Marcelle de Manziarly: Kammermusik +++ Carl Reinecke: Auswahl aus dem Gesamtwerk für Klavier solo +++ David Chaillou: Natures (Kammermusik) +++ Tomasz Skweres: On The Brinks Of Reality
unüberhörbar 2024/9
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Marcelle de Manziarly: Violinsonate, Klaviertrio, Dialogue, Trilogue, Nocturne. Cecilia Zilliacus, Violine; Kati Raitinen, Cello; Bengt Forsberg, Klavier. BIS (SACD)
Rechtzeitig zum 125. Geburtstag erscheint dieses wertvolle Kammermusik-Kompendium einer bislang kaum diskographisch dokumentierten, dabei zu ihrer Zeit durchaus etablierten Komponistin. Nun engagieren sich skandinavische Interpret*innen der ersten Güteklasse für die auch als Pianistin, Dirigentin und Musikautorin tätige Marcelle de Manziarly, die schon vor ihrem Tod 1989 in Vergessenheit geraten war, obwohl (oder weil?) sie die Traditionslinie Fauré – Debussy – Ravel – Lili & Nadia Boulanger (letztere ihre langjährige Mentorin) organisch fortsetzte. Der Violinsonate, dem Gesellinnenstück der Achtzehnjährigen, und dem meisterlichen Klaviertrio von 1921 stehen knappere und sprödere, aber nicht minder faszinierende Stücke aus den 70er-Jahren gegenüber. Wann hören wir ihre Orchesterwerke?
Mátyás Kiss
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David Chaillou: Natures (Kammermusik). Laura Mikkola, Klavier; Christophe Pantillon, Cello; Aron Quartett. Genuin Classics
David Chaillou, geboren 1971 in Paris, früh zum ausgezeichneten Pianisten gereift, ist heute einer der feinsten französischen Komponisten. Das Konzeptalbum „Natures“ beschreibt einen ästhetisierten Tagesablauf, abwechselnd aus Musik für Streichquartett, Solo-Cello, Klavier und Perkussion (zweimal atmosphärisch kombiniert mit Naturklängen wie Vogelstimmen vom Band) zusammengesetzt. Ob Cellist Christophe Pantillon tremolo, sul tasto, pizzicato oder ganz normal zu spielen hat, ob Pianistin Laura Mikkola im Flügel zupft oder in die Tasten greift, spielt musikalisch keine Rolle: die moll-tonal introvertierten, minimalistisch durchtränkten, strukturell asketischen Klanglandschaften sind präzise geformt, evokativ im Ausdruck und gehen unmittelbar ins Ohr. Alle Stücke sind einsätzig. Hauptwerk ist das Quartett „Vita Nova“ von 2021, das sich wunderbar neben Pärt, Vasks oder Kancheli behaupten kann. Blitzsauber spielt das Aron Quartett. Ein Album mit Kultpotenzial, vor allem die Pizzicato-„Hieroglyphen“ für Cello, die mit einem überraschenden gestrichenen Ton enden.
Christoph Schlüren
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Carl Reinecke: Auswahl aus dem Gesamtwerk für Klavier solo. Johannes S. Leung, Klavier. Eigenlabel
Vor 200 Jahren, am 23. Juni 1824, wurde Carl Reinecke geboren. Als Komponist, Rekord-Gewandhauskapellmeister (1860 bis 1895) und Kompositionslehrer am Konservatorium war er Jahrzehnte lang eine der prägenden Figuren des Leipziger und damit des deutschen Musiklebens. Sein umfangreiches, als konservativ abgestempeltes Œuvre spielt mit Ausnahme des Flöten- und des Harfenkonzerts sowie der Flötensonate („Undine“) kaum eine Rolle im Repertoire. Sinfonisches und Konzertantes sowie seine Kammermusik ist mittlerweile jedoch in Einspielungen gut repräsentiert. So wurde kürzlich der Sinfonienzyklus bei cpo komplettiert und bei Hyperion erschienen die Klavierkonzerte. Die größte Lücke auf Tonträgern schließt nun Johannes Leung und legt das komplette Klavierwerk auf 19 Alben vor. Die verlässlich gespielte Auswahl-CD gibt einen hilfreichen Überblick über die bedeutsame, oftmals auch pädagogisch relevante Werkgruppe. Infos und Bestellmöglichkeit: johannes.s.leungweb.de (johannes[dot]s[dot]leung[at]web[dot]de)
www. johannes-leung.de
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Tomasz Skweres: On The Brinks Of Reality. Josefine Göhmann, Joanna Freszel, Ensemble Reconsil, Österreichisches Ensemble für Neue Musik, ORF Radio-Symphonieorchester Wien u.a. Dux
Der Komponist Tomasz Skweres beweist auf dieser Porträt-CD Klangsinn und lyrisches Einfühlungsvermögen. Den Vorlagen von Rainer Maria Rilke und Maria Skweres verleiht er in kammerinstrumentalen Liederzyklen eindringliche Kontur, der großformatige, physikalisch inspirierte Viertelstünder „Über das farbige Licht der Doppelsterne…“ flirrt in vielfältigen Orchesterfarben.
Juan Martin Koch
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