Ein hübsches Foto schmückte die schon 2000 erschienene Telarc-Gesamtaufnahme von Mozarts „Entführung“ mit Charles Mackerras: der von mehreren uniformierten arabischen Kriegern mit Metallhelmen begleitete Bassa Selim reitet als weiß verhüllter Reiter einen Schimmel, hinter ihm tragen gleichermaßen weißgekleidete Männer Constanze auf einer Sänfte – der türkische Hintergrund des Mozart-Singspiels wurde augenfällig und die Fantasie schweifte beim Zuhören der mit vielem echt türkischen Tschindarassabum angereicherten Musik und mit temperamentvoll singenden Protagonisten nach Osten an den Bosporus…
Nun erschien eine DVD-Aufzeichnung, die im Istanbuler Topkapi-Palast entstand und sowohl in der faszinierenden Architektur des herrlichen Bauwerks und vor allem seines Harems und auch in den bildstarken Kostümen einer längst vergangenen Zeit schwelgt. Nicht ganz klar wird allerdings, in welchem Zusammenhang Musikaufzeichnung und Filmaufnahme zueinander stehen: Nach dem CD-Booklet wurde die Musik im Sommer 1999 in Dundee in Schottland aufgenommen. Der Film entstand wohl später in Istanbul, so dass sich die Protagonisten eigentlich einem Playback angepasst haben müssten. Der Film versteht sich aber ausdrücklich als Dokumentation über die Opern-Aufnahme im Topkapi-Palast und so wird die von Mozart so genial vertonte Geschichte immer wieder von – nicht unbedingt stets erhellenden – Kommentaren und Bildern der Inszenierungsvorgänge unterbrochen.
Gibt man sich dann aber der Bilderfolge hin und lässt sich weder vom gelegentlich bemühten Deutsch der Sängerschar irritieren – der englische Film- und Theaterschauspieler Oliver Tobias allerdings spricht Bassa Selims Worte akzentfrei und wohlklingend sonor – noch von einigen Problemen der Sänger bei Koloraturen und Spitzentönen ablenken, dann wird man mehr und mehr gefesselt von einer pompösen, farbenprächtigen Inszenierung, die auch den tieferen Sinn des mit – vielleicht allzu edler – edler Menschlichkeit gekrönten Geschehens nahezubringen versteht und mit köstlich-originellen Szeneneinfällen aufwartet: Belmonte singt seine Auftrittsarie auf dem Weg zum Palast durch eine bunte Menschenmenge in alten türkischen Gewändern; er erblickt Constanze auf einem hübschen Balkon des Harems; Osmin schimpft seinen letzten Hassausbruch vom Dach des Palasts hinunter in den Innenhof.
Hat man diese in Farben, Bauten und Tönen schwelgerische Singspiel-Opern-Dokumentation als Bildfolge genossen (Format 16/9, Untertitel in fünf Sprachen), kann man sich dem „Soundtrack“, wie die Musikspur tatsächlich bezeichnet wird, auf der Doppel-CD um so intensiver widmen und dabei – etwa in der Pedrillo-Arie „Frisch zum Kampfe“ – genießen, wie neben Naturtrompeten und Waldhörnern die türkischen Trommeln klingen, wenn sie mit hölzernen Schlegeln in der einen und einer Rute in der anderen Hand gespielt werden, dazu kleine Becken, Triangel mit am Rand befestigten Metallringen und schließlich noch ein türkischer Schellenbaum – alles eigens erworbene türkische Originale, wie Mackerras im CD-Beiheft berichtet.
Insgesamt ein Erlebnis für Auge und Ohr.
• Mozart: Die Entführung aus dem Serail KV 384 (als Soundtrack des Films „Mozart in der Türkei“); Paul Groves (Belmonte), Yelda Kondalli (Constanze), Désirée Rancatore (Blondchen), Lynton Atkinson (Pedrillo), Peter Rose (Osmin), Oliver Tobias (Bassa Selim); The Scottish Chamber Orchestra & Choir, Leitung: Sir Charles Mackerras
Gesamtaufnahme: Telarc / in akustik 2CD 80544 (2000)• Film „Mozart in der Türkei“:
BBC Opus
Arte/Naxos OA 0891 D (2004)