Wir haben Mozart-Gedächtnisjahr und schon in seinem ersten Viertel laufen die Mozartfreunde Gefahr, im Blumenmeer seiner Musik unterzugehen, das sich über die ganze Musikwelt erstreckt und immer neue Blüten treibt. Auch wenn das Köchelverzeichnis mit 626 „echten“ Nummern eine große Vielfalt verzeichnet – manches kam inzwischen noch dazu –, so zeigen sich im großen und oft wenig inspirierenden Einerlei der vielen Silberscheiben mit dem Wolfgangerl-Konterfei auf dem Cover doch jetzt schon ein paar besonders gelungene und fesselnde Produktionen. Sie seien hier vorgestellt.
Zunächst bietet Brillant Classics seine Gesamtausgabe aller bekannten Mozartwerke – bereits früher für 2.000 Euro auf 170 CDs veröffentlicht – wieder an, diesmal in dünnen Hüllen und alle in einem einzigen Schuber für einen unschlagbaren Preis unter 100 Euro. Die ursprüngliche Edition wurde in den nmz-Ausgaben 10/02 und 5/03 besprochen (Brilliant Classics/Foreign Media 92540).
Naxos hat sich ebenfalls große Mühe gegeben und einen schweren gelben Mozartschuber herausgebracht mit zwei CDs und einem dicken Buch mit 367 (!) Seiten, in dem Eckhardt van den Hoogen – ein alter Kämpe aus der Zunft derer, die über Musik schreiben – in flüssigem und auch amüsantem Stil alles Wichtige über Mozart, seine Umgebung, sein Leben und seine Bedeutung berichtet. Das Buch enthält – zur Freude der Mozartliebhaber – auch das komplette Köchelverzeichnis, dazu eine lange Namensliste vieler Zeitgenossen, die zu Mozart in irgendeiner Verbindung stehen, und jeder der fast 180 hier Genannten wird mit einem kurzen prägnanten Text vorgestellt. Schließlich gibt es noch ein Glossar mit über 130 musikalischen Fachbegriffen, die mit wenigen Worten illustrativ erklärt werden. Auf den beiden CDs finden sich, geschickt ausgewählt, aus Mozarts Schaffen 31 Beispiele quer durch sein ganzes Leben, von KV 15kk bis KV 626, auf der ersten aus Kammermusik und Konzert, auf der zweiten aus geistlichen und Bühnenwerken. Als stabiler Schuber, der ins CD-Regal passt, ist dies ein gelungenes Kompendium des Wichtigsten und Amüsantesten aus Mozarts Leben und Werk, das neugierig machen soll, kann und wird (Naxos 8.551233-45).
Zwei besonders schöne Orchideen im Mozartgarten dieses Frühjahrs zeigen sich als DVD-Videos. Bei Edel erschien „Ich hätte München Ehre gemacht“, ein Spielfilm, der schon in der ARD lief. Er orientiert sich in geschickter Chronologie an den wiederholten Besuchen Mozarts in München, vom ersten mit sechs Jahren 1762 über die weiteren 1774/75, 1777, 1778, 1781 bis zum letzten 1790 im Vorjahr seines Todes, und entwickelt eindrucksvoll an diesen Fixpunkten Mozarts Leben und Wirken. Graf Seeau wird dabei als intriganter homophiler Fiesling dargestellt, ein gleichaltriger Gastwirtssohn Carl als lebenslanger Freund – sein Gastwirtsvater wird von Konstantin Wecker gespielt – und die adelige, meist überhebliche Hofhaltung als ein oft intrigantes Spiel: solche Ingredienzien machen einen Film erst richtig spannend (Edel 0169838SERE).
Eine der umfangreichsten und prachtvollsten Produktionen versteckt sich in der ebenfalls bei Brillant Classics veröffentlichten DVD „Mozart Interaktiv“ von Titus Leber. Wer die Silberscheibe in den Computer steckt – verlangt wird Windows-Software von 2000 aufwärts, auf Windows 95 oder 98 läuft sie nicht – oder sie sich über den DVD-Player im Fernseher anschaut, muss viel Zeit mitbringen, wenn er allen Verzweigungen folgen und dabei alles lesen und anhören will, was die DVD an Informationen und Musik bietet, nämlich nicht nur 130 Minuten „interaktiver Navigation“ durch ein Feuerwerk von etwa 80 Klassik-Videoclips, dazu siebeneinhalb Stunden schönster Mozart-Musik und Einführungen zu 20 Mozart-Opern, meist mit Tonbeispielen. Der Mozartfreund sieht sich einer solchen Fülle von filmclipanimierten Berichten gegenüber, die sich an wichtige Stichworte als weiterführende Links anschließen, dass eigentlich nichts Wichtiges aus Mozarts Leben und über seine Musik ausgespart bleibt. Die neue medienwirksame Vermittlungstechnik der Video-Clips – erkennbar auf junges Publikum abgestellt – verkürzt zwar die Aussagen oft auf ein Minimum, doch kann man mit der Maustaste oder der Fernbedienung nach größeren und zusammenhängenderen Schilderungen suchen. Die Musikbeispiele bewegen sich leider nur in Einzelsätzen aus den bekannten Schlachtrössern, die allerdings als ganzes Stück abgehört werden können, wenn sie im Lauftext nur als Hinweis erklingen (Brilliant Classics / Foreign Media 92839).
Nachdem die von Harmonia Mundi vor einigen Jahren veröffentlichten „interaktiven“ CD-ROMS (etwa zur „Matthäuspassion“) wohl zu früh kamen, dürfte diese Art der Präsentation mittlerweile ihr Publikum finden. Denn wo sonst könnten so viele musikalische und historische Informationen so amüsant und kurzweilig angeboten werden?