Es ist sicher Zufall und eben doch signifikativ für die derzeitige Situation, dass zwei von drei der jüngsten Neuerscheinungen, die der nmz-Redaktion zur vierhändigen Klavierliteratur vorliegen, zwar in unterschiedlicher Weise, aber beide die Rubrik „Bearbeitungen“ betreffen. Dem Oberbegriff haftete im 20. Jahrhundert lange Zeit innerhalb der E-Musik etwas Unseriöses an mit einem negativen Beigeschmack, im Unterhaltungssektor nolens volens zu akzeptieren. Inzwischen ist ein Bedürfnis zu spüren, diesem Phänomen mit einer differenzierteren Sichtweise besser gerecht zu werden.
Franz Schubert: 20 Ländler für Pianoforte zu vier und zu zwei Händen. Bearbeitet von Johannes Brahms, Universal Edition UE 31958
Johannes Brahms als Bearbeiter, zumal fremder Werke, mag für den einen oder anderen noch eine Überraschung bedeuten. Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um die original zweihändigen Ländler für Klavier D 366 und D 814 von Franz Schubert, das sind einmal 17, das andere Mal 4 Stücke. (Da das letzte Stück der ersten Serie deckungsgleich mit dem ersten der zweiten Serie ist, kommt es in der Gesamtfolge bei Brahms auf zwanzig Stücke). Der Herausgeber Peter Roggenkamp hat eine lobenswerte Präsentation vorgelegt.
Die Ausgabe wird eröffnet mit den 20 Ländlern in der vierhändigen Übertragung von Brahms. Schuberts Autographe der zweihändigen Stücke waren damals im Besitz von Brahms, so dass dieser sich auf das authentische Urgestein des Komponisten stützen konnte. In der vorliegenden Ausgabe sind auch die zweihändigen Fassungen aufgenommen. So kann der Benutzer vergleichen und bestätigt finden, was Roggenkamp in einem klugen einleitenden Text resümiert:
„Brahms hat sich an Schuberts Vorlagen gehalten und keine Töne verändert; dennoch ist der Klaviersatz durch Verdoppelungen kompakter als in der Vorlage, er klingt leicht brahmsisch.“ (Zu ergänzen, dass einige Oktavierungen und andere Verdoppelungen auch schon bei Schubert im Zweihändigen vorkommen!) Übrigens, worauf in der vorliegenden Ausgabe nicht hingewiesen wird, hat Schubert zwei der 20 Stücke auch schon vierhändig übertragen, das eine mit einer interessanten neuen Modulation imzweiten Teil leicht verändert befindet sich als Trio I unter den ,,Deutschen mit 2 Trios“ D 618, das andere ist unverändert übertragen die Nummer eins in den „Vier Ländlern“ D 814.
Reinhard Febel: 7. Choralbearbeitungen nach Johann Sebastian Bach für Klavier zu vier Händen, Ricordi München Sy.2750-57
Hier geht es um eine andere Art von Bearbeitungen. Sechs Choralbearbeitungen von Bach hat Febel ausgewählt, eine von ihnen, „Wo soll ich fliehen hin“ (BWV 694), zweimal bearbeitet. Febel verhält sich bei den Vorlagen Bachs, die mehr oder weniger textgetreu als Grundlage dienen, unterschiedlich. Mal beschränkt er sich im Wesentlichen auf die Textübernahme von Bach und arbeitet unter Umständen nur mit Verschiebung der Stimmen durch Oktavversetzungen und Oktavierungen, vergleichbar den Modifizierungen durch entsprechende Orgelregister (zum Beispiel bei ,,Ich ruf zu Dir“, BWV 639). Mal gibt es kleine Veränderungen, die aber vielleicht schon einen künstlerischen, ja spirituellen Hintergrund berühren: Die letzte Choralzeile von „Nun komm der Heiden Heiland“ ist bekanntlich gleich der ersten: Es schließt sich ein Kreis! Für Bach in seinem Choralvorspiel BWV 659 ist das gleiche Gesetz bindend, die Dimension nur eine größere. Dagegen führt