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Produktfoto: AURIO
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Klassisch-romantische Raritäten, edel angerichtet

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Die ersten Notenausgaben der neuen Edition „Aurio Signature“ sind erschienen
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Der äußere Eindruck ist schon einmal sehr vielversprechend: Was der junge Aurio Musikverlag mit seinen ers­ten Editionen vorlegt, sind großformatige, gut gebundene Hefte, deren großzügiger, qualitätvoller Notensatz auf hochwertigem Papier mit angenehmem Cremeton sehr gut lesbar ist. Was die Bände von anderen Notenausgaben abhebt, ist unter anderem der magazinartige Charakter der ersten Seiten. Mit großen Fotos und (meist leider im Agenturstil gehaltenen) Kurzbiografien werden jeweils die Kurator*innen des Heftes vorgestellt, die dann in einem Interview auch über die Werkauswahl Auskunft geben.

Im ersten Klavierband ist dies Michael Korstick, der hierfür die selten zu hörende „Dumka“ von Peter Tschaikowsky vorgeschlagen hat, wobei im Gespräch ein etwas intensiveres Eindringen in die Notentexte durchaus willkommen gewesen wäre. Der stili­stische und musikhistorische Bogen ist der größte unter den bisher vorliegenden Aurio-Ausgaben: Von William Byrd führt er über Padre Antonio Soler, Tschaikowsky, Guillaume Lekeu und Erik Satie bis zu drei kleinen Stücken Giacomo Puccinis. Daran wird auch die interessante Grundidee des Verlags deutlich: Von rechtefreien Komponisten werden weniger bekannte Stücke, die nur in historischen, schwer greifbaren Versionen oder in mäßiger Qualität online verfügbar sind, zu einem auch in den Schwierigkeitsgraden vielfältigen Band zusammengestellt.

Für wie attraktiv man nun Lekeus in ausführlichen Kontrapunkt-Passagen schwelgende g-Moll-Sonate oder die Klavierreduktion von Saties „Parade“ (von wem diese stammt, wird leider verschwiegen) gerade auch für Konzertprogramme halten mag, ist wohl Geschmackssache. Die attraktive Aufmachung lädt in jedem Fall dazu ein, sich einmal abseits gängiger Repertoirestücke mit verschiedenen Stilis­tiken und ihren technischen Herausforderungen zu beschäftigen.

Die Ankündigung des Verlags, einen Schwerpunkt auf Kammermusik legen zu wollen, lösen die ersten Hefte für Klarinette und Flöte ein, die entsprechend die separaten Stimmen enthalten. Pablo Barragán hat für den Klarinettenband Isaac Albéniz’ schöne Barcarolle „Mallorca“ empfohlen, die Nicolai Pfeffer dann ebenso kundig und schlüssig für Klarinette und Klavier bearbeitet hat wie Beethovens „Frühlingssonate“, bei der sich der Besetzungswechsel von Violine zu Klarinette sehr natürlich ausnimmt. Größer besetzt ist das kurzweilige Quartett für Klarinette und Streichtrio von Bernhard Henrik Crusell, zwei Klarinetten sind in einem netten konzertanten Duo eines gewissen Joseph Pranzer gefragt, als Vortragsstück dürfte Luigi Bassis in der musikalischen Substanz überschaubares, aber dankbares „Divertimento di stile facile“ auf Interesse stoßen.

Den ersten, von Kathrin Christians kuratierten Flötenband eröffnet mit Sigfrid Karg-Elerts Sonata appassionata op. 140 nicht unbedingt eine Wiederentdeckung, schließlich gehört das gehaltvolle Solowerk durchaus zum Repertoire der großen Virtuos*innen. Dennoch ist eine sorgfältig gesetzte Neuausgabe natürlich willkommen. Ob auch alle anderen Stücke des Bandes das Prädikat „Meisterwerk“ verdienen („Seltene Meisterwerke für Sie entdeckt“ lautet das selbstbewusste, omnipräsente Motto der Editionsreihe), darf indes bezweifelt werden. Aber auch ein, zwei Nummern kleinere Preziosen wie Cécile Chaminades „Sérénade aux étoiles“, die Duos von Johann Caspar Kummer oder das Concertino für Flöte, Oboe und Klavier von Alfred de Massa haben die Chance verdient, gespielt zu werden.

