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Gediegenheit und Größenwahn: Opern von Cavalli bis Ligeti in DVD-Neuerscheinungen

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Ein Theater-Coup à la Fura dels Baus: Das Video einer Frau, die mit dem Tod zu ringen scheint, friert ein – als riesenhafte, den Arbeiten des Bildhauers Ron Mueck angelehnte Figur beherrscht sie fortan die Bühne für Ligetis „Grand Macabre“ (Arthaus).

Dessen abstrus-apokalyptische Handlung entspringt förmlich diesem sich in todesnaher Schockstarre befindenden Körper: Die Personen sind mit ihren Kostümen Organen und Vitalfunktionen zugeordnet, gleichzeitig wird der Torso auf spektakuläre Weise als Projektionsfläche genutzt. Die Gigantomanie, die bei einigen der jüngsten katalanischen Opernproduktionen eine von den Werken eher ablenkende Eigendynamik entwickelte (etwa bei der Münchner „Turandot“), ist hier ganz auf der Höhe eines Stücks, das vom Ensemble (Barbara Hannigans großartige Venus sticht heraus) szenisch wie vokal mit hoher Intensität und Lust an der anti-anti-opernhaften Textur realisiert wird. Michael Boder ist ein souveräner Koordinator und steuert das Orchester des Gran Teatro del Liceu sicher durch Ligetis lustvolle Klang-Dekonstruktionen.

Knapp und klar kommentiert Boder das Werk für das Bonusmaterial, das hier endlich einmal seinen Namen verdient. Statt wie sonst oft üblich die Sänger Plattitüden über ihre Rollen absondern zu lassen, konzentriert sich die Dokumentation auf das Produktionsteam rund um Àlex Ollé und Valentina Carrasco, die nicht nur ihr schlüssiges Konzept erläutern, sondern anhand faszinierender Aufnahmen und Computeranimationen die logistische Dimensionen dieses Mammutvorhabens plas-tisch werden lassen. So größenwahnsinnig und verrückt muss Oper sein.

Gediegener und bewusst retrospektiv angelegt ist demgegenüber die Wiederbelebung, die man an der Pariser Oper Giorgio Strehlers legendärer „Nozze di Figaro“-Inszenierung von 1973 hat zuteil werden lassen (BelAir). Die so etwas wie stille Größe ausstrahlende Produktion, die Gérard Mortier endgültig aus dem Spielplan hatte verbannen wollen, wurde von Humbert Camerlo mit großem Respekt rekonstruiert, sodass man sich an der ästhetisch hochklassigen, präzise getimten und in manchen Details der Personenkonstellationen sehr genau beobachtenden Konzeption des Regiegroßmeisters erfreuen kann. Vor allem den Spannungen zwischen Figaro und Graf wird präzise nachgespürt, was auch den Sängern Luca Pisaroni und Ludovic Tézier zu verdanken ist. Ekaterina Siurina ist eine ausgezeichnete Susanna, Barbara Frittoli als Gräfin steigert sich im Lauf der Aufführung, Philippe Jordan gestaltet viele überzeugende Passagen, das Pariser Opernorchester ist nicht durchweg brillant.

Auch die Inszenierung von Strawinskys „The Rake‘s Progress“, die John Cox 1975 in der Ausstattung David Hockneys für Glyndebourne erarbeitete, ist ein Klassiker. Dass sie nun als Revival von 2010 vorliegt (Opus Arte), ist nicht unbedingt zwingend, war doch schon der Jahrgang 1977 auf DVD veröffentlicht worden. Die ausgezeichnete Besetzung mit Topi Lehtipuu als Tom Rakewell und Miah Persson als Anne Trulove, das seziermesserscharfe Dirigat Vladimir Jurowskis und die erstklassige Bild- und Tonqualität, zumal auf Blu-ray, lässt man sich andererseits gerne gefallen.

Gleiches gilt für Rossinis „Le Conte Ory“, der in der harmlosen Schmunzel-Inszenierung aus der New Yorker Met seine elektrisierende Wirkung ganz dem formidablen Protagonisten-Trio Juan Diego Florez, Diana Damrau und Joyce di Donato verdankt (Virgin Classics).

Auch die Produktion von Francesco Cavallis „La Didone“ aus dem Théâtre de Caen (2011) lebt von einem überragenden Sängerensemble, das den zwischen Deklamation und Arioso changierenden Stil der unspektakulären Szenerie zum Trotz (Regie: Clément Hervieu-Léger) in vitales Musiktheater verwandelt. William Christie holt mit Les Arts Florissant das an Farben heraus, was in der kleinen, feinen Instrumentierung dieses Purcell- und Berlioz-Vorläufers steckt (Opus Arte). 

Szenisch eher bieder war auch das, was Gustav Rudolf Sellner 1964 an der Deutschen Oper Berlin aus Verdis „Don Carlos“ (in gewöhnungsbedürftiger deutscher Fassung) machte. Aus einigen Aufeinandertreffen schlägt er allerdings starke dramatische Funken, insbesondere wenn Dietrich Fischer-Dieskau beteiligt ist, dem die Rolle des Marquis von Posa auch vokal sehr lag. Aus dem Ensemble ragen Martti Talvelas Großinquisitor und Josef Greindls etwas zu stark auftragender Philipp heraus. Wolfgang Sawallisch packt mit dem etwas grell und lärmend klingenden Orchester kraftvoll zu (Arthaus).

Subtiler ging da vergangenes Jahr Esa-Pekka Salonen zu Werke, als er in Salzburg die Wiener Philharmoniker in Janáceks „Sache Makropulos“ zu farbigem, tiefengeschärftem Spiel animierte (C Major). Christoph Mar­thaler setzte sein rigides Raumkonzept – Anna Viebrocks Gerichtssaal als Einheitsbühne – mit präziser Personenregie um, ironische, an der Grenze zum Slapstick angesiedelte Details rund um die Vergeblichkeit der Wiederholung inklusive. Die nicht durchweg gebannte Gefahr szenischen Leerlaufs wird durch glänzende Sängerschauspieler aufgefangen; im Zentrum: Angela Denokes überragend gesungene und intensiv gespielte Emilia Marty – ein faszinierendes Gespenst morbider Unsterblichkeit.

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