Claude Loyola Allgén: Sonate für Solovioline (1989). Ulf Wallin
BIS CD 1381/82
Schweden ist ein seltsames Land. Die wirklich substantielle Musik hat man dort stets ebenso unterdrückt wie jede Form unangepassten Individualismus’. So verwundert es ebenso wenig, dass die eigentliche Entdeckung des obsessiven Symphonikers Allan Pettersson außerhalb seiner Heimat stattfand, wie, dass man nur am Rande die zukunftsweisende, höchste Maßstäbe setzende Musik Anders Eliassons wahrzunehmen bereit ist. Was überall gilt, scheint sich in Schwedens geistiger Windstille zu einer schwarzen Wolke der Stumpfheit verdichtet zu haben: wahre Größe ist bedrohlich für alles Mittelmaß und muss abgelehnt werden.
Eine der verwegensten Gestalten der Musikgeschichte ist Claude Loyola Allgén, geboren 1920 in Kalkutta, aber in Schweden aufgewachsen, früh im musikalischen Handwerk ausgebildet und Mitglied der fortschrittlichen Monday Group, wo er allerdings ein Außenseiter blieb, den die anderen als „intellektualistisch“ empfanden. 1950 trat Allgén zum Katholizismus über und machte am Innsbrucker Jesuitenkolleg die Priesterausbildung, ging jedoch 1961 nach Schweden zurück, ohne die Priesterweihe empfangen zu haben. Dort gestaltete sich der Rest seines äußeren Lebens zu einem erbärmlichen Misserfolg. Ulf Wallin, der begnadete Geiger, der nun erstmals Allgéns im Jahr vor seinem Tod entstandene Soloviolinsonate eingespielt hat, was die „mit Abstand schwierigste musikalische und technische Herausforderung meines bisherigen Lebens“ war, berichtet in dem sehr umfangreichen und in der Fülle der Informationen dem Gegenstand angemessenen Booklet: „Allgén lebte in absolut ärmlichen Verhältnissen. Da er Rechnungen selten oder nie pünktlich begleichen konnte, wurde sein Haus von der Wasser- und Energieversorgung abgekoppelt. Allgén schmolz Schnee in der Badewanne, heizte einen Ofen mit alten Zeitungen, die er in den umliegenden Bahnhöfen sammelte und beleuchtete sein Haus mit Kerzen. Am 18. September 1990 ging dieses Haus in Flammen auf, in denen Allgén umkam.“
Nun also die Soloviolinsonate, ein Werk fürs Buch der Rekorde: in drei Sätzen, insgesamt über 160 Minuten lang, davon der Allegro moderato-Kopfsatz alleine 73 und das Adagio 59 Minuten. Was für Musik ist das, die dieser Geächtete in seiner Isolation schrieb? Sie ist hochchromatisch, kennt ungeachtet ihrer Länge keine Ruhepunkte, erstreckt sich in ihrer flackernden Stilistik über die Zeiten hinweg wie ein reanimierter Archäopteryx. Ich übertreibe nicht mit der Behauptung, dass Allgéns Sonate angesichts ihres endlos modulierenden, keine markanten Einschnitte zulassenden Charakters eigentlich kurz geraten ist. Das Werk könnte, indem es seinem tatsächlichen Wesen gerecht wird, Tage dauern oder auch ewig. Allgén ist in die Schattenbereiche der „Welt neben der Welt“ geraten, hat sich in dieser drogenrauschhaften Traumwelt verirrt. Er ist ein Verlorener, der kein Interesse hat, je wieder zurückzufinden. Diese Sonate ist ein Trip in verlassene, morbide Regionen fast anorganischen Ursprungs anmutender Abgründe. Allgéns energetische Wahrheit ist die des Horror vacui (dies der Titel seines auf diese megalomanische Sonate folgenden letzten Werks), der Todesangst vor der Leere, die in unendlichen Phrasen das Licht flieht.