„Heutzutage kennen die Leute vor allem den Preis und von gar nichts den Wert“, meinte einst Oscar Wilde. Auch wenn die Musikbranche ihr Interesse vor allem auf die Verkaufszahlen richtet, ist der ökonomische Erfolg dennoch kein (entscheidender) Maßstab, um den begehrten Preis der deutschen Schallplattenkritik zu erhalten. Vielmehr hebt diese Auszeichnung besondere kulturelle Qualitäten hervor und die Trophäe ist kein Preisgeld, sondern eine Urkunde. Das Etikett „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ kann allerdings den (ideellen) Wert des jeweiligen Produkts steigern und so für besseren Verkauf nützlich sein, Preis und Wert verstärken sich also im günstigen Fall gegenseitig.
Die „Kür der besten Scheiben“ findet seit 1963 einmal pro Jahr statt, seit 1980 gibt es zusätzlich „Vierteljahreslisten“, 2001 in „Bestenlisten“ umbenannt. Der ursprüngliche Stiftungspreis wurde 1988 von den Juroren in Frankfurt/Main als gemeinnütziger Vereinspreis der deutschen Schallplattenkritik neu gegründet. Die Preisverleihungen dienen laut Satzung „nicht in erster Linie wirtschaftlichen Zwecken“, sondern der „Förderung künstlerisch und technisch höchstwertiger Tonträger und Bildtonträger, die Mitglieder des Vereins (die zugleich die Jury sind) müssen unabhängig von Schallplattenherstellern sein.“ Die Arbeit der 114 Juroren in 27 Jurys ist ehrenamtlich, und deshalb, so die Staatsministerin für Kultur und Medien Christina Weiss in ihrer Rede bei der Jubiläumsmatinee für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, „unbedingt zu rühmen. Von hastigen Beleumundungen und Pokalen mit der Gravur der Geschäftemacherei unterscheidet sich dieser Preis durch seine Seriosität in der Hör-arbeit.“
Und zwar umfassend, denn die Juroren bewerten außer den Genres der Klassischen Musik auch Jazz, Rock, Pop, Oper und Musical, Zeitgenössische Musik, Chansons und Lieder, traditionelle ethnische Musik, Hörbücher, Kinder- und Jugendaufnahmen und DVD-Produktionen. Ein Symposion zum Thema „Wie und warum schreiben über Schallplatten? Eine Kritik der Kritik“ zeigte allerdings, dass die Funktion von CD-Rezensenten sich geändert hat. Zwar sind die Schallplattenkritiker eine qualifizierte Minderheit und ihre Texte können als Aspekte der Kulturgeschichtsschreibung gelesen werden, aber das Feuilleton großer Printmedien ist zur Meldung über Neuerscheinungen geschrumpft, wie Eleonore Büning von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung feststellte. „Diskurs ist nicht mehr gefragt“, weil kein Platz für längere Texte zur Verfügung gestellt wird. Deshalb tendiert die Rezensionsarbeit dazu, ein CD-Produkt zu bewerben, statt kritisch zu beurteilen. Hinzu kommt, dass durch die hohe Anzahl von jährlichen CD-Novitäten die kulturelle Bedeutung mancher Werke sich im schnellen Umsatztempo verflüchtigt. Die Schallplatte als eigenes Interpretationsmedium klassischer Musik wird, so der Autor Ulrich Schreiber, kaum noch wahrgenommen, denn die Möglichkeit, Interpretationen zu vergleichen, ist etwa durch Streichung von Sendezeiten beim Rundfunk zusätzlich begrenzt. Nur in Fachzeitschriften ist noch gewisser Raum für diskursive Rezensionen, auch für Interpretationsvergleiche, sagte Gregor Willmes, Chefredakteur von FonoForum. Aber auch da entsteht Termindruck, wenn Anzeigengeschäft und Textpublikation gekoppelt werden, sodass manchmal „schlampig recherchierte“ Kritiken erscheinen, wie Christian Kellersmann, Manager bei Universal, bemängelte.
Die Diskussion driftete von dieser Situationsbeschreibung bald zum allgemeinen Lamento über die Krise der Schallplattenindustrie und ihre Folgen für die journalistische Arbeit ab. Nicht Musikkritik im Sinne von Werkbeschreibung oder gar -analyse (gerade bei Aufnahmen zeitgenössischer Werke), sondern die Bewertung von Interpretationen sind gefragt. Außerdem kompensiert die Schallplattenkritik weitgehend Berichte über Konzerte, die bestenfalls noch angekündigt werden. Die Rezeption insbesondere klassischer Musik hat sich, da waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, stark verändert, ist zumindest auf dem CD-Sektor tendenziell zum Starevent degeneriert.
Trotz dieses tristen Befundes ist das Prestige des Preises der deutschen Schallplattenkritik konstant geblieben, ja gestiegen, denn außer den Jahrespreisen sind noch Ehrenurkunden für ihr Lebenswerk an den Chansonnier Reinhard Mey, den Chef der Firma Bear Family Records Richard Weize und an den spanischen Gambisten Jordi Savall verliehen worden. Ein Gesprächskonzert mit Jordi Savall und seinem Ensemble, die DVD-Präsentaion von „L’Orfeo“ von Claudio Monteverdi auf Großleinwand und die Demonstration „Zu neuen Klangwelten“ mit dem „Real Surround Sound“ der Firma Tacet rundeten das Programm zum Jubiläum zu „40 Jahre Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ab. Zu wünschen bleibt, um noch einmal Oscar Wilde zu zitieren, dass „die geistige Kritik (...) Europa weit enger zusammenführen (wird), als Krämer oder Gefühlsmenschen dies können.“
Martin Elste (Hg.): Ausgezeichnet!
Klassik, Jazz, Rock und Pop. Die besten CDs und LPs. 40 Jahre Preis der deutschen Schallplattenkritik (ca. 100 s/w-Abbildungen)
Henschel Verlag Berlin 2003, 176 S., e 12,90, ISBN 3-89487-473-2Infos & Kontakt:
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