Febel nicht zum Ausgangspunkt zurück, sondern wandelt, den Bach-Text stückchenweise immer weiter transponierend, bis zu einem Punkt, wo er im Tritonus entfernt zum Ausgangspunkt des Chorals liegt. Ist das Aufbruch zu einer neuen Perspektive dieser Musik oder bedeutet es Aufgabe eines grundsätzlichen künstlerischen und spirituellen Sinns, der als vorgegeben zu betrachten ist? Einige Male fügt Febel nicht unerhebliche Zusätze eigener Vorstellungen und persönlicher Inspiration hinzu, die Aufmerksamkeit wecken und vor allem in klanglicher Hinsicht zu einem spürbar veränderten Bild gegenüber der ursprünglichen Struktur führen: „Allein Gott in der Höh“ (BWV 663) und „Erbarme dich mein“(BWV 721). Da wird es eine Frage des persönlichen Standorts sein, ob man dies mit Faszination akzeptiert oder eine Art Verhüllung empfindet, wie man es in anderer Form und auf völlig anderem Gebiet, nämlich visuell, 1995 am Berliner Reichstag erleben konnte. Reinhard Febel ist 1952 in Metzingen geboren und seit 1997 Professor für Komposition am Mozarteum in Salzburg.
Robert HP Platz: Kinderstücke für Klavier zu 2 und 4 Händen (mit Tonband oder zweitem Klavier), Ricordi Sy.2707
Als Drittes liegt von dem 1951 in Baden-Baden geborenen und in Köln lebenden Robert HP Platz ein Heft mit drei kurzen originalen Klavierstücken vor, das im oben genannten Verlag zu einer Serie unter dem Titel „Neue Klangformen – Neue Spielformen, die Reihe für Neugierige“ gehört. Eine deutliche Verbindung ist zunächst zwischen den beiden ersten zweihändigen Stücken erkennbar, die während eines Rußsslandbesuchs des Komponisten entstanden sind. Zum Verständnis der seltsamen Überschrift zum zweiten Stück muss man das Vorwort, vor allem in der englischen beziehungsweise französischen Version lesen. Wenn Davina, quasi als Widmungsträgerin genannt, ein russisches Mädchen aus Rusa sein sollte, wäre die Überschrift „Strasdvuidje“ als russisches „Guten Tag“ ohnehin sinnvoller und aussagekräftiger als das verballhornte „Gestresste Würstchen und ...“ Das dritte Stück ist für vier Hände komponiert. Wenn man hier dem Vorschlag von Platz folgt, ist ein auf der letzten Seite noch vorhandener zusätzlicher Notenteil zu diesem Stück auf Tonkassette aufzunehmen, die parallel zum Live-Spiel von Primo und Secondo von Takt 16 ab für die letzten zwöf Takte ablaufen muss. Sonst bedürfte es eines dritten Spielers an einem zweiten Instrument – beides natürlich für eine so kurzes Stück ein unverhältnismäßig großer Aufwand! – ,aber es gilt wohl hier, einfach mit diesen Stücken an kleinen Beispielen Neugierde für das Neue zu wecken. Und das könnte gelingen, denn der Komponist hat sich von seiner Inspiration in Verbindung mit Anregungen von Kinderseite leiten lassen, etwas auf die Klaviertasten zu bringen, das man ein Mittelding von freitonalen Improvisation und motivisch deutbaren Strukturen in Richtung von Minimais in einem freitonalen Raum nennen könnte. Ganz elementare Spielkenntnisse reichen zur Bewältigung der Stücke übrigens nicht aus, nicht einmal für den kurzen Secondo-Part in Nummer drei. Der für die Editionsreihe zuständige und auch in der Gestaltung der Ausgabe mitverantwortliche Christoph Jäggin hätte an einigen Stellen seine lenkende Hand etwas glücklicher einbringen können, vor allem die dritte Seite von „Bäume abgestorben“ in aufklappbarer Form eines Doppelblattes, um die Übersicht über das gesamte Stück zu ermöglichen.