Der persönliche Jahresrückblick der nmz-Phonokritiker. Und täglich grüßt … Die CD ist tot – es lebe die CD! So und nicht anders könnte man es wohl auf den Punkt bringen. Nicht weniger als elf Scheiben mit klassischer Musik (was immer dazu gehören mag) erscheinen noch immer täglich!
Angesichts eines zusehends ausgedünnten Vertriebsnetzes vor Ort, des Preis-Diktats des „bösen A“, der hippen Konkurrenz auf diversen Streaming-Portalen und eines Marktes, der zwar erfreulicherweise wieder wächst, der sich aber (ein Graus für alle Marketing-Abteilungen) zusehends diversifiziert, darf man sich schon fragen: Für wen wird da eigentlich produziert, und wer wird wirklich erreicht? Dass der Wunsch nach einen physischen Produkt noch immer da ist, lässt sich landauf, landab nach fast jedem Sinfoniekonzert beobachten, wenn ein (soweit noch vorhanden) lokaler Händler im Foyer einen Tisch bestückt oder den Bauchladen aufgeklappt hat. Freilich: Für Beratung, Vergleiche und Entdeckungen ist dort kein Platz mehr. Was waren das einst für wundervolle Nachmittage oder Mittagspausen, wenn man dutzende Meter von Schallplatten oder CDs durchstöbern konnte. Und der Blick in das über die Jahrzehnte gut sortierte Regal zeigt: Im Streaming ist heute noch lange nicht alles zu haben, was das Sammlerherz einst begehrte. Ob aber früher alles besser war? Die Auswahl vielleicht, kaum aber die Kaufhilfen. Da wurde zwar in den wenigen Printmedien manches besprochen, doch schon damals war vieles dem Mainstream und großen Namen verhaftet.
Und so gelten in diesem Jahr meine Empfehlungen vorzugsweise den Rändern des Angebots, die weit mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. So dem Ensemble Les Accents mit ihrer CD Bach & Co. (Aparte), einer Tour durch das Hochbarock, das die Individualität der Komponisten lustvoll in die Gehörgänge spült. Zu den Highlights zählt auch Jet Set! (Pentatone), unter anderem mit einer von The New Dutch Academy besorgten faszinierenden Ersteinspielung von Abel-Sinfonien. Preisgekrönte Kammermusik aus dem frühen 20. und 21. Jahrhundert findet sich auf Cobbett’s Legacy mit dem Berkeley Ensemble (Resonus); ein gelungenes Konzept, das hoffentlich bald eine Fortsetzung findet. Hoch dekoriert wurde in diesem Jahr eine neue Einspielung von Rued Langgaards Sinfonie Nr. 6 (1920) mit den Wiener Philharmonikern unter Sakari Oramo (dacapo); weitaus zwingender ist für mich aber noch immer die 1983 im Rahmen der Dansk Musik Antologi entstandene Produktion mit dem damaligen Danmarks Radio SymfoniOrkestret unter John Frandsen. Nicht nur diese LP der grandiosen Serie hat es nicht auf CD geschafft, geschweige ins Streaming.
Man sollte sich vom heutigen Angebot nicht täuschen lassen! Zu den Favoriten des Jahres 2019 zählen ferner die rekonstruierte Leipziger Sinfonie von Hanns Eisler (Capriccio), Streichquartette polnischer Komponisten auf Poland abroad (EDA) sowie die erste Folge mit sinfonischen Werken des kaum mehr rezipierten schweizer Komponisten Heinrich Sutermeister. (Toccata)