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Geistlicher Dialog – mit oder ohne Pergolesi: René Jacobs hat das Oratorium „Sieben Worte Jesu“ eingespielt

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Seit langer Zeit weiß man um die Existenz des Giovanni Battista Pergolesi zugeschriebenen Oratoriums „Septem verba a Cristo“ (Sieben Worte Jesu). Doch erst jetzt, durch eine kritische Notenausgabe bei Breitkopf & Härtel und eine Einspielung unter der Leitung von René Jacobs, kommt die Qualität des Werkes ans Tageslicht. Elisabeth Richter hat die soeben erschienene CD gehört und mit René Jacobs gesprochen.

„Der Verlag Breitkopf hat mir das Werk zugeschickt. Ich habe nach nur fünf Minuten gesagt: Das muss ich machen. Ich habe sehr originelle „Sachen“ entdeckt, wie zum Beispiel die Instrumentierung. Es gibt Arien mit der ungewöhnlichen Kombination von zwei Solo-Bratschen und Solo-Horn, es gibt Arien mit einer gedämpften Trompete. Da steckte etwas dahinter, was ich noch nie gesehen hatte.“ - René Jacobs ist ein neugieriger Künstler mit viel Erfahrung. So erkannte er schnell, dass es sich bei den – Pergolesi zugeschriebenen – „Septem verba a Cristo“ (Sieben Worte Jesu) um ein Werk von besonderer Bedeutung und Qualität handelt.

Knapp 300 Jahre schlummerten Abschriften des Werkes in Archiven und klösterlichen Bibliotheken. Die Musikwissenschaft weiß seit etwa 100 Jahren davon, 1882 wurden die „Sieben Worte“ in der Bayrischen Staatsbibliothek katalogisiert. In den 1930er Jahren tauchten in zwei Klöstern weitere Abschriften auf, zum Teil mit Pergolesis Namen. Doch nichts passierte. Auch nicht, als immerhin der Dirigent Hermann Scherchen um 1950 eine Abschrift in der Zürcher Zentralbibliothek als „eines der innigsten Kunstwerke“ bezeichnete. Bis schließlich 2009 der Musikwissenschaftler Reinhard Fehling im niederösterreichischen Stift Kremsmünster eine weitere Abschrift fand, alle Quellen verglich und für Breitkopf und Härtel eine kritische Ausgabe erstellte (die nmz berichtete über die Wiederaufführung 2010 in Dortmund).

„Die Sieben Worte“ sind ein meditatives Oratorium, ein Zyklus von sieben Kantaten. In jeder Kantate gibt es jeweils zwei Arien. Die erste singt Jesus, die zweite „Anima“, gemeint ist die „gläubige Seele“. Jesus wird „doctor optimae“ genannt, er ist als „bester Lehrer“ zu verstehen. Die Jesus-Worte am Kreuz, die ohne Orchester zu Anfang jeder Kantate intoniert werden, paraphrasiert der singende Jesus in seinen Arien, sie sind eine Art theologischer Kommentar. In den Anima-Arien wird inhaltlich Bezug auf die Jesus-Worte genommen. Zum Beispiel antwortet die Seele auf „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, mit „Wenn ich dich, Jesus, so betrübt und verlassen sehe, ergreift mich Scham.“

„Es ist ein Dialog, auch wenn es in Form von Arien ist“, erklärt René Jacobs. „So beziehen sich die „Septem verba“ auf die frühen Oratorien um 1600, die die Form von geistlichen Dialogen haben. Noch bei Bach sieht man diese Struktur in seinen Dialog-Kantaten.“ Auch die Instrumentation in drei der sieben Kantaten mit einem Solo-Horn hat Bezüge zu Bach. „Das Solo-Horn symbolisiert Jesus, also Gott, so wie bei der Bach in der h-Moll-Messe in der Bass-Arie „Quoniam tu solus sanctus“. Hier spielen außer dem Solo-Horn vier tiefe Fagotte. Damit sind Menschen „tief wie Fagotte“ gemeint im Kontrast zur „Höhe“ Gottes. In den „Septem verba“ haben wir statt Fagotte Bratschen, und ein Horn, das bis in die höchste Region spielt.“

René Jacobs hat mit der Sopranistin Sophie Karthäuser, dem Countertenor Christophe Dumaux, dem Tenor Julien Behr und dem Bassisten Konstantin Wolff ein exzellentes Solisten-Quartett, das mit stilistischem Feingefühl agiert. Die fantasievolle, farbige Instrumentation, die zahlreichen musikalischen Textausdeutungen werden von der Akademie für Alte Musik Berlin lebendig, ja wie sprechend umgesetzt, noch dazu mit einem wunderbar warmen Klang in den Streichern, und hervorragenden Horn- und Trompeten-Solisten.

Mit letzter Sicherheit lässt sich nicht sagen, ob der Kantatenzyklus „Die sieben Worte Jesu“ tatsächlich von Pergolesi stammt. In seiner Form und der ungewöhnlichen Instrumentierung ist das Werk singulär. Es ist eine erstklassige Komposition, die es lohnt, zu kennen. Da ist es eigentlich unwichtig, ob sie von Pergolesi oder einem anderen großen Meister geschrieben wurde.

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