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Als Schultze den Blues bekam

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Legendäre Lippmann- + Rau-Konzerte endlich auf DVD
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Ich erinnere mich noch gut, es muss Ende der 60er-Jahre gewesen sein, als ich zum ersten Mal mit brasilianischer Musik in Berührung kam. Nein, es war nicht das berühmt-berüchtigte „Girl From Ipanema“, das mich verführte, sondern eine Gruppe mit dem coolen Namen Sergio Mendes & Brasil ‘66. Auf den „Wellen“ von Ö3 hatte ich einen „Schlager“ gehört, der mich elektrifizierte: „Upa, Neguinho“. Erst viel später erfuhr ich den Namen des Komponisten meines Liedes: Edu Lobo.

Irgendwann Mitte der 70er-Jahre las ich seinen Namen zum ersten Mal auf dem Plattencover eines „Brazil“-Samplers, den Claus Schreiner zusammengestellt hatte. Meine damalige Suche nach weiteren Langspielplatten von Edu Lobo verlief erfolglos. Noch heute wird in „Weltmusik“-Abteilungen mein Held mit dem amerikanischen Songwriter Lobo („Me And You And A Dog Named Boo“) verwechselt. Warum ich das alles erzähle? Weil ich Edu Lobo nun endlich „live“ erlebt habe. Was er sang? Natürlich „Upa, Neguinho“! 1966 war mein Held in der „Liedertafel“ Mainz mit diesem Titel aufgetreten, und der WDR hatte diese intime Performance mitgeschnitten. Nach Europa gebracht hatten den Künstler seinerzeit der Konzertveranstalter Horst Lippmann und der „Jazz-Papst“ Joachim-Ernst Berendt, für ein „Bossa Nova do Brasil“-Festival, zusammen mit der legendären Sängerin Sylvia Telles oder der wunderbaren Gitarristin Rosinha de Valencia. Wer uns daran wieder erinnert hat: Claus Schreiner, der für Tropical-Music (Vertrieb: Sony) diesen Schatz wiederentdeckt hat. Auf DVD erschienen ist dieses Konzert im Rahmen einer vorzüglichen Edition mit TV-Mitschnitten der legendären „Lippmann + Rau“-Festivals der Sixties.

Unter dem biederen Titel „Folklore der Welt“ präsentierte damals die ARD diese Reihe mit Musik aus Nord- und Lateinamerika. Den Begriff „Weltmusik“ gab es damals noch nicht. „Negermusik“ nannte man damals im guten alten Nazi-Jargon noch immer die Musik unserer amerikanischen Verbündeten. Dabei machte man kaum einen Unterschied zwischen Blues und Hillbilly-Music. In diesem geistigen Klima veranstalteten Horst Lippmann und Fritz Rau 1962 das erste „American Folk Blues Festival“. Ein gewisser Mick Jagger war damals davon so begeistert, dass er eine eigene Band gründete: The Rolling Stones, benannt nach einem Song von Muddy Waters. Das Blues-Revival erfasste danach ganz Europa. Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung waren Lippmann und Rau, die viele der längst vergessenen Musiker wie Son House oder Bukka White in den USA wiederentdeckt hatten. Drei der großen Blues-Festivals von 1967–69 wurden damals vom Fernsehen mitgeschnitten. So können wir noch einmal „Chess“-Stars wie Little Walter, Koko Taylor oder John Lee Hooker „live“ erleben. Unglaublich bieder, wie damals üblich, werden die Künstler von Siegfried Schmidt-Joos angekündigt. Im Volkshochschul–Stil wurde in jenen Jahren, als der „Beat-Club“ Musik von „Gammlern“ und „Langhaarigen“ präsentierte, musikpädagogische Aufbauarbeit geleistet. Von „weltlicher Volksmusik der nordamerikanischen Farbigen“ sprach da Schmidt-Joos und von Blues-Sängern als „lebendigen Zeitungen“. Eine Sprache für diese Art von Musik musste damals erst gefunden werden. Wobei diese Einführung in die „Welt des Blues“ heutzutage, wo nur noch von „Leuchttürmen“ und „Kompetenz-Kompetenzen“ geschwafelt wird, durchaus schon wieder charmant klingt.

Legendär sind übrigens nicht nur die Lippmann + Rau-Festivals, sondern auch deren Plakate, die Günther Kieser gestaltete. Manche dieser Plakate wurden zu Ikonen der Sixties und hingen nicht nur in den Studentenbuden der TV- und Kinoproduktionen aus jener Zeit, sondern sie prangen nun auch auf den Covers der drei „Legends of“-DVDs: Folklore Argentino, Flamenco & Musica do Brasil; Spiritual & Gospel and Folk & Country; American Folk Blues Festivals. Rund sieben Stunden lang kann man hineineintauchen in die musikalischen Welten unserer „amerikanischen Freunde“. Und noch einmal den Jahrhundertsongs lauschen, die damals erklangen: „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“, „Rock Island Line“, „Baby Please Don’t Go“ oder „Upa, Neguinho“. Eine kulturhistorisch wichtige Edition – mit ausführlichen Booklets. Prädikat: besonders wertvoll.

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