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Neue Partituren 2021/04

Untertitel
Neue Werke von Büsing, Elia, Finnissy, Lévy und Riehm
Publikationsdatum
Body

Otfried Büsing: ...der Euch Neues bringt. Szene mit Walther von der Vogelweide (2018) für Mezzosopran und präpariertes Klavier | Alessio Elia: Sayings of the Seers (2014) für Violine solo | Michael Finnissy: Dann nicht zu fragen (2017) für Altisten und Klavier (Texte: Fragmente aus Georg Büchners Lenz und Woyzeck) | Fabien Lévy: Murmelt mein Blut (2018) für Frauenstimme und Klavier (mit Stimme) (Text: Else Lasker-Schüler) | Rolf Riehm: Framing Schwarze Pappeln Persephone (2020) für Sopran, Flöte, Bratsche, Kontrabass und Klavier

Otfried Büsing (*1955): ...der Euch Neues bringt. Szene mit Walther von der Vogelweide (2018) für Mezzosopran und präpariertes Klavier
Edition Gravis eg 2611 (2 Spielpartituren)

Stilrichtung, allg. Charakter
Musikalischer Historismus theatralen, teils anekdotischen Charakters. Stilallusionen und Parodien geistlicher wie weltlicher Musik des Mittelalters, eingebettet in eine moderne, atonale Klangsprache incl. Saitenspiel im Klavierinnenraum, perkussiver Effekte durch Präparation und Pedaleinsatz.

Form, Struktur
Auf Basis von fünf v.a. syllabisch vertonten Texten inhaltlich motiviert kleinteiliger Formverlauf mit finalem Reprisenelement. Wechsel zwischen freiem Melos und (teils modaler) Monodik mit akkordischer Begleitung (Quintharmonik, orgelartige Registrierungen, dissonante Vielklänge etc.).

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partiturnotation, einige Passagen prosodischer Freiheit
Dauer: ca. 12 min.
nicht sehr schwer

Kommentar
Kompakte, musikalisch abwechslungsreich gestaltete Szene, die verschiedene Facetten Walthers auf die Bühne bringt: den feilschenden Herold, rustikalen Bänkelsänger, schmachtenden Liebhaber und schließlich vom Leben ernüchterten Alten. Ästhetisch wenig tiefschürfend, doch sehr unterhaltsam.


Alessio Elia (*1979): Sayings of the Seers (2014) für Violine solo
Impronta Edition Mannheim IE-AE-1-2015 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Rhapsodischer, naturtönig erweiterter chromatischer Stil. Durch Bogentechniken wie Sautillé oder Tremoli (meist im Flageolett, oft in Doppelgriffen) geräuschhaft verschattete Musik, wobei sich der Gesamtklang im etwas konventionelleren Mittelteil durch Ordinario-Spiel deutlich aufklart.

Form, Struktur
Vierteilige Form mit kontrastierenden Satztypen: 1. zweischichtige Anlage linkshändigen Zupfens und vielfarbig fluktuierenden Streichens; 2. ruhiges Flageolettmelos; 3. sich stark belebende, teils polyphon verdichtete, zweistimmige Textur; 4. mäandernde Zweiunddreißigstelketten im Flageolett.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation (weitere Liniensysteme für Pizzicati der linken Hand bzw. resultierende Tonhöhen der ausgedehnten, einstimmigen Flageolett-Passagen)
Dauer: ca. 8 min.
sehr schwer

Kommentar
Elia greift für sein Werk den Titel eines verlorenen Textes auf, in dem es nach alttestamentarischer Überlieferung um einen reumütigen Sünder geht: Vielleicht ein Hinweis auf die vieldeutige Natur der Musik im Allgemeinen und dieses voller Nervosität Erlösung suchenden Solos im Speziellen?


Michael Finnissy (*1946): Dann nicht zu fragen (2017) für Altisten und Klavier (Texte: Fragmente aus Georg Büchners Lenz und Woyzeck)
Verlag Neue Musik Berlin NM 2537 (zwei Spielpartituren)

Stilrichtung, allg. Charakter
Tief melancholische Musik expressiven Stils. Der gewichtige, rhythmisch unstete und dissonante Klavierpart mutet wie die umherirrende Suche nach Aufrichtigkeit und Schlichtheit des Volkslieds an, die dann im Verbund mit meist „quasi recitativo“ geforderter Stimme auch mehrfach aufscheint.

Form, Struktur
Zwei attacca aufzuführende Prosavertonungen mit entsprechend rhapsodischer Formgebung. In den

harmonischen Labyrinthen des vielstimmigen Satzes meint man vage manch vertraute Melodie zu erkennen. Zunehmende Verengung des Stimmambitus bis hin zur einfachen Pendelbewegung fis'-g'.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Partitur (ohne Taktzählung und metrische Vorzeichnungen, Taktstriche nur zur Orientierung)
Dauer: ca. 11 min.
schwer

Kommentar
Das „ziemlich ernst“ und „im Volkston“ abgefasste Diptychon spürt dem skeptischen, in Opposition zum Idealismus stehenden Menschenbild Büchners nach. Dessen Aufruf zur „Versenkung ins Leben der Geringsten“ entspricht Finnissy mit einer ergreifenden Vertonung des Märchens aus Woyzeck.


Fabien Lévy (*1968): Murmelt mein Blut (2018) für Frauenstimme und