Ernst Toch: Tanz-Suite op. 30; Konzert für Cello und Kammerorchester op. 35. Spectrum Concerts Berlin; Christian Poltéra, Cello. American Classics, Naxos 8.557199
Er hielt sich für den „meist vergessenen Komponisten des 20. Jahrhunderts“ – ein Schicksal, das er mit vielen anderen teilte. Wie Korngold oder Krenek, Karol Rathaus oder Ignace Strasfogel, um nur einige fast Vergessene oder erst kürzlich Wiederentdeckte zu nennen, wurde auch Ernst Toch von den Nazis ins US-Exil gezwungen, konnte auch er an seinen hoffnungsvollen Karrierestart nie mehr anknüpfen. Dabei hatte ausgerechnet er zu den meistaufgeführten Komponisten während der Zwanzigerjahre in Deutschland gehört. Grund genug für „Spectrum Concerts Berlin“, sich seiner besonders anzunehmen, denn diese außergewöhnliche Kammermusiktruppe hat sich ganz dem „transatlantischen Brückenschlag“ zwischen alteuropäischem Kernrepertoire und amerikanischer Moderne verschrieben – die es wiederum ohne die hochqualifizierten Einwanderer aus Europa in dieser Form nicht gegeben hätte. So wurden bisher einige bedeutende Kammermusikwerke in Portraitkonzerten vorgestellt, in denen auch der Toch-Enkel Lawrence Weschler die Persönlichkeit des Komponisten nahebrachte. Die vorliegende Aufnahme macht geradezu bestürzend deutlich, mit welch genialem Einfallsreichtum und satztechnischer Geschicklichkeit sich der junge Tonkünstler neben der Konkurrenz eines Hindemith oder Schönberg zu behaupten wusste.
Denn im Spannungsfeld der Gegensätze von Neusachlichkeit und expressiver Dodekaphonie ist seine ganz persönliche Musiksprache anzusiedeln. Die „Tanzsuite“ op. 30 (1923–24) für Kammerensemble (mit exponiertem Schlagzeug) entfaltet die unterschiedlichsten szenischen Charaktere in sechs Sätzen, versetzt ihre anstürmende Beweglichkeit („Roter Wirbeltanz“) im Aufbruchstempo der „Roaring Twenties“ immer wieder mit lyrischen Abschnitten tiefster Nachdenklichkeit – fast einer Vorahnung gleich. Filigraner Satz und reiche Klangpalette stellt sie weit über die Behäbigkeit von „Spiel“- oder „Gebrauchs“-Musiken. Bemerkenswert vor allem der 6. Satz, in dem sich aus geisterhafter, geräuschhaft gefärbter Nachtmusik Brettl-Walzerseligkeit herausschält und rauschhaft steigert.
Der freche, bissige Witz, von den „Spectrum“-Musikern mit überwältigender Leichtigkeit und Präzision dargeboten, ist im Konzert für Cello und Kammerorchester op. 35 (1924–25) verschwunden. Obwohl auch hier hinreißend musikantische Virtuosität in feinster Polyphonie stattfindet, dominiert ein Ton des Schmerzes, des immer wieder aufschäumenden Pathos. Freitonal gespannte Melodik à la Berg (Klaviersonate op.1!) durchdringt die Bewegungslust. Christian Poltéra ist der ideale Solist mit farbenreicher Tonschönheit, Klarheit und Emphase. Ein „Must have“ für die immer noch zu zaghafte Toch-Renaissance!