Zwölf Jahre hat es gedauert, bis dieses Projekt endlich realisiert werden konnte, doch wenn sich Helma Sanders-Brahms etwas in den Kopf gesetzt hat, kann man sie schwer davon abhalten. Selbst als ihr die Hauptdarstellerin, Isabelle Huppert, wegen Überarbeitung absagte, fand sie vier Wochen vor Drehbeginn noch Ersatz: Der deutsche Filmstar Martina Gedeck („Das Leben der Anderen“) sagte kurzfristig zu. Perfektionistin wie Sanders-Brahms ließ sie sich auf das Set der Weihnachtskomödie „Eine schöne Bescherung“, die sie gerade drehte, ein Harmonium und in ihre Wohnung einen Flügel stellen und begann wie besessen, Klavier zu üben.
Schließlich musste sie wenig später eine der größten Pianistinnen des 19. Jahrhunderts darstellen: Clara Schumann, geborene Wieck, die schon im Alter von zwölf Jahren als Wunderkind in den Konzertsälen Europas herumgereicht wurde. Im strengen Leipziger Haus des geschiedenen Vaters lernt sie bereits als junges Mädchen Robert Schumann kennen, einen Schüler Friedrich Wiecks, er wird ihr „bester Freund“, bis er sich ein paar Jahre später in die erst 16-Jährige ernsthaft verliebt. Sehr zum Missfallen des Vaters, der alles versucht, diese Liebe zu dem mittellosen jungen Mann, der nach exzessivem Üben und einer daraus resultierenden Verletzung der rechten Hand die Pianistenlaufbahn nicht mehr einschlagen kann, zu unterbinden. Das Paar klagt die Hochzeit schließlich ein. Doch davon erzählt der Film nicht, ein Vorgänger tut dies in ruhigen Bildern, mit einer zarten Nastassja Kinski als Clara und Herbert Grönemeyer in der Rolle des jungen Heißsporn Robert – er einer der wenigen Musiker, die auch als Schauspieler immer wieder überzeugen können. Peter Schamoni hat dies in seinem Film „Frühlingssinfonie“ von 1983 zu nutzen gewusst, 2006 erschien er auf DVD.
Helma Sanders-Brahms’ deutsch-französisch-ungarische Koproduktion setzt erst viel später ein. Das Ehepaar hat jetzt bereits sechs Kinder, ein siebtes wird im Film auf die Welt kommen. 1850 beziehen Robert (Pascal Greggory) und Clara eine große Wohnung in Düsseldorf. Der inzwischen als Komponist zu einigen, doch wenigen Ehren gekommene Schumann, der oftmals kaum seine Familie ernähren kann und eigentlich nicht mehr im Schatten seiner Frau stehen will, die Jahre lang als Solistin den Lebensunterhalt verdiente, wird Musikdirektor in der Stadt am Rhein. Man will zur Ruhe kommen, Robert schreibt an einer neuen Sinfonie, die er der neuen Heimatstadt widmet: der „Rheinischen“. Ganz zu Anfang des Films erlebt man aber noch einmal die gefeierte Pianistin Clara, die in einem Konzertsaal in Hamburg ein Werk ihres Mannes spielt, ihn auf die Bühne holt, man feiert danach ausgelassen. Eine „Schlüssel“-, in diesem Fall eher „Ringszene“, führt den Dritten im Bunde etwas zu symbolisch ein: Der junge Johannes Brahms (Malik Zidi) ist als Zuhörer im Publikum und fängt den Ehering auf, mit dem Robert auf einem Balkon spielt. Tiefe Blicke fliegen von Clara zu Johannes. Das Paar folgt ihm in eine Kaschemme im Hafen, wo er einen kitschigen Walzer spielt. Man sieht sich in Düsseldorf wieder, Brahms geht für die Kinder auf Händen, rutscht ausgelassen die Treppengeländer hinunter und wird bald so etwas wie ein Familienmitglied, das Clara zur Seite steht, als sich Roberts Gemüts- und Gesundheitszustand immer mehr verschlechtert.
