCS 12098) auf sich warten lässt, kann die von Adrian Baianu begleitete Auswahl sogar fünf „World Premier Recordings“ aufweisen – zumindest auf CD, denn auf LP (Acanta 6823 389) hatte bereits Steven Kimbrough „Das feurige Männlein“ erstmals eingespielt.
Insgesamt sind Franz Schrekers Werke für den Konzertsaal in Neueinspielungen auf CD sehr viel besser vertreten als seine Opern, von denen es zwar „Den fernen Klang“ und „Die Gezeichneten“ in zwei alternativen Einspielungen, „Flammen“, den „Schatzgräber“ und „Irrelohe“ je einmal gibt, während fünf weitere Bühnenwerke („Das Spielwerk“, „Christophorus“ „Der singende Teufel“, „Der Schmied von Gent“ und das von Zulueta fertig gestellte „Memnon“-Particell) bislang in keinerlei Gesamteinspielung vorliegen.
Diskografie
Franz Schreker: Symphonie a-Moll op. 1; Psalm 116 op. 6; Das Weib des Intaphernes; Gert Westphal (Deklamation), Peter Dicke (Orgel), Kölner Rundfunkorchester, Kölner Rundfunkchor, Peter Gülke Capriccio 10850 (1 CD) DDD
Franz Schreker: Das Weib des Intaphernes; Der Geburtstag der Infantin, Suite; Lena Stolze (Erzählerin), Deutsches Symphonieorchester, Gerd Albrecht
Koch/Schwann 3-6591-2 (1 CD) DDD
Franz Schreker: Ekkehard, op. 12; Phantastische Ouvertüre, op. 15; Valse lente; Nachtstück aus „Der ferne Klang“, Vorspiel zu einem Drama; Sinfonisches Zwischenspiel aus „Der Schatzgräber“; BBC Philharmonic, Vassily Sinaisky
Chandos 9797 (1 CD) DDD
Franz Schreker: Lieder op. 2, 3, 4, ausgewählte Lieder; Noëmi Nadelmann (Sopran), Andreas Schmidt (Bariton), Adrian Baianu (Klavier)
Arte Nova 74321 721262 (1 CD) DDD
Franz Schreker: Kammersinfonie für 23 Soloinstrumente; Symphonie a-Moll op. 1; Psalm 116; Franz Schubert: Der Tod und das Mädchen, für Streichorchester orchestriert von Gustav Mahler; Camerata Academia Salzburg, Franz Welser-Möst
EMI 7243 5 56813 2 4 (1 CD) DDD