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Sergeij Prokofiev: Complete Symphonies & Concertos, Cantatas etc. Orches­tra and Chorus of the Mariinsky Theatre, Valery Gergiev
Sergeij Prokofiev: Complete Symphonies & Concertos, Cantatas etc. Orches­tra and Chorus of the Mariinsky Theatre, Valery Gergiev
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Porträt eines Unnahbaren

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Valery Gergievs Prokofiev-Marathon und eine originelle Doku bei Arthaus
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„Prokofiev starb am selben Tag wie Stalin. Aus irgendwelchen Gründen interessieren sich manche Menschen nur für diese Tatsache…“ Dieses Bonmot steht am Beginn des mit eineinhalb Stunden etwas zu lang geratenen Dokumentarfilms „Prokofiev: On The Way“. Er rundet die bei Arthaus erschienene, üppige Box mit Konzertmitschnitten sämtlicher Symphonien, Solokonzerte und weiterer Werke des Komponisten auf originelle Weise ab.

Anders als der enttäuschende, einer ähnlichen Zusammenstellung zu Schos­takowitsch beigegebene Film (siehe nmz 11/2015) versucht Regisseurin Anna Matison sich ihrem Gegenstand auf eine eher spielerische Weise zu nähern. Da schlüpft der Schauspieler Konstantin Khabensky während eines Besuches der Datscha, die Prokofiev 1946 bis 1953 bewohnte, unversehens in die Rolle des Komponisten und zitiert fortan aus dessen Erinnerungen. Und sein von permanenten Reisen geprägtes Leben wird kurzerhand und eher assoziativ mit dem ähnlich rastlosen Wirken des Dirigenten Valery Gergiev kurzgeschlossen. Der hatte 2012 beim 11. Moskauer Osterfestival in 24 Tagen 26 Konzerte in elf Städten gegeben, dabei jede Menge Prokofiev zur Aufführung gebracht und nebenbei für den Bau neuer Konzertsäle in Russland geworben.

Einen weiteren, diesmal zweitägigen Marathon absolvierte der Maestro mit seinem Mariinsky Orchester dann im April 2016 anlässlich des 125. Geburtstages des Komponisten: An zwei Tagen wurden beinahe sämtliche 20 in der Edition vorliegenden Werke live eingespielt. Die Strapazen sieht man den Musikern (und dem Publikum) mitunter an, das musikalische Niveau leidet aber erstaunlicherweise kaum darunter. Einzig bei den Streichern machen sich zwischenzeitliche Spannungsabfälle in Form kleiner Intonationstrübungen bemerkbar.

Die Kameraarbeit ist hochprofessionell, inklusive gelegentlich eingestreuter Kranfahrten über das Orchester und effektvoller horizontaler Drehungen. Die teilweise mitten aus dem Orchester heraus aufgenommenen Details sind mitunter spektakulär. Wer also auch noch die Modellnummer der Tuba wissen möchte, wird hier fündig, das Ausmaß von Gergievs Dirigierstöckchen wird ebenso plastisch wie die Handarbeit der diversen Solisten.

Mit ihnen zu beginnen, macht auch aus musikalischer Sicht Sinn: Bei Meis­terwerken wie dem ersten Violinkonzert sowie den Klavierkonzerten zwei und drei etwa drängt sich der Eindruck auf, hier könne man dem oft merkwürdig unnahbaren Komponisten einmal wirklich nahekommen: als würde der sonst zwar enorm explosiven, mitunter gar brutalen, immer aber ein Stück weit verschlossen bleibenden Expressivität Prokofievs erst durch die solistische Verkörperung eine wirklich fühlbare Stimme verliehen. Genau dies tun der eminente Geiger Leonidas Kavakos und die phänomenalen Pianisten Denis Matsuev und Daniil Trifonov. Bei den Symphonien überraschen das leicht zurückgenommene Tempo und das warme Timbre, das Gergiev in der Ersten an Stelle eines sportiven, distanziert-spöttischen Als-ob-Tonfalls anschlagen lässt. Die Überzeugungskraft der Fünften verwundert nicht, von den hierzulande kaum zu hörenden Werken vermag die Zweite mit ihrem kompromisslos dreinfahrenden Kopfsatz und manch rätselhaft schönen Passagen im Variationensatz zu überraschen, während die Dritte und die Vierte trotz (oder wegen?) ihrer Beziehung zu Opern beziehungsweise Ballettmusiken ebenso auf Dis­tanz bleiben wie die Sechs­te. Den leichteren, vermeintlich kindlichen Tonfall der Siebten treffen Gergiev und seine Musiker exzellent.

Spektakulär sind die chorischen Ergänzungen der Werkschau gelungen: von der haarsträubenden Wucht der kurzen Kantate „Sieben, sie sind Sieben“ op. 30, über die Filmmusik-Exzerpte aus „Alexander Nevski“ und „Ivan der Schreckliche“ bis zum durchaus vielschichtig sich auftürmenden, in der Aufführung durch einen ironisierenden Lenin-Auftritt aufgelockerten Pathos der Oktoberrevolutions-Kantate op. 72.

Die von Abram Stasevich zu etwas fragwürdiger Oratorienform arrangierte „Ivan“-Musik hat in Alexei Petrenkos beeindruckendem Zusammenspiel von Mimik und Deklamationskraft ein dem Filmbild nicht ebenbürtiges, aber gleichermaßen packendes Gegengewicht.

  • Sergeij Prokofiev: Complete Symphonies & Concertos, Cantatas etc. Orches­tra and Chorus of the Mariinsky Theatre, Valery Gergiev. Arthaus (6 DVDs bzw. 4 Blu-rays)

Im Juli hat die Arthaus Musik GmbH ihren Ausstieg aus der Naxos Deutschland Musik & Video Vertriebs-GmbH bekannt gegeben und hat nunmehr den Vertrieb komplett selbst übernommen. Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale).

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