Bellini, Norma: June Anderson (Norma), Daniela Barcellona (Adalgisa), Shin Young Hoon (Pollione), Ildar Abdrazakov (Oroveso) und andere; Verdi Festival Chor, Europa Galante, Fabio Biondi; Inszenierung: Roberto Andò, Kostüme: Nanà Lecchi; Bühnenbild: Giovanni Carluccio; Bildregie: Carlo Battistoni (2001, live)
TDK/Naxos DV-OPNORM
Ist Bellinis „Norma“ wirklich nur eine Schatzkiste für Melomanen, sinnentleertes Vehikel für die selbstverliebten Trapezkünste eitler Sänger? Die Zeitgenossen empfanden die Oper anders – nämlich als Ausdruck des Risorgimento, der italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen im 19. Jahrhundert. Der martialische Chor „Guerra, guerra“ geriet in den Jahren nach der Uraufführung sogar zur italienischen Marseillaise.
In der dieser Aufzeichnung aus dem Teatro Regio in Parma drängt sich einem diese vergessene Facette förmlich auf: Bei Fabio Biondi stürmen und drängen die Originalklang-Bläser, grazile Darmsaiten zeichnen in herbstlich-empfindsamen Farben, straffe Rhythmen treiben die Handlung unaufhaltsam voran. Doch sobald die Sänger ins Spiel kommen, bekommt Biondi wieder Angst vor der eigenen Courage und drosselt den schroffen Gestus auf Schrittgeschwindigkeit. Man erlebt ein stürmisches Orchesterkonzert mit obligaten Arien in gemächlichem Tempo.
Wollte er Rücksicht nehmen auf die technischen Möglichkeiten der Solisten? Bei der Norma von June Anderson wirkt es so: Die übernatürlichen Anforderungen der Partie meistert sie nicht ganz souverän. Shin Young Hoon als Pollione kann mit unidiomatischem Italienisch wenig dagegenhalten. Bleibt Daniela Barcelona, eine stimmlich volle, reife Adalgisa. Klingt gut, widerspricht aber der Partitur, wo sie von Norma als „giovinetta“ (junges Mädchen) tituliert wird. Und in Bezug auf die Inszenierung konnte ich einen Gedanken nicht los werden: So müssen Ring-Produktionen in der Ära vor Wieland Wagner ausgesehen haben. Trotz allem: Der wahre Bellini-Fan sollte Biondis Interpretation zumindest einmal gehört haben.