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Kleiner Rundgang durch große Opernhäuser

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Warner veröffentlicht Opern-Edition auf DVD-Video
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Für immer mehr Melomanen wird der kleine Rundgang durch die großen Opernhäuser zur täglichen Realität. Nicht, weil Billigfluglinien fanatische Musikliebhaber als neue Klientel erobert hätten. Und auch die stets horrenderen Preise am Kartenmarkt scheinen momentan noch nicht der „Geiz-ist-geil“-Mentalität zum Opfer gefallen zu sein. Nein, das alles sind nicht die wahren Gründe dafür, dass sich das Interesse an Oper und ihrer szenischen Realisierung in einem neuen Hoch befindet. Denn die Aufenthalte in den Welt-Theatern sind rein fiktiver Art, sozusagen virtuell. Im Flieger ist jeder sein eigener Kapitän, als Cockpit dient die Fernbedienung.

Wann immer von den Möglichkeiten neuer Datenträger die Rede ist, fallen früher oder später drei Buchstaben: DVD und hier vornehmlich Video-DVD. Denn der Audio-Ableger des silbernen Alleskönners wurde im Zuge des letzten Jahres von der SACD meilenweit überrundet, fristet mittlerweile – wenn überhaupt – ein dürftiges Nischendasein. Dahingegen erfreut sich die Video-DVD vor allem unter Opern-Fans bester Beliebtheit. So groß ist der Zuspruch seitens der Käufer, so unaufhaltsam die Erfolgsstory der Digital Versatile Disc (DVD), dass immer mehr Firmen sich ein Stück vom Kuchen sichern möchten und mit eigenen Videos auf den Markt drängen. Jüngstes Beispiel: Warner Vision und seine Staffel mit sieben Opern-Veröffentlichungen, die jedoch alle bereits im analogen VHS-Format erhältlich waren. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, was in den 80er- und frühen 90er-Jahren in London und Glyndebourne als „State of the Art“ galt, wird sich über die Edition freuen – Musiktheater auf der Höhe seiner Zeit. Aufregende Bezüge zur Gegenwart, allgemeingültige aussagen über die Befindlichkeiten auch heutiger Menschen, sollte niemand erwarten: Die nahezu durchweg naturalistischen Inszenierungen ecken in ihrer Konventionalität kaum an, dafür sind die Besetzungen gut – manchmal sogar sehr gut.

Schöne Beispiele hierfür sind drei Videos mit Plácido Domingo in seiner absoluten Glanzzeit. In Puccinis „Manon Lescaut“ (Warner Vision 5050466-7174-2-9) ist er ein geradezu idealer Des Grieux, der sich der Rolle völlig überantwortet und sie mit der für ihn typischen Mischung aus lyrischer Innerlichkeit und heroischem Pathos singt. Weitere Argumente für die Aufzeichnung von 1983 sind die cremigen Töne von Kiri Te Kanawa in der Titelpartie und das mediterrane Temperament des Dirigenten Giuseppe Sinopoli. Ähnlich lebendig auch die Hand von Georges Prêtre in der Aufnahme von Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ (0630-19392-2). Sie entstand 1981 im Londoner Covent Garden und ist das genaue Gegenteil zum Rivalen auf Arthaus: Dort erlebt man aufregend surrealistische Bilder-Welten und distanzierte Sänger, hier überzeugen Domingo in der Hauptrolle und Ileana Cotrubas als Antonia eher denn die wenig individuelle Inszenierung John Schlesingers.

Solch gediegene Regie raubt dem Stück trotz guter Sänger Bewegungsenergie und Vorwärtsdrang – bei Offenbach ebenso wie in Strauss’ „Arabella“ aus Glyndebourne (063016912-2) mit Ashley Putnam als Titelheldin und in Puccinis „La Fanciulla del West“ (5050466-8356-2-8) mit Carol Neblett und Domingo als Wildwest-Paar. Dagegen wirkt Leopold Lindtbergs ironische Inszenierung einer All-Star- „Fledermaus“ (4509-99216-2) deutlich spritziger. Dass sich der Katzenjammer nicht vorzeitig einstellt, hat sicher mit der Sylvester-Einlage zweier Travestie-Künstler und dem authentischen Frosch von Josef Meinrad zu tun. Zwar geraten die Tempi mit Plácido Domingo am Pult der Covent Garden recht träg und bieder, doch Hermann Prey (Eisenstein), Kiri Te Kanawa (Rosalinde) und Dennis O’Neill lassen sich davon zum Glück nicht beirren. Trotz allem: Die rivalisierende DVD mit einer Aufzeichnung aus München bleibt die unangefochtene Referenz fürs Heimkino – zumal wegen des überschäumenden Elans von Carlos Kleiber.

Im Gegensatz dazu werden selbst gut sortierte DVD-Fans an zwei Produktionen aus der Warner-Edition kaum vorbeikommen: Benjamin Brittens „Peter Grimes“ (0630-16913-2) mit dem vor Intensität glühenden Jon Vickers als Titelhelden, der bereits in nmz 10/2003 unter den DVD-Tipps rangierte. Das zweite Video, das sich guten Gewissens empfehlen lässt: Janáceks „Die Sache Makrupolos“ (0630-14016-2). Was hier nun endlich im Digital-Format greifbar wird, reiht sich nahtlos in den maßstabsetzenden, den Beginn einer neuen Renaissance des tschechischen Komponisten markierenden Janáek-Zyklus, deren erste Teile „Kátja Kabanová“ und „Jenufa“ bereits vor einiger Zeit auf dem DVD-Vorreiter-Label Arthaus erschienen. In „Die Sache Makrupolos“ setzte Regisseur Nikolaus Lehnhoff für die Glyndebourne Festival Opera auf eine Mischung aus dezentem Realismus und ausgefeilter Abstraktion. Zwei Pole, die in souveräner Balance gehalten werden und spannende Gegensätze schaffen. Mit Anja Silja hatte Lehnhoff aber auch eine Emilia Marty im Team, die Anfang der 90er-Jahre, als die Aufzeichnung entstand, unschlagbar war. Doch eigentlich ist es ungerecht, nur sie auf den Schild zu heben – das gesamte Ensemble singt und spielt auf hohem Niveau. Schade, dass ein so künstlerisch wertvolles Video ohne tiefergehenden Kommentar ganz für sich selbst sprechen muss: Ein schmaler Absatz auf einem Faltblatt ist alles, was Warner zu dieser legendären Produktion beizusteuern hatte. Überhaupt ist die editorische Seite das Manko. Wer sich für die genauen Besetzungsangaben interessiert, muss auf den Abspann warten. Ausführliche Tracklistings, Booklets mit Künstler-Biografien oder andere Extra-Features sucht man vergeblich.

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