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Melancholisches Nachspüren und spannende Momente

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Weihnachtsgeschenktipps der nmz-Redaktion – Wir wünschen ein frohes Weihnachtsfest!
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Thomas Brezina: Aus für Strauss +++ Malcolm Washington: The Piano Lesson +++ Johannes Brahms: Klavierquartette Nr.2 & 3 +++ Tobias Hume, Carl Friedrich Abel, Johann Sebastian Bach: Werke für Viola da Gamba und Cello +++ Duonova: La vida breve +++ Karlheinz Stockhausen: Mantra for 2 pianists (1970) +++ die ärzte: 40 Songtexte aus Berlin +++ Aliette de Laleu: Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke 

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1

Thomas Brezina: Aus für Strauss. Edition a, Wien 2024, 480 Seiten, € 24,00, ISBN 978-3-99001-769-2

Das Strauss-Jahr 2025 kann man mit diesem spannenden historischen Strauss-Krimi aus Österreich einläuten. Er beginnt an einem Neujahrstag während des traditionellen Konzerts der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Musikvereins, das in 95 Länder übertragen wird und der Strauss-Dynastie gewidmet ist. Als Helen, die Assistentin eines weltbekannten Strauss-Forschers, während des Neujahrskonzerts verschwindet und später tot im Wiener Musikverein gefunden wird, ahnt noch niemand, welche Folgen dieser Fall haben wird. Und dass er bis zu den Lebzeiten von Johann Strauss zurückreicht, bei dessen Walzerkonzerten Tanzende auf mysteriöse Weise umgekommen waren ... Während „Die Fledermaus“ schon während der Lebzeiten des Komponisten landauf und landab bis nach Australien ­gespielt wurde und Strauss sich eine goldene Nase verdiente, wurde sein Librettist mit 300 Gulden abgespeist. Auch das ist ein Thema zu Anfang der Handlung in der Vergangenheit. Autor Thomas Brezina ist mit über 600 Werken einer der erfolgreichsten Schriftsteller Österreichs und eroberte zuletzt mit seiner Bestsellerserie rund um Kaiserin Elisabeth das Feld der historischen Romane. Sorgfältig recherchiert und im Austausch mit Historikern entsteht so ein Bild von Johann Strauss, das eine völlig neue Seite des weltberühmten Komponisten zeigt. 

Konsequent wird Strauß hier mit ss geschrieben. Deshalb wurde die Schreibweise übernommen. Der amüsanten Lektüre tut das keinen Abbruch, und so kann das Jahr gut beginnen. Und vielleicht wollen Sie ja demnächst nach Wien an die Originalschauplätze reisen?

Ursula Gaisa

2

Malcolm Washington: The Piano Lesson. Aktuell als Netflix-Stream (2024)

Analog zu dem gleichnamigen preisgekrönten Theaterstück erzählt „The Piano Lesson“ die Geschichte zweier schwarzer Geschwister, die sich wegen eines alten Klaviers in die Haare kriegen. Das Drama erfordert Geduld, doch sind da auch dank der starken Besetzung bewegende Momente, wenn wir in eine Familiengeschichte einsteigen, in der alle von der Vergangenheit heimgesucht werden: Pittsburgh, 1936: Ein Klavier sorgt bei Familie Charles für Misstöne. So will Boy Willie das kostbare Erbstück verkaufen und mit dem Geld Land erwerben. Seine Schwester Berniece will davon aber nichts wissen. Zu sehr hängt sie an dem Instrument, das sie mit vielen Erinnerungen verbindet. Dabei geht es oft um das Thema Sklaverei. Im Geist von „Huckleberry Finn“ ist in „The Piano Lesson“ sehr oft von menschlichen Fabelwesen die Rede, die in dem Haus umhergehen sollen und eng mit dem Klavier verbunden sind. Der Konflikt spitzt sich zu, der Film nimmt Horror-Elemente auf, ist dennoch kein Horror-Streifen. Eine gut zwei Stunden lange Hollywood-Berg- und Talfahrt für geschichtsinteressierte, musikaffine, seelenstabile Gemüter. Bei Netflix und in Programmkinos. Also einfach ein Abo oder eine Kinokarte schenken!

Theo Geißler

3

Johannes Brahms: Klavierquartette Nr.2 & 3. Lars Vogt, Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff, Barbara Buntrock. Ondine ODE 1448-2

Lars Vogt starb 2022 im Alter von 51 Jahren. Er feierte nicht nur als Pianist große Erfolge. Er lehrte darüber hinaus als Professor an der Musikhochschule Hannover, engagierte sich im Bereich der musikalischen Bildung und gründete im Kraftwerk Heimbuch in der Eifel das Kammermusikfestival „Spannungen“, zu dem er regelmäßig renommierte Künstlerinnen und Künstler einlud. Der Kammermusik galt seine besondere Liebe. Zusammen mit Christian und Tanja Tetzlaff sowie Barbara Buntrock erarbeitete er Brahms Klavierquartette. Die Studioaufnahme des Quartetts Nr. 2 und eine Livekonzert-Aufnahme des Quartetts Nr. 3 wurden nun auf einer CD veröffentlicht. Entstanden ist dabei eine wunderbare und eindringliche Interpretation. 

