„!!! aus.“ Diese kurze aber ergreifende Notiz im Kalender Fritz Buschs beschließt eine Ära an der Semperoper und der Sächsischen Staatskapelle. Der 7. März 1933 beendete die Dresden-Karriere eines der bedeutendsten Dirigenten des vergangenen Jahrhunderts. Das Jahrzehnt davor ist jetzt komplett auf CD und DVD dokumentiert.
Drei Ausrufezeichen am Ende einer Karriere. Drei Ausrufezeichen? Sie und das so schlicht wie ergreifend notierte Wörtchen „aus.“ im Arbeitskalender von Fritz Busch bezeugen seine Vertreibung vom Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Viel ist darüber geschrieben worden, wie SA-Horden am 7. März 1933 die Semperoper stürmten und den Generalmusikdirektor Fritz Busch am Dirigat des „Rigoletto“ hinderten, wie Orchestermusiker und Sängerensemble die Vorstellung dennoch – unter Leitung von Kapellmeister Kurt Striegler – stattfinden ließen. Nur zwei Musiker haben stumm den Graben verlassen. Das Publikum, nach erst einmal lautstarkem Protest, soll die Farce wohl akzeptiert haben.
Für Fritz Busch, der sein Dresdener Amt 1922 antrat – zwei Jahre zuvor gastierte er erstmals an der Elbe und pries diese Tage als die „schönsten meines Lebens“ – brach eine Welt zusammen, die mehr als das eigene Karrieredenken beinhaltet haben dürfte. Ein arbeitsreiches (um die einhundert Opernvorstellungen per annum!) und glückliches Jahrzehnt lag plötzlich in Scherben. Der braune Mob trat den künstlerischen Erfolg mit Stiefeln.
Die wesentlichen Hervorbringungen dieser Jahre, sämtliche Dresdner Aufnahmen unter Fritz Busch von 1923 bis 1932, liegen nun auf CD vor. Allein dies ist eine grandiose Leistung der Edition Günter Hänssler, die sich seit einigen Jahren um historische Einspielungen der Sächsischen Staatskapelle bemüht. Verdient gemacht hat sie sich in besonderer Weise mit Aufnahmen zum Thema „Macht und Musik“. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunkarchiv und „Figaro“, dem Kulturprogramm des Mitteldeutschen Rundfunks, gab es für diese Serie im Vorjahr bereits einen Echo-Klassik-Preis sowie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik 1/2009. Mit Volume 30 der Edition Staatskapelle Dresden ist nun ein Großteil der Busch-Ära in ziemlich authentischer Form nacherlebbar. Unterm Strich ein überaus bunt gearteter Querschnitt von Mozart, Tschaikowski und Wagner, Smetana, Strauß und Strauss. Neben rein akustischen Aufnahmen aus der Zeit um 1923 finden sich, dank fortgeschrittener Technik, elektrische Aufnahmen von 1926 bis hin zur Licht-Tonspur der „Tannhäuser“-Ouvertüre von 1932 aus dem Kinofilm „Fritz Busch dirigiert die Staatskapelle Dresden“. Zusätzlich zu Bonus-Tracks gibt es die zweite Brahms-Sinfonie in einem Gastspiel in der Berliner Philharmonie, ein damals vom Berliner Rundfunk originalübertragenes Hörerlebnis der auch heute besonderen Art. Denn diese Aufnahmen basieren auf restaurierten Matritzen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft.
Das klingt dann schon beinahe sauber, vom fast atemraubenden Polterfinale im Allegro con spirito einmal abgesehen; die älteren Einspielungen hingegen lagen ursprünglich auf Grammophonplatten vor und sind trotz aufwändigster Behandlung nicht gänzlich rauschfrei zu genießen. Das aber macht die Sache eher authentisch, wie auch die teils forcierten Tempi von Busch eben zugleich auf die Frühzeit der musikalischen Moderne hinweisen und von historischer Interpretation künden. Ausnahme: Die „Fledermaus“-Ouvertüre ist ungemein heiter gehalten und klingt durchaus heutig differenziert vorgetragen. Erst kurz vorm Finale werden die Streicher derart getrieben, dass an abschüssig glattes Parkett zu denken ist.
Erstaunlicherweise fällt auf, um wie viel mehr sich das aktuelle Musikverständnis im Opernfach gewandelt hat, insbesondere Orchesterstücke aus der „Zauberflöte“ und den „Meistersingern“ muten arg verstaubt an – was sie als dokumentares Zeugnis freilich umso interessanter und erhaltenswerter macht. Die dieser Edition beigefügte DVD mit dem erwähnten „Tannhäuser“-Tonfilm und nachträglichen Dokumentationen erhellen sowohl Buschs Herangehen an Wagner als auch den nunmehr sorgsamen Umgang mit seiner Hinterlassenschaft.
Nicht zuletzt ist auch das zweisprachige (dt./engl.) und fast zweihundert Seiten starke Booklet ungemein informativ. Technische Interessen hinsichtlich des damaligen Standes von Tonaufnahme und -wiedergabe werden hierin ebenso bedient wie die in der deutschen Zeitgeschichte eingebettete Biografie von Fritz Busch nachhaltig präsent wird. Als späte Wiedergutmachung wurde der Dirigent anlässlich seines 100. Geburtstages 1990 posthum zum Ehrenmitglied der Staatskapelle ernannt.
Unser Autor Michael Ernst nahm an einer Diskussion zum Thema „Macht und Musik“ in der Semperoper teil, die auf nmzMedia dokumentiert ist.