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Nachlasserkundigung

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Weitere Werke von Leonid Sabaneev aufgetaucht
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In ihrer Ausgabe 3/12 berichtete die nmz ausführlich über die Entdeckung und CD-Einspielung der beiden Klaviertrios von Leonid Sabaneev. Zum Glück für die Musikwelt zog dieser Bericht Kreise bis nach Russland. Von dort meldete sich ein Musikwissenschaftler bei dem Entdecker-Ehepaar Michael Schäfer und Ilona Then-Bergh mit der Botschaft, es gebe noch weitere ungehobene Schätze aus der Feder von Sabaneev. Wir wollten es genauer wissen und sprachen nochmals mit Michael Schäfer.

neue musikzeitung: Herr Schäfer, wie haben Sie davon erfahren, dass es noch weitere unentdeckte Werke von Sabaneev gibt?

Michael Schäfer: Ein russischer Musikwissenschaftler aus St. Petersburg, Alexander Maksimenko, nahm zu mir Kontakt auf, nachdem er in der nmz das große Interview zum Thema Sabaneev gelesen und unsere CD mit den beiden Klaviertrios gehört hatte. Herr Maksimenko forscht intensiv über Sabaneev und es ist ihm gelungen, den als verschollen geltenden Nachlass des Komponisten in der Library of Congress in Washington wiederaufzufinden, wo er seit Ende der 1960er Jahre unkatalogisiert lag. In diesem Nachlass finden sich viele unpublizierte Werke im Autograph.

nmz: Um was für Kompositionen handelt es sich, wann sind sie entstanden?

Schäfer: Im Einzelnen handelt es sich um eine Sonate für Violine und Klavier und eine Passacaglia & Fuga für Klavier solo. Ich konnte dank Herrn Maksimenko Scans dieser beiden Werke aus der Library of Congress erhalten. Die Violinsonate entstand 1925 kurz nach dem zweiten Klaviertrio, die Passacaglia & Fuga wurde 1926 begonnen und 1939 vollendet.

nmz: Sind die Werke zu Ende komponiert und aufführbar? 

Schäfer: Die Passacaglia & Fuga ist definitiv vollendet („finita est 22.IX.1939“) und nach mühevoller Entzifferungsarbeit auch aufführ- und darstellbar. Die Violinsonate ist ein Konvolut mehrerer Fragmente beziehungsweise Fassungen, die aber alle mitten im Text abbrechen.

nmz: Wie beurteilen Sie die kompositorische Qualität der Werke? Bewegen sie sich auf einem ähnlich hohen Niveau wie die Trios?

Schäfer: Die Violinsonate weist eine enge stilistische Verwandtschaft zum zweiten Klaviertrio auf, scheint allerdings, soweit ich das bisher zu beurteilen vermag, noch um einige Grade düs-terer zu sein. Die Passacaglia & Fuga überrascht mit ihrer Hinwendung zu barocken Formen und Formeln und zu avanciertester Polyphonie. Diese Polyphonie wird aber immer wieder kontrastiert durch Abschnitte toccatenhafter Brillanz, die in ihrer konsequenten Bitonalität an den französischen Neoklassizismus gemahnen. Es handelt sich ohne Zweifel um zwei weitere gewichtige Hauptwerke, die den bisher veröffentlichten, also den beiden Klaviertrios sowie der großen
Klaviersonate, in nichts nachstehen.

nmz: In Frankreich soll noch eine Tochter von Sabaneev leben?

Schäfer: Ja, die Information, dass Sabaneevs einzige Tochter – sie ist wohl über 90 Jahre alt – noch lebt, habe ich ebenfalls Herrn Maksimenko zu verdanken. Er plant, sie in nächster Zeit aufzusuchen.

nmz: Wissen Sie von Herrn Maksimenko, ob es bei der Tochter vielleicht noch weitere Schätze aus dem Nachlass von Leonid Sabaneev zu entdecken gibt?

Schäfer: Zwar liegt der gesamte Nachlass in Washington – aber wer weiß? Vor Überraschungen ist man nie gefeit. Meine große Hoffnung ist natürlich, dass sich noch eine vollständigere Fassung der Violinsonate findet. Denn wie aus einer Notiz hervorgeht, die möglicherweise von Sabaneev selbst stammt, ist die Sonate in einem Konzert aufgeführt worden. Mit dem mir vorliegenden Material wäre das definitiv nicht möglich gewesen.

nmz: Wie sehen die Pläne von Ihnen und Ihrer Gattin in punkto Sabaneev aus?

Schäfer: Wir versuchen, so oft wie möglich Sabaneevs Klaviertrios in unseren Konzertprogrammen unterzubringen und sie so dem Publikum nahezubringen. Parallel dazu planen wir, nach und nach alle Werke Sabaneevs für Klavier solo sowie für Violine und Klavier auf CD einzuspielen.

nmz: Können Sie uns etwas über Sabaneevs ambitioniertestes Werk, die Apokalypse nach Johannes, sagen?

Schäfer: Das ist – auch nach Sabaneevs eigener Einschätzung – sein wirkliches Haupt- und Lebenswerk, an dem er seit 1925 bis kurz vor seinem Tod gearbeitet hat und das er tatsächlich 1966 noch vollenden konnte: die Kantate für Orchester, Orgel, Chöre und Solostimmen „apocalypsis ioannis apostoli“, ein Werk von 800 Seiten! Natürlich wurde das Werk noch nie aufgeführt, es existiert ja nur die autographe Partitur. Eine Titanenaufgabe, daraus eine spiel- und aufführbare Fassung herzustellen, an der Herr Maksimenko gerade arbeitet.

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