Neue Platten von Bonfire, Colour Moves, And The Wiremen, Karl Neukauf, My Kung Fu, Bad Temper Joe
Songwriter sind immer in Mode. Nur manchmal gewissermaßen inflationär. Und langweilig. Bad Temper Joe gehört zu den Ausnahmen. Den vielen Ausnahmen. „Tough Ain’t Easy“ bedient das Genre in voller Balance und Wucht. Stimme und Gitarre reichen locker aus, ein paar wunderbare, intensive und geschundene Momente zu erleben. Bad Temper Joe ist tief verwurzelt im amerikanischen Folk, teilweise auch Country. Ihn live zu sehen, an einem schwülen Abend in Austin oder Nashville ... großartige Vorstellung (Timezone).
Künstlerinfo My Kung Fu: eine Ich-AG des Schweizers Domi Schreiber. So schreibt und entwirft er seine Songs und lässt sich dabei hin und wieder von Musikerinnen oder Musikern begleiten, unterstützen, nähren. „Hiergeist“ nennt sich offensichtlich nicht nur ein ehemaliger Lehrer meinerseits, sondern genauso das aktuelle My-Kung-Fu-Album. Geprägt ist es von einer breiten musikalischen Blutlinie. Pop überall. Trompeten auch. Elektronische Spielereien und Fitzelchen finden sich untergemischt. Des weiteren schöne Melodien, offene Töne, aber selten Kanten. Muss nicht sein. Kann desgleichen so gefallen (Solaris Empire).
Karl Neukauf. Aus Kassel. In Berlin lebend. City of hip music. City of all. Und so wenig flüssig wie uns Kassel über die Lippen kommt, ist Neukaufs Musik. Extrovertiert? Introvertiert? Nichts davon. Der hat eben seinen Kopf, seine Musik. Und dass man sie – so wie auf „Papperlapapp“ – nicht beschreiben kann, mag oder will, das ist doch ein prima Zeichen, dass es sich um tolle Musik handelt. „Paternoster“, der Einstieg ins Album. Zäh, beißend, grotesk. Aber tiefgehend. Oder „Flaschenpost“. Oder „Bevor die letzten Züge gehen“. Grandiose Alltagsgeschichten und Beobachtungen (aus „Einzig & Allein“: „Diese chronisch mies gelaunten Minusfressen den ganzen Tag“) im Song. Mal Klavier, mal Gitarre und immer Neukaufs Stimmfärbung. Unbedingt anhören. Aber erst kaufen (Timezone).
Bandnamen werden wohl nie einfach. Skurril darf es schon sein. And The Wiremen aus Brooklyn legen mit „Send me low“ wenigstens ein ebenso sperriges Album hin, wie es der Bandname fast verspricht. Getragen wird das alles vom Songwriter Lynn Wright, der musikalisches Kopfkino anbietet, das gut funktioniert. Natürlich muss man das mögen. Chansons, Pop jeglicher existierender Art, Jazz, Latin und ja, sogar Postrock, treffen bei And The Wiremen zusammen. Allerdings, sehr minimalistisch angerichtet, also weniger die Schuhbeck- Küche. Höchstwahrscheinlich kann man das alles nur in einem zugigen Loft in Brooklyn arrangieren (Solaris Empire).
Colour Moves warten mit einer rührenden Geschichte auf. Die Italiener wollten 1984 bis 1988 die Welt verändern. Musikalisch. Lief nicht. Trotz aller Anstrengungen mussten sie Eros, Gianna und Adriano den Vortritt lassen. 30 Jahre später veröffentlichen sie dann doch „A Loose End“, eine Auferstehung alter Demokassetten. Und das hat Charme. Es klingt anachronistisch und erinnert an die frühen U2. Jeder der alten Songs sprüht vom 80er-Drang, den Rock neu entdecken, neu definieren zu wollen. Natürlich wird „A Loose End“ nicht die Welt neu aufrollen. Aber in diesem originalen 80er-Flair zu leben, es nochmal zu riechen, das ist das Einzigartige an dieser Veröffentlichung (Solaris Empire).
Hardrock wird es immer geben. So wie Bonfire aus Ingolstadt. Das gefühlt dreißigste Album der Ingolstädter, leider muss man sagen ohne Sänger Claus Lessmann, der neben Gitarrist und Songschreiber Hans Ziller immer das Charakteristische der Band prägte. Man hat sich getrennt, die Gründe scheinen diffus. Der Titel „Glörious“ könnte zwar auch aus Harald Glööcklers Pompöös-Edition stammen, aber untertrieben ist der Titel nicht. Sehr großspurig wurden die Songs produziert (Background-Chöre!), amerikanisiert mitunter durch David Reece, den neuen Sänger (Ex-Accept). Das ist sehr ordentlich gelungen (Remember, Lies, Shooting Star), doch ist man als Bonfire-Fan mit Lessmanns Stimme sozialisiert worden, mag man sich mit David Reece und seinem amerikanischen Organ, das mächtig daherkommt, nicht auf Anhieb anfreunden. Deutlich wird das bei den von Reece gesungenen Klassikern „Sweet Obsession“ oder „American Nights“. Das ist Lessmann-Revier (Borila Records).