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Kunst vor Kommerz

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„Henze-Collection“: * Sinfonien 1–6 (Berliner Philh., London Symphony Orchestra; DG 449 861-2 * Sonata per archi / Doppio concerto per oboe ed arpa/Fantasia für Streicher. Heinz und Ursula Holliger; Collegium Musicum Zürich, Paul Sacher; DG 449 864-2 * 1. Violinkonzert / Ode an den Westwind / Concerto per contrabasso. W. Schneiderhahn / S. Palm; Symphonieorch. des BR / Gary Karr, English Chamber Orchestra; DG 449 865-2 * 2. Klavierkonzert / Tristan / 2 Ballett-Variationen / 3 Tientos für Git. Christoph Eschenbach, London Philh. O.; u.a.; DG 449 866-2 * 5 neapolitanische Lieder / Dietrich Fischer-Dieskau u.a.; DG 449 869-2 Deutsche Grammophon Was die Tonträgerindustrie etwa eineinhalb Jahrzehnte versäumte, allen voran Henzes grammophonische „Muttergesellschaft“ DG, holt sie nun seit einiger Zeit nach, und zum Siebzigsten legte eben diese DG umfangreiche Neuauflagen alter, vergriffener eigener LP-Editionen nach – nun gleich geballt als „Henze Collection“ mit 14 CDs. Einiges davon, aus demVokalwerk, war bereits seit längerem über 2001 erreichbar; merkwürdigerweise fehlten dort die „Fünf neapolitanischen Lieder“ (1956), obwohl sie mit ihrer (hier nur zum Teil klassizistisch-heiteren!) Aneignung des „Mediterranen“ für Henzes Entwicklung einen charakteristischen Punkt markieren. Andrerseits ist „Das Floß der Medusa“ (1968) hier mit aufgenommen; seinerseits hatte es bei der – dann nicht zustandegekommenen – Uraufführung in Hamburg einen Skandal gegeben, vor allem durch das aggressive Verhalten von vielen Interpreten, der Intendanz, der Polizei, die den Anblick einer roten Fahne auf dem Podium (einem bürgerlichen philharmonischen Konzertpodium, man denke nur!) nicht aushalten konnten; der sich anschließende eigentliche Skandal war dann der in mancher Hinsicht merkliche Boykott gegen Henze. Abgesehen von diesen inzwischen Geschichte gewordenen Geschichten ist jedenfalls diese Edition mit dem einheitlichen Signet verschiedenartiger Chladni-scher Klangfiguren verdienstvoll. Von den Symphonien z.B. hätten wir freilich, da nun schon die Neunte als Vokalsymphonie nach Anna Seghers „Das siebte Kreuz“ im Oktober 1997 uraufgeführt ist, auch die Nr. 7 und 8 gern gehabt (die freilich nicht so bequem bloß nachzudrucken wären). Auch die Nachstücke und Arien (auf Texte Ingeborg Bachmanns), um nur eines der schönsten Werke Henzes zu erwähnen, vermisse ich. Immerhin liegt also ein umfangreicher Ausschnitt aus einem umfangreichen, großen Œuvre wiedergesammelt vor. Die Interpretationen haben die Aura des Authentischen und sind in vieler Hinsicht bereits historisch. (Leider anscheinend manchmal auch die Technik: Bei zwei der mir vorliegenden CDs funktioniert die Index-Wahl nicht.) Häufig dirigiert Henze selbst. Und Interpreten wie Edda Moser, Fischer-Dieskau, Roy Hart, Eschenbach, Francesch, Ursula und Heinz Holliger, Palm u.a. sorgen für ein Niveau, das neuere in der Regel kaum überbieten dürften. Spannend ist die Wiederbegegnung mit frühen Werken Henzes wie der 2. Symphonie von 1949, dem 1. Violinkonzert (1946/47) mit seiner Vielfalt von Charakteren oder der Ode an den Westwind, jenem Violoncello-Konzert von 1953, bei der Henze wohl erstmals in größerem Maßstab einem instrumental erscheinenden Werk als eine esoterische Tiefenstruktur eine Textierung (hier von Percy Bysshe Shelley) zugrundelegte. Insgesamt handelt es sich bei dieser „Collection“ um eine Entscheidung der Firma bzw. des Labels, bei der vermutlich ausnahmsweise künstlerische vor kommerziellen Erwägungen wenigstens insoweit rangieren, als diese „Collection“, selbst einen Preisnachlaß, da es sich um keine Neuproduktionen handelt, eingerechnet, sich wohl eher als Imagepflege auf dem Weg einer „Umwegrentabilität“ rentieren dürfte. (Wäre es anders: auch gut.)

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