Der 1937 in Kiew geborene Valentin Silvestrov gilt heute als der berühmteste Komponist der Ukraine. In seinem umfangreichen Schaffen, das unter anderem mehrere sinfonische Werke sowie Kammermusik enthält, gibt es auch eine ganze Reihe von Klavierwerken, darunter drei Sonaten. Im Verlag M.P. Belaieff, Mainz (Bel 686) erschien das Heft „Bagatellen für Klavier“ op. 1–5, für die die Jahre 2005–2006 angegeben sind.
Das Vorwort vermittelt folgenden Hinweis: „Für dieses Heft hat Silvestrov erstmals aus der Vielzahl seiner ‚Bagatellen‘ fünf Zyklen zusammengestellt, die Opuszahlen 1–5 vergeben und die Stücke auch selbst auf CD (ECM) eingespielt.“
Für Aufführungen schlägt der Komponist vor: „Nach Möglichkeit alle Stücke nacheinander wie einen Text spielen.“ Der 51 Notenseiten umfassende Notentext lässt sicherlich auch zu, einzelne Opera als kleinen Zyklus vorzutragen; erarbeiten kann man sich sowieso zunächst Teile davon. Die feinsinnigen, schön klingenden Bagatellen sind – bei fast durchgehender Zweistimmigkeit, nicht ganz so leicht, wie sie zunächst aussehen mögen, müssen doch viele Feinheiten verstanden und umgesetzt werden. Als Vorwort wird ein Text des Komponisten wiedergegeben. Darin steht unter anderem:
„Meine mikrodynamischen und agogischen Bezeichnungen sind genauso ein Text wie die Noten, ihre Dauer und Höhe … Für mich sind diese Bezeichnungen kein schmückendes Beiwerk, sondern genauso wichtig wie Intervalle … Mit diesen Dynamik- und Agogik-Bezeichnungen komponiert der Komponist. Ohne sie würde ihm sein Text nicht vollwertig vorkommen.“
Silvestrov hat jedem Stück genaue Pedalangaben beigefügt. Der Bedeutung der Oberstimme gibt er Ausdruck durch die Bemerkung: „Mit der linken Hand etwas leiser spielen als mit der rechten.“ Die „Bagatellen“ von Silvestrov sind wirklich empfehlenswert.
Der Komponist und Poet Bechara El-Khoury (Jahrgang 1957) stammt aus dem Libanon, wo er schon mehrere Gedichtbände veröffentlichte. Nach einem Studium in seinem Heimatland ging er 1979 zur weiteren Ausbildung zu Pierre Petit nach Paris und machte dort erfolgreich als Komponist Karriere, was sich unter anderem in der Publikation von mehreren CDs mit seinen Werken niederschlug, die bespielsweise bei Naxos erschienen sind.
Unter seinen Klavierwerken findet sich auch ein Konzert für Klavier und Orchester op. 36. Der Verlag Alphonse Leduc hat 2005 mehrere neue Klavierwerke vorgelegt, unter denen sich die beiden kürzeren Stücke „New York Dreams“ op. 68 (AL 29578) sowie „Paris, Mélodie d’automne“ op. 69 (AL 29620) befinden, die beide 2003 entstanden. Die Dauern belaufen sich auf circa drei behziehungsweise fünf Minuten. Das Wort „poetico“, das der Komponist beiden Stücken voranstellt, deutet eine Neigung zu ausdrucksvoller, empfindsamer Poesie an. Wie auch Silvestrov legt El-Khoury Wert auf Befolgung seiner Pedalangaben.
Die beiden nicht sehr schweren, ansprechenden Stücke können empfohlen werden, um einen hierzulande noch weitgehend unbekannten, interessanten Komponisten kennenzulernen, der musikalische Einflüsse aus seinem Heimatland Libanon mit europäischen verbindet.
Altmeister Einojuhani Rautavaara (Jahrgang 1928) zählt zu den führenden nordeuropäischen Komponisten der Gegenwart. Berühmt wurde er vor allem durch sein sinfonisches Werk, das unter anderem acht Sinfonien und drei Klavierkonzerte umfasst. Rautavaara hat auch eine Reihe von Klavierstücken veröffentlicht, darunter zwei Sonaten. Seine jüngste, 2007 geschriebene Schöpfung für das Instrument nennt er „Fuoco“; der kurze Konzertsatz ist bei Boosey & Hawkes erschienen.
Er ergänzt die beiden früheren Stücke „Passionale“ und „Narcissus“ zur Trilogie. In gemäßigt moderner Sprache bildet „Fuoco“ ein sehr ansprechendes, schwungvolles Stück, das zwischen einem „Feroce“ überschriebenen Teil im 8/8-Takt (3+2+3) und einem „Cantando“ mit liedhafter Oberstimme und Sechzehntel-Passagen in der linken Hand changiert. Das Klavierstück „Fuoco“ von Einojuhani Rautavaara bietet eine gute Gelegenheit, ein von Leidenschaft erfülltes, eindrucksvolles Stück des großen finnischen Komponisten kennenzulernen.
Der aus der Schweiz stammende österreichische Komponist und Dirigent Beat Furrer (Jahrgang 1954) hat in Wien bei Roman Haubenstock-Ramati Komposition studiert und bei Otmar Suitner Dirigieren. Durch seine Kompositionen, unter denen sich auch einige Bühnenwerke befinden, sowie durch seine langjährige Tätigkeit als künstlerischer Leiter des „Klangforum Wien“ wurde er zu einer wichtigen Persönlichkeit im europäischen Musikleben. Seine „drei klavierstücke“ (Bärenreiter BA 9326) aus dem Jahre 2004 zeigen einen Komponisten, der mit Behutsamkeit feinen, fragilen Klängen nachspürt, und damit Interpreten wie Hörer zu konzentrierter Aufmerksamkeit bringen kann. Im ersten der stets genau notierten Stücke stehen in den beiden oberen Systemen zumeist einzelne, kurze Anschläge, denen jeweils ein – im Vergleich dazu – längerer Abschnitt folgt, der durch Nachhallklänge ausgefüllt wird. Diese werden mittels Tonhaltepedal erzeugt: Im unteren der drei Systeme sind jeweils die Töne notiert, die tonlos niedergedrückt und per TP arretiert werden. Im zweiten, auf zwei Systemen notiert, wird nur das rechte Pedal eingesetzt, zum Teil in konventioneller Weise mit genau angezeigten Wechseln, zum Teil aber durch Arretierung des Hebels unmittelbar nach einem kurzen, scharfen Anschlag, der eventuell weiteren Pedalwechseln unterliegt.
„Das Pedal immer nur leicht lüften, so dass nach und nach immer mehr Nachklänge herausgefiltert werden“, schreibt Furrer zur Erklärung des letzteren Vorgangs. Das virtuose dritte Stück ist – bei minimalem Pedaleinsatz – auf zwei bis vier Systemen fixiert; bei vier Akkoladen sind die beiden unteren für Cluster reserviert. Der Verlag gibt in der Druckausgabe die Dauer von „ca. 16’30 min. (9’ – 3’ – 4’30)“ an. Die „drei klavierstücke“ von Beat Furrer bieten einen interessanten Einblick in die farbenreichen Klangfantasien eines wichtigen Komponisten.