Barbara Haack

4

Tobias Hume, Carl Friedrich Abel, Johann Sebastian Bach: Werke für Viola da Gamba und Cello, gespielt von Anja Lechner, Cello. ECM New Series 2806

Das Murmeln eines Bachlaufs, im Wind säuselndes Espenlaub, Regentropfen auf einem Dachfenster, das hochsommerliche Zirpen von Grillen – das sind Klang-Archetypen, von denen Menschen unmittelbar und tief berührt sein können. Dem Cello Anja Lechners in der Münchner Himmelfahrtskirche gelingt das auch beim melancholischen Nachspüren von Klängen und Gestalten, gleichsam als Meditation über Leben und Tod. Für Cello transkribierte Stücke von Hume und Abel begegnen zwei der sechs Solosonaten für Violoncello von J.S.Bach. Lechner entlockt ihrem Instrument einen tiefen, reichen Klang, auf dunklem Grund glitzern Obertöne, die Gambe bleibt nur eine Erinnerung, die Cellistin spricht.

Andreas Kolb

5

Duonova: La vida breve. Florian Kohlscheen, Gitarre; Nico Graz, Bandoneon. Kalaidos Musikeditionen KAL 6372-2

Eine CD mit spanischer und südamerikanischer Konzertmusik für Gitarre und Bandoneon, die ohne Astor Piazzolla auskommt, Respekt! Das Programm enthält zwar mit dem titelgebenden Tanz aus de Fallas „La vida breve“, Albéniz’ „Asturias“ oder Villa Lobos’ Aria aus den Bachianas Brasileiras Nr. 5 einige erwartbare Nummern, die feinen Arrangements des Duo­nova, geschmackvoll und idiomatisch gespielt, geben diesen aber genügend Frische und Individualität, so dass man gerne noch einmal hinhört. Mit den Stücken von Quique Sinesi, Egberto Gismonti und Marco Pereira kommt willkommenes folkloristisches Flair hinzu. Ab 6. Dezember im Handel, also noch pünktlich vor dem Fest!

Juan Martin Koch

6

Karlheinz Stockhausen: Mantra for 2 pianists (1970). GrauSchumacher Piano Duo, Experimentalstudio des SWR. NEOS 12320

Es gibt Melodien, Läufe, Intervallketten, Triller, Akkorde, Repetitionen, alles was Herz und Finger von Klaviervirtuosen begehren. Dennoch klingt das konventionell gespielte Instrument sensationell anders. Die Töne werden durch Ringmodulatoren mit elektronisch generierten Frequenzen kombiniert. Daraus resultieren Differenz- und Summationstöne, die den Klang fantastisch verändern. Dem wohltemperierten Klavier entgleitet seine diatonisch-chromatische Skalierung zu mikrotonalen Zwischenklängen, Tonbeugungen wie beim Dopplereffekt, seltsamen Geisterstimmen, stufenlos auf und ab fahrenden Glissandi. Das altehrwürdige Instrument aus dem Postkutschenzeitalter mutiert zum futuristischen Apparat eines intergalaktischen Fantasy-Spektakels. Das GrauSchumacher Piano Duo spielt hervorragend, die Elektronik und Aufnahmequalität des SWR Experimentalstudios ist exzellent, das Beiheft ist dreisprachig und informativ, und Stockhausens „Mantra“ erweist sich einmal mehr als Klassiker, der packende Hörerlebnisse bereitet.

Rainer Nonnenmann

7

die ärzte: 40 Songtexte aus Berlin. Reclam, Ditzingen 2024, 128 Seiten, € 8,00, ISBN: 978-3-15-014570-8

Es gibt so viel, das wir uns wünschen, aber gar nicht brauchen. Ganz unangenehm wird es bei den Sachen, die man sich erst wünscht, dann bekommt und schließlich wünscht, man hätte sie nicht bekommen. Und es gibt die Sachen, die man sich nicht gewünscht hat, aber dringend braucht – bei der kommentierten Reclam-Neuerscheinung „die ärzte: 40 Songtexte aus Berlin“ handelt es sich ganz klar um Letzteres. Dass Reclam die Dichtkunst der 1983 im Rahmen eines Musikwettbewerbs vom Berliner Senat ausgezeichneten und wenige Jahre später schon indizierten Formation durch das Büchlein zum Kulturkanon erhebt, ist nett, richtig gut tut es aber, im gelben Regal versehentlich an den Klassikern vorbei zu bester deutscher Bildungslyrik à la „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“ zu greifen.

Wie war das noch? Es ist nicht meine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, sondern nur, dass sie so bleibt? Sich sowas von scheinbar respektlosen Rockern aus einem gelben Heft heraus sagen zu lassen – das ist doch etwas, dass man sich und seinen Mitmenschen nur wünschen kann. Und jetzt kann man es eben auch verschenken.

Mathis Ubben

8

Aliette de Laleu: Komponistinnen. Frauen, Töne & Meisterwerke, Reclam, Ditzingen 2024, 173 Seiten, € 24,00, ISBN 978-3-15-011470-4

„Wer hat die Frauen aus der Musikgeschichte gelöscht?“, fragt die Autorin am Ende des lesenswerten Bandes, wobei die vorangehenden Kapitel zahlreiche Erklärungen bieten, die vor allem den bis heute patriarchal geprägten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschuldet sind: Herabwürdigung, Unterdrückung und Verbot, Vorurteile und biologistische Scheinargumente, Dominanz des traditionellen, mit wenigen Ausnahmen männlich geprägten Kanons, der immer noch stark durch die Musikgeschichtsschreibung betoniert ist. 

Bücher wie dieses sind Brechstangen, die freilegen und benennen, womit wir uns zur eigenen Bereicherung künftig in größerer Offenheit und Breite beschäftigen sollten, was sicht- und hörbar gemacht werden kann (hier mit Playlisten), um seine Kraft als Vorbild zu entfalten.

Michael Wackerbauer

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