In erster Linie handelt der Film aber von einer starken Frau, die nicht nur eine „liebe kleine Ehefrau“ sein will, wie es ihr Mann und ihre Umgebung gern hätten. Die Musik und das Klavierspielen braucht sie zum Leben genauso wie das Familienleben. Als ihr Mann an der Aufgabe als Musikdirektor zu scheitern droht, ihm von den Musikern immer größere Steine in den Weg gelegt werden, assistiert sie ihm und dirigiert sogar das Orchester – zur damaligen Zeit eine Sensation in einer Musikwelt, die von Männern dominiert wurde. Das alles erzählt Sanders-Brahms, die in den 1970ern mit eher sperrigen Autorenfilmen wie „Deutschland bleiche Mutter“ oder „Unter dem Pflaster ist der Strand“ international bekannt wurde, in gediegenen eindringlichen Bildern; gedreht wurde in Ungarn. Die stets politisch engagierte Filmemacherin will nach den zahlreichen Arbeiten, die sich mit Judenverfolgung und Nachkriegsgeschichte auseinander setzten, ein Stück positiverer deutscher Geschichte nachzeichnen: „Jenseits der Grenze unseres Landes erfahren wir, wo immer wir in der Welt hinkommen, dass das kollektive Gedächtnis der Welt vor allem zwei Epochen mit unserem Vater- und Heimatland verbindet: die Zeit der Nazis als die schwärzeste, die Zeit der Romantik als die schönste.“
Die Dreiecksgeschichte Schumann-Brahms-Schumann, von der man bis heute nicht genau weiß, ob es wirklich eine war, inspirierte bereits zwei weitere Filme: den Ufa-Film „Träumerei“ von 1944 mit Hilde Krahl als Clara Schumann, und auch die große Katherine Hepburn verkörpert an der Seite von Paul Henreid in „Song of Love“ (1947) die Pianistin und Komponistin. Ihre Verwandtschaft zu Johannes Brahms mag sicher eine weitere Rolle gespielt haben, obwohl Helma Sanders-Brahms in jungen Jahren wenig mit seine Musik anzufangen wusste. „Geliebte Clara“ erzählt eine andere Geschichte als „Song Of Love“: Die Schumanns sind hier nicht nur das romantische Paar bis dass der Tod sie scheidet und noch darüber hinaus – schließlich war Clara bis zum Ende ihres langen Lebens darum bemüht, dem Werk ihres Mannes den gebührenden Respekt einzubringen –, es werden auch andere, rauere Töne angeschlagen. Da wird man im Weinkeller schon einmal handgreiflich, und dass der bereits gesundheitlich sehr angeschlagene Schumann mehr als väterliche Gefühle für den jungen Brahms hegte, wird auch mehrmals angedeutet. Dazu kommt noch das bis heute sehr moderne Thema der starken Frau, die sich zerreißt zwischen Karriere, Kindern und romantischen Gefühlen. Letztendlich bleibt die Liebe zwischen dem 17 Jahre jüngeren Genie Brahms und seiner Angebeteten im Film unerfüllt. Doch ganz am Ende, nachdem Schumann in der Irrenanstalt jämmerlich verendet ist, sagt er ihr „wohl das schönsten Satz, den ich je für einen Mann geschreiben habe“ (Sanders-Brahms): „Ich werde mit anderen Frauen schlafen, aber nie mit dir. Aber ich werde bei jeder, mit der ich schlafe, an dich denken. Ich werde da sein, wenn du stirbst, und ich werde dich begleiten in das dunkle Reich..
Der junge Franzose Malik Zidi verkörpert Brahms mit dem nötigen Respekt und großer Intensität, genauso wie Pascal Greggory, der Robert Schumann oftmals fast dämonische Züge verleiht. Einzig das Dirigieren nimmt man dem ansonsten hervorragend agierendem Cast nicht ganz ab. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle noch die Grande Dame des deutschen Theaters, Christine Oesterlein, die eine kleine, aber feine Rolle als muffige Köchin besetzt.
Keine pseudoromantische Scoremusik stört den Film im Hintergrund, allein die Musik der Orchesterproben und das, was sich die drei gegenseitig vorspielen, dient als Soundtrack, Sanders-Brahms’ Tribut an die Genialität der Beteiligten.
Clara Schumann verstarb 76-jährig am 20. Mai 1896, sie war bis zu ihrem Schlaganfall, dem sie schließlich erlag, als Konzertpianistin tätig, Johannes Brahms folgte ihr wenige Monate später.
Buch- und DVD-Tipp
- Ein Buch zum Film mit großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos vom Set und zwei Interviews mit Martina Gedeck und Helma Sanders-Brahms ist im Henschel Verlag erschienen: Hartmut Palmer/Konrad Rufus Müller: Clara. Texte und Bilder zum Film
- Ab 6.2.2009 erstmals auf DVD: „Manöver“ und „Deutschland bleiche Mutter“ innerhalb der „Filmverlag der Autoren“-Edition (Arthaus)