20th Century Harpsichord Concertos. Jory Vinikour (Cembalo), Chicago Philharmonic, Scott Speck. Cedille +++ Paul Hindemith: Ludus tonalis; Käbi Laretei. Eloquence Classics +++ mikroPULS. Gebhard Ullmann, Hans Lüdemann, Oliver Potratz, Eric Schäfer. Intuition +++ Hans Zender: Schuberts Winterreise. Eine komponierte Interpretation. Hans Peter Blochwitz, Tenor; Ensemble Modern, Ltg. Hans Zender. EM Medien
20th Century Harpsichord Concertos. Jory Vinikour (Cembalo), Chicago Philharmonic, Scott Speck. Cedille
Während die Bach’schen Konzerte seit Jahrzehnten ungehindert auf einem großen schwarzen Tastenkrokodil gespielt werden, bleibt bei modernen Cembalo-Konzerten das neue, alte Instrument verpflichtend. Doch ist das Repertoire keineswegs (mehr) auf Werke von Distler, Martin und Françaix beschränkt. Wirklich Neues zu erkunden gibt daher auch diesem Album das entscheidende Plus. Mit seinem feinen taktilen Sinn hat sich Jory Vinikour recht unterschiedlichen Kompositionen von Walter Leigh (1934), Ned Rorem (1946), Viktor Kalabis (1974/75) und Michael Nyman (1995) angenommen – eine gerade mit ihrer natürlichen Sprödigkeit erhellende Entdeckungsreise durch unbekanntes Terrain.
Michael Kube
Paul Hindemith: Ludus tonalis; Käbi Laretei. Eloquence Classics
Paul Hindemiths „Ludus tonalis“ von 1942 ist eines der großen Kontrapunkt-Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, doch seit Jahrzehnten war keine adäquate Einspielung erhältlich. Die Estin Käbi Laretei (1922-2014), Schülerin von Eduard Tubin und Edwin Fischer, hat das Werk 1965 mit überlegener Disposition und Technik in vollendeter Weise in allen charakteristischen und polyphonen Aspekten aufgenommen. So feinsinnig und fern aller Sentimentalität gespielt ist Hindemith als hochorigineller Fugenkomponist Schostakowitsch mindestens gleichwertig.
Christoph Schlüren
mikroPULS. Gebhard Ullmann, Hans Lüdemann, Oliver Potratz, Eric Schäfer. Intuition
Als ob eine Zentrifuge Klangmoleküle zunächst dehnen würde, formt sich aus dem Bass-Intro von Oliver Potratz durch „Enge Bewegung“ mikrotonal ein träger Blues. Intervalle werden dann auch im ruhigen Tenorsax-Thema mehrdeutig, indem Gebhard Ullmann Vierteltöne verwendet, die Hans Lüdemann an einem virtuellen Klavier ebenso akkordisch begleitet. Schlagzeuger Eric Schäfer fügt mit dezentem Groove ein stabiles Jazzelement hinzu. Das sinnliche Zwielicht der Dämmerung und die emotionale Ambivalenz des Blues sind hier allerdings nicht verfremdet, sondern in Konturen des Vagen und Strukturen der Unschärfe erst per se kenntlich. In weiteren sieben Kompositionen aktiviert mikroPULS die latente Semantik des Jazzvokabulars durch organischen Stil so, dass man bis in utopische Klangdimensionen spähen kann.
Hans-Dieter Grünefeld
Hans Zender: Schuberts Winterreise. Eine komponierte Interpretation. Hans Peter Blochwitz, Tenor; Ensemble Modern, Ltg. Hans Zender. EM Medien
Derzeit gibt es bei einem großen Versandhändler vom Original der Ersteinspielung von Hans Zenders „Schuberts Winterreise“ (1993) noch 11 CDs gebraucht ab 6,83 Euro und eine neu für 29,90 Euro. Höchste Zeit also für Ensemble Modern Medien eine Neuauflage herauszubringen. Im Vorwort zur Edition äußert sich Hans Zender zu seinem angewandten Verfahren einer „komponierten Interpretation“: „Meine Lecture der Winterreise sucht nicht nach einer neuen expressiven Deutung, sondern macht systematisch von Freiheiten Gebrauch, welche alle Interpreten sich normalerweise auf intuitive Weise zubilligen: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition in andere Tonarten, Herausarbeiten charakteristischer farblicher Nuancen.“ Das Ensemble Modern spielte die Uraufführung des Werks am 21. September 1993 in der Alten Oper Frankfurt. Die nun wieder vorliegende Aufnahme entstand im August 1994 in Kooperation von BMG Classics und dem Hessischen Rundfunk. Mit Hans Zender als Komponist, Initiator und Denker verband das Ensemble Modern eine tiefe und langjährige Beziehung; er gab Impulse zur Gründung des Ensemble Modern im Jahr 1980. Dass Zender am 22. Oktober selbst „seine“ eigene Winterreise antreten musste (siehe Nachruf auf Seite 6), lässt einem den Liedzyklus Schuberts noch einmal eindrücklicher nahekommen als bisher.
Andreas Kolb