Begegnungen mit Othmar Schoeck gleichen durchweg der Neuentdeckung dieses Komponisten, der im aktuellen Repertoire nicht mehr existiert. Von seinen sieben Opern erscheint auf den Bühnen gelegentlich und in langen Zeitabständen Penthesilea (vielleicht mehr wegen Kleist?), aber seine Konzerte, seine Kammer- und Klaviermusik bleiben ungespielt. Auch für seine Lieder, Hauptteil seines Schaffens, engagiert sich kein Sänger mehr. Gründe für diese Zurückhaltung bleiben verschwommen.
Die schweizerische Heimat bedeutete für Schoeck das existentielle Zentrum; provinzielle Enge als mögliche Kehrseite der Medaille scheint ihn nie bedrängt zu haben. In sein persönliches Erscheinungsbild gehört außerdem, dass er nicht nur der Spätromantik anhing, sondern sich von modernen Kompositionsverfahren ausdrücklich distanzierte. Dabei enthält seine Musik viel Sperriges, das eine so grundsätzlich traditionalistische Haltung desavouiert. Auf Tonträger ist Schoeck nicht mal schlecht vertreten, allerdings so verstreut, dass man nach einschlägigen Aufnahmen suchen muss. Die werden nun ergänzt durch eine außerordentliche von Schoecks Notturno in fünf Sätzen – die momentan zweite vorhandene dieses Werkes. Zu Beginn des fünften Satzes muten wie ein Leitgedanke die Worte „Rings ein Verstummen, ein Entfärben“ an.
Verse Lenaus und ein Gottfried-Keller-Fragment bestimmen Tonfall, Stimmung und Tempo der Musik, in der sich zum Bariton ein keineswegs auf Begleitfunktionen reduziertes Streichquartett gesellt. Ihm sind energisch bis expressiv Eigenwilligkeit behauptende Zwischenspiele überantwortet. Zwielicht und Dunkel überdecken wie ein nahezu szenisch sich ausnehmender Schleier den Verlauf. Mit edlem Wohllaut und flirrender Intensität verdeutlichen das Gerhaher und das Rosamunde Quartett, das den Foliencharakter der Klangstrecke einlöst, ohne seine Autonomie zurückzunehmen. Die charakteristische Essenz der Komposition wird bewundernd getroffen.
Othmar Schoeck: Notturno; Christian Gerhaher; Rosamunde Quartett. EMC/Universal12061