Loriot und die Musik (Martha, Der Freischütz, Candide, Loriots Opernführer, Wagners „Ring“ an einem Abend, Der Karneval der Tiere, Peter und der Wolf, Die Geschichte von Babar, Musikalische Sketche, Bonusmaterial), 5 DVDs, ca. 615 Min., Warner 5000090044
„Auch bei einem festlichen Beisammensein kann, nach einem Seitenblick auf Ihren Partner, die Überlegung Raum gewinnen, wie diesem sinnentleerten Lebensbund wirksam zu entkommen sei.“ Dieses Bonmot aus einer seiner hinreißenden Berliner Operngala-Moderationen und die nach einer kurzen Pause nachgeschobene Feststellung: „Ich sehe, Sie haben sich etwas mitzuteilen“ werfen zusammen mit der Publikumsreaktion – das eine oder andere Lachen scheint recht schnell zu verebben – ein bezeichnendes Licht auf Loriots Humor: Auch in diesem Kontext trifft er exakt jenen Punkt, wo die Pointe gerade soweit ins eigene Fleisch sticht, dass man noch darüber lachen kann, gleichzeitig aber die Grenze zur verletzenden Wahrheit erahnt. Und wie in seinen Sketchen erweist sich das untrügliche Timing, das präzise Gespür dafür, in welchem Rhythmus solche Sätze vorzutragen sind, um maximale Wirkung zu erzielen, als die markanteste handwerkliche Qualität von Loriots Bühnenpräsenz.
Gleichzeitig – und hier stößt selbst die opulente DVD-Box „Loriot und die Musik“ in ihrem Dokumentationsanspruch an ihre Grenzen – neutralisieren sich die knapp 40 köstlichen Inhaltsangaben im Telegrammstil in diesen die Musikausschnitte verständlicherweise übergehenden Zusammenschnitten. Es fehlt die von Loriot quasi einkomponierte Zeit, den Pointen während der nachfolgenden Musik noch einmal nachzuhorchen oder im Geiste die Zuspitzungen mit Szenen unfreiwilliger Komik aus selbst erlittenen Inszenierungen übereinzubringen. Ähnliches gilt für die Ausschnitte aus „Wagners ‚Ring‘ an einem Abend“, textlich ein Kabinettstück der Musiktheater-Vermittlung.
Insofern ist der komplette Mitschnitt einer konzertanten Aufführung von Leonard Bernsteins „Candide“ vielleicht der gelungenste Teil der in der Box zusammengestellten musikalischen Großprojekte. Loriot führt als Erzähler mit perfidem Esprit durch die Handlung, der mittlerweile verstorbene Gärtnerplatz-Chefdirigent David Stahl leitet eine geistsprühende Aufführung mit guten Solisten. Sehr gelungen sind auch die Konzerte mit dem „Karneval der Tiere“ (das Scharoun Ensemble spielt hinreißend) sowie mit „Peter und der Wolf“ und der „Geschichte von Babar“. Bei beiden letzteren – es spielt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Marcello Viotti – nimmt Loriot in den Zwischentexten nur behutsame Änderungen und Ironisierungen des Originals vor, schöne Zwischenschnitte aus dem Publikum fangen die Familienkonzert-Atmosphäre ein.
Dass von der punktgenauen Inszenierung eines Sketches und der genialen Mini-Inhaltsangabe einer Oper nicht automatisch der Weg zu brillanten Musiktheater-Regiearbeiten führt, machen die beiden Gesamtaufnahmen deutlich. Zwar hatte Loriot stets betont, dass es ihm bei Flotows „Martha“ und Webers „Freischütz“ nicht darum ging, die Opern per Regie auf die Schippe zu nehmen, ein etwas deutlicheres Gegen-den-Strich-Bürsten hatte man aber dennoch erwartet.
So kommt der Ludwigsburger „Freischütz“ von 1988 bis auf das kleine Jägerchorballett und eine nachdenkliche Andeutung zum Schluss (Samiel und der Eremit bleiben als Antagonisten übrig) eher bieder daher. Das ordentliche Ensemble und das nicht unbedingt in romantischem Furor glühende Dirigat Wolfgang Gönnenweins tun ein Übriges. Frischer wirkt der zwei Jahre zuvor entstandene „Martha“-Mitschnitt. Krisztina Laki und Waltraud Meier sind ein reizendes Bediensteten-Paar, das großartig eingeflochtene Tristan-Zitat und Wagners stummer Auftritt bleiben ebenso im Gedächtnis wie das „very british“ daherkommende Finale mit Queen-Victoria-Teewärmer.
Dass Loriot für spätere Wiederaufnahmen an der Personenregie noch deutlich feilte, ist einem sehr erhellenden Probenmitschnitt von 1993 zu entnehmen, ebenso freilich die Schwierigkeit, Sängern die selbe komödiantische Präzision abzuverlangen wie seinem routinierten Schauspielerteam. Dieses ist dann in den zeitlosen musikalischen Sketchen zu bewundern, die sich neben zahllosen weiteren Interviews, Porträtfilmen und anderen Dokumenten als großzügige Bonusmaterialien über die DVDs verteilen.
Seinen Beitrag zur aktuellen Vermittlungsdebatte legte Loriot übrigens schon vor einiger Zeit dem Kunstpfeifer Meckelreiter („Was für ein gemeiner Ton!“) in den Mund: „Moderne Kompositionen erfordern geistige Mitarbeit. Das Verständnis zeitgenössischer Musik ist außerdem eine Gewohnheitsfrage.“