Zu allen drei Ausgaben liegen im Netz komplette Einspielungen vor, anhand derer man sich einen Höreindruck verschaffen kann – ein vorbildlicher Service, der nur durch die allzu nobel-abgespeckten Playeransichten ein wenig getrübt wird. Werktitel, Gesamtlänge der Stücke oder Interpretenangaben sind nicht zu finden. Schade ist außerdem, dass die in den Bänden erfreulicherweise jedem Stück vorangestellten Einführungen manchmal keine Information zu dem zugrundeliegenden Notentext enthalten. Hier muss man sich dann mit dem etwas vagen Hinweis „Neustich nach historischen Quellen. Wissenschaftlich für die Praxis ediert von…“ zufrieden geben. Bei den aktuelleren Bänden – neben den jeweils zweiten Ausgaben für Klavier, Klarinette und Flöte liegen inzwischen auch erste für Cello, Geige und Gitarre vor – lautet die Sprachregelung mittlerweile „Spielpraktisch edierter Neustich nach historischen Quellen“. Ergänzt ist hier nun auch die Angabe des Schwierigkeitsgrades vor jedem Stück in der gängigen Abstufung von 1 bis 6, inklusive halber Stufen.

Interessant an der „Aurio Signature“-Serie ist nicht nur die Werkauswahl und die Aufmachung der Noten, auch beim Vertrieb geht der Verlag neue Wege und bietet neben den Einzelbänden auch ein Jahresabonnement an. Wer sich also von der Verlagsauswahl und den Empfehlungen wechselnder Kurator*innen überraschen lassen will, bezahlt für den Einzelband knapp 25 statt knapp 30 Euro. Auch digital sind die Ausgaben zum Preis von jeweils 12,48 Euro verfügbar, wobei die Optik des Notensatzes in PDF-Form dann aber doch stark gegenüber den schönen Drucken abfällt.

Fazit: Aurio hat mit seinen ersten Ausgaben konzeptionell, editorisch und drucktechnisch eine beachtliche Premiere hingelegt, Luft nach oben ist noch bei Details der Umsetzung und bei der historisch-stilistischen Vielfalt der Hefte, die doch hauptsächlich im Bereich Klassik bis Spätromantik angesiedelt sind. Den Begriff „Meisterwerk“ unnötig zu strapazieren, das hat die Reihe eigentlich gar nicht nötig.

Besprochene Bände der Serie „Aurio Signature“:

  • Klavier – Band 1/2020 (AS2101). Mit einer Werkempfehlung von Michael Korstick; 95 Seiten (Partitur)
    William Byrd: Pavan & 2 Galliards „The Earl of Salisbury“; Padre Antonio Soler: Sonata e-Moll R 27; Peter Tschaikowsky: Dumka c-Moll op. 59; Guillaume Lekeu: Sonate für Klavier g-Moll; Erik Satie: Parade – Ballet réaliste; Giacomo Puccini: Pezzi per Pianoforte
  • Klarinette – Band 1/2020 (AS5101). Herausgegeben von Nicolai Pfeffer. Mit einer Werkempfehlung von Pablo Barragán; 190 Seiten (Partitur & Stimmen)
    Joseph Pranzer: 3ème Duo concertant; Ludwig van Beethoven: Violinsonate Nr. 5 op. 24 „Frühlingssonate“; Bernhard Henrik Crusell: Quartett op. 4; Luigi Bassi: Divertimento di stile facile; Isaac Albéniz: Mallorca (Barcarola) op. 202
  • Flöte – Band 1/2020 (AS1101). Mit einer Werkempfehlung von Kathrin Christians; 156 Seiten (Partitur & Stimmen)
    Sigfrid Karg-Elert: Sonata appassionata fis-Moll op. 140; Cécile Chaminade: Sérenade aux étoiles op. 142; Roland Revell: Trois pensées op. 23; Johann Caspar Kummer: Trois duos op. 69; Alfred de Massa: Concertino

https://aurio-verlag.de/

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