Neue Musik von und mit: Sylvano Bussotti, Jörg Herchet, Fumio Yasuda, Vivienne Olive, Fazil Say.
Fröhlich lachend zeigt sich auf dem Booklet der 82-jährige Sylvano Bussotti im Kreis von vier Pianisten und dem Elektroniker Alvise Vidolin, mit denen zusammen er eine Auswahl aus seinem reichhaltigen Klavierwerk aufgenommen hat. „Quattro pianoforti“, die jüngste Komposition von 2011, ist eine inspirierte Arbeit über Material aus seinem alten Klavierkonvolut „Pour clavier“, die „Sette fogli“, eine „okkulte Sammlung“ für drei Spieler von 1959, macht noch einmal die experimentelle Instrumentalbehandlung jener Zeit erlebbar, und in dem für Elzbieta Chojnacka geschriebenen Werk „La vergine ispirata“ hört man Bussotti selbst am Cembalo, begleitet von vier präparierten Klavieren und Live-Elektronik. Der spielerische Geist des Kalligrafen, Klangerfinders und Schönheitssuchers von einst ist noch immer lebendig. (Stradivarius STR 33952)
„Seligpreisungen“ in Anlehnung an die Bergpredigt nennt Jörg Herchet den achten und letzten Teil seiner „Komposition 1 für Orgel“, der eine glatte Dreiviertelstunde dauert. Der in DDR-Zeiten politische und bis heute auch kirchliche Dissident Herchet arbeitet darin, wie Ingo Dorfmüller in seinem aufschlussreichen Begleittext nachweist, auf ausgefuchste Weise mit harmonischen Strukturelementen und mit einer an Bach gemahnenden Tonsymbolik. Das Stück ist ein überzeugendes Beispiel, wie religiös gebundene Musik heute aussehen kann. Dass es darüber hinaus zu einem erregenden Hörerlebnis werden kann, ist der Interpretation durch Dominik Susteck zu verdanken, der die schier unbegrenzten Klangmöglichkeiten der Orgel in der Kunst-Station Sankt Peter in Köln mit hoher Intelligenz zur Verdeutlichung der musikalischen Strukturen einsetzt. (Querstand VKJK 1233)
Aus der Zusammenarbeit des japanischen Fotografen Nobuyoshi Araki mit dem Komponisten Fumio Yasuda und dem Münchner Klangregisseur Stefan Winter an einem audiovisuellen Projekt ist die CD „On the Path of Death and Life“ hervorgegangen, die mit ihrer Mischung von Tonbandaufnahmen aus dem Alltag und Klaviermusik ein Hörbild aus dem gegenwärtigen Japan entwirft. Die meist nur spärlich eingesetzte, improvisatorisch wirkende Klaviermusik und der akustische Soundscape ergeben zusammen ein flüchtiges, fließendes Klangbild, was durchaus doppeldeutig gemeint ist. Die Aufnahmen sind nach dem großen Tsunami 2011 entstanden. In ihnen klingt immer wieder das Wasserrauschen an und erreicht gegen Schluss eine bedrohliche Nähe. Etwas vom Gefühl nach der Katastrophe schwingt in diesen stimmungsvollen Klangbildern mit. (Winter & Winter 910 204-2)
Eine unauffällige Synthese von his-torischen Formen wie Fuge, Passacaglia und Ragtime mit heutigen musikalischen Sprechweisen zeigt sich in den Klavierkompositionen der in Nürnberg lebenden englischen Komponistin Vivienne Olive. Die von Uta Walther mit erfrischender Leichtigkeit und Brillanz gespielten Werke zeigen, dass auch dem „normalen“ Spiel auf den Tasten noch immer neue Ausdruckswerte abzugewinnen sind. Im Zentrum stehen zwei Klavierzyklen: „The Dream Gardens“ und „Five Australian Land-scapes“, fein gearbeitete pianistische Miniaturen, in denen sich die unendliche Vielfalt der Natur in einem großen Reichtum an Farben und Formen niederschlägt. (Xolo Music, CD 1032)
Mesopotamien, das alte Land „zwischen den Flüssen“ und heutige Staatsgebiet des Irak, hat Fazil Say zum Thema seiner zweiten Sinfonie gemacht. In zehn Sätzen wird der Konflikt zwischen Kriegsfuror und Friedensvision mit unmittelbar einleuchtenden kompositorischen Mitteln ausgetragen – ein von einer ehrlichen Grundhaltung getragenes, wenn auch etwas plakatives Verfahren. Kurdische Melodie und Theremin sind dabei keine Gegensätze. In seiner „Universe Symphony“ geht es um Planeten und Dunkle Materie. Auch hier eine Perspektive in die Tiefen des kollektiven Bewusstseins. Die Musiksprache ist nun aber entschieden innovativer, was zweifellos am abstrakteren Sujet liegt. Im Konzertmitschnitt aus Istanbul entfachen die beiden Werke Begeisterungsstürme. (naïve)