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Stefan Piendl, was bewegt eine große Musik-Company dazu, sich mit einer Institution wie dem Deutschen Musikrat zu verbinden und ein Monsterprojekt von 150 CDs aufzulegen?
Der Deutsche Musikrat legt in Kooperation mit RCA Red Seal/BMG Classics eine umfassende CD-Dokumentation vor, die die Entwicklung des Musiklebens in beiden deutschen Staaten widerspiegelt. 150 CDS soll die Edition „Musik in Deutschland“ im Jahre 2007 umfassen. Jetzt wurden die ersten 13 Titel , die von „Zupfgeigenhansel“ bis zur elektronischen „Studie“ von Hans Ulrich Gumpert reichen, veröffentlicht. Die nmz unterstützt dieses bislang einmalige Projekt als Medienpartner und bat den Geschäftsführer von BMG Classics, Stefan Piendl, zum Interview. nmz: Stefan Piendl, was bewegt eine große Musik-Company dazu, sich mit einer Institution wie dem Deutschen Musikrat zu verbinden und ein Monsterprojekt von 150 CDs aufzulegen? Stefan Piendl: Wenn so ein Projekt über den Musikrat an einen herangetragen wird, dann wird man ja zunächst mal hellhörig. Man denkt darüber nach, was sich dahinter verbirgt, wo der Sinn dieser Aktion liegt und wo das Interesse der eigenen Firma liegen könnte. Bei näherer Auseinandersetzung mit dem Thema stieß ich auf zwei Gründe, die für das Projekt sprachen. Zum einen ist das ein einmaliges Vorhaben, das ohne Beispiel ist. Zum anderen spürt man auch eine gewisse Verpflichtung. Ein Projekt dieser Art zu ermöglichen, ist am ehesten eine Aufgabe für die einzige deutsche Plattenfirma unter den fünf großen. Es gab Partner, die nicht ganz selbstverständlich sind für eine Schallplatten-Company. Ich denke an Musikwissenschaftler, ich denke an die Menschen, die das beim Musikrat betreut haben. Da kann man sich vorstellen, dass da auch ganz andere Arbeitsvorstellungen, andere Arbeitsrhythmen herrschen. Wie kommt man als im besten Sinne gewinnorientiertes Unternehmen damit zurecht? Die Zusammenarbeit ist natürlich wirklich spannend, verläuft aber sehr gut. Das liegt in erster Linie auch daran, dass die Editionsleiter, also Professor Frank Schneider und Professor Hermann Danuser, sehr angenehme, vor allem auch sehr kompetente Partner sind. Das gleiche gilt für Frau Dr. Thiemer und ihr Team beim Musikrat. Bei so einem Projekt sind sehr viele Fremdrechte einzuholen, man muss mit Rundfunkanstalten kooperieren. Ging das alles reibungslos? Das war weit komplizierter und zeitraubender, als wir das erwartet hatten. Wir hoffen, dass sich durch die Veröffentlichung der ersten CDs das Projekt so weit herumspricht, dass die Ansprechpartner beim Rundfunk und bei anderen Schallplattenfirmen bei künftigen Anfragen einfach schneller und kooperativer reagieren, als es teilweise bisher der Fall war. Wenn man sich die Edition, die ersten CDs der Edition, anschaut, dann wird schnell eine klare Systematik erkennbar. Die inhaltliche Struktur hat die Editionsleitung gemeinsam mit dem Beirat erarbeitet. Unsere Aufgabe als Schallplattenfirma ist es unter anderem, das nachvollziehbar zu machen. Das fängt ganz besonders bei der Covergestaltung an, wo uns – mit einem an einer Computermenüführung orientierten Design – ein sehr guter Weg eingefallen ist, wie man das Konzept visualisieren kann. Dazu kommen all die Marketing- und Promotion-Maßnahmen, die im Moment gerade erfolgen. Wenn man so eine Edition mit betreut, dann wird man fast zwangsläufig vom Kaufmann auch ein ganzes Stück zum Künstler. Was ist Ihre persönliche Motivation gewesen, so viel Kraft in dieses außergewöhnliche Projekt zu stecken? Es ist die Einmaligkeit und gleichzeitig die Vielseitigkeit des Projektes. Es ist nicht nur festgelegt auf einige wenige bekannte Komponisten zeitgenössischer Musik, die immer für die Speerspitze des Musikschaffens gehalten werden, sondern geht ja in die Breite, inklusive Jazz, inklusive Popmusik, auch solche Themen wie Filmmusik und so weiter finden Eingang in die Edition. Auch dokumentiert die Edition die Musik in beiden deutschen Staaten von 1950 bis heute. Die Faszination lag für mich in der Vielfalt. Gab es für Sie sozusagen eine Bewusstseinserweiterung durch das Projekt für das musikalische Geschehen in den letzten 50 Jahren? Auf jeden Fall. Es finden sich Dinge in der Edition, mit denen ich mich sonst wahrscheinlich nicht auseinander gesetzt hätte. Ich denke zum Beispiel an die CD „Volksmusik in Jeans/Folkmusik-Revival“ mit politischen Songs, oder an eine CD mit „Musik für Tonband“. Da wäre ich als Liebhaber Mahler’scher Sinfonik wahrscheinlich nicht so schnell hingekommen. Was kann so eine große Company wie Bertelsmann dafür tun, dass dieses anspruchsvolle Projekt seine angemessene Verbreitung findet? Bertelsmann als Medienunternehmen verfügt über verschiedene Kanäle, diese Edition nach vorne zu bringen und zu promoten. Das ist sicher ein Vorteil. Gibt es einen weltweiten Vertrieb? Die CDs sind theoretisch weltweit erhältlich, praktisch wird es so sein, dass unserer Einschätzung nach das Interesse im Ausland sich in sehr geringem Ausmaß bewegen wird. Die Edition eignet sich jedoch hervorragend als repräsentatives Geschenk, das durch alle kulturellen und politischen Institutionen als „klingender Botschafter“ für die lebendige Musikkultur in Deutschland auch ins Ausland getragen werden sollte. Kann man vor diesem Hintergrund sagen, dass diese Edition einerseits doch ein mutiges unternehmerisches Wagnis darstellt, auf der anderen Seite aber auch gewisse sponsorhafte Züge trägt? Mit Sicherheit. So eine Edition kann von allen Beteiligten, seitens des Musikrats, seitens der Editionsleitung, der mitarbeitenden Autoren und auch von Seiten von BMG Classics nur mit einem gewissen Maß an Idealismus und Enthusiasmus getragen werden. Gibt es unter den ersten 13 Veröffentlichungen eine CD, die auch Sie abends auflegen? Sie haben sich ja als Mahler-Fan geoutet. Eine CD, die mir zum Beispiel sehr gut gefällt, ist die Berliner-Ensemble-CD. Da wird auch im Laufe der Edition noch vieles kommen, was auch sehr viel Spaß macht und über das „wissenschaftliche“ Hören hinaus einfach spannend ist. Wie geht es weiter mit der Edition? In welchen zeitlichen Abständen werden die nächsten Boxen und Einzel-CDs erscheinen? Im Jahr 2007 wird die Edition komplett vorliegen. Immer zweimal im Jahr, einmal im Frühjahr und einmal im Herbst, geht es um etwa zehn neue CDs. Welche CDs das diesen Herbst sein werden, hängt davon ab, wie die Arbeit der einzelnen Autoren an ihren Projekten vorangeht. Auch wie die Lizenzierung der Musiktitel von Rundfunkanstalten und so weiter vonstatten geht. Das ist im Moment noch nicht genau absehbar. Das klingt nach einer relativ kurzfristigen Produktion. Wie läuft das denn technisch ab, wo werden die Sachen zusammengestellt? Die müssen ja wahrscheinlich auch dem Pegel angeglichen werden. Wo geschieht das, und mit welchen technischen Vorgaben geschieht das? Die Editionsleitung in Abstimmung mit dem Beirat sucht die Autoren aus, die dann die Musik zusammenstellen und die Texte verfassen. Die Koordination erfolgt durch den Musikrat, von dem wir dann auch die fertigen Bänder erhalten. Bei uns wird die gesamte Redaktion gemacht. Die Auswahl der Bilder besorgt Christine Schweizer mit ihrer Agentur in Köln, die in Absprache mit uns auch das gesamte Design entworfen hat. Es sind drei oder vier Jahre ins Land gezogen, bis diese 13 ersten CDs vorlagen. Das ist nicht gerade ein industrieller Produktionsrhythmus. Trotzdem: Wir schaut es mit der eigenen Zufriedenheit aus? BMG Classics kam ja erst vor einem guten Jahr an Bord. Es war ein Kraftakt aller Beteiligten, die ersten 13 CDs jetzt zur Musikmesse im April fertig zu haben. Die Herausforderung war, das Projekt anzuschieben und die ersten CDs auf den Markt zu bringen, denn dadurch wird jetzt sicherlich vieles leichter. Was wünschen Sie sich für diese Reihe, was wäre das Optimum, das damit erreichbar wäre? Der große Wunsch und die große Hoffnung von uns allen ist, dass diese faszinierende und spannende Edition die Leute erreicht, für die sie gemacht ist, das heißt nicht nur einige wenige ausgewählte Musikspezialisten und Freaks, sondern dass sie auf einer breiten Basis zu den Konservatorien kommt, zu den Universitäten, in die Musikschulen, in den Musikunterricht, in die Bibliotheken und überall da, wo sie auf Menschen trifft, die sich dafür interessieren, die Spaß daran haben, für die es nicht nur vom wissenschaftlichen Aspekt her interessant ist; letztendlich soll sie viele Musikfreunde erreichen. Es gab ja einen Fototermin mit dem Staatsminister für Kultur, Michael Naumann. Sieht er das Ganze denn als ein Botschafterinstrument für die Musikkultur der Bundesrepublik? Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass diese Edition gefördert wird mit Mitteln aus Naumanns Ministerium, und insofern haben wir da natürlich die Unterstützung und die Rückendeckung, die wir uns wünschen und die wir brauchen, damit das Projekt überhaupt zustande kommen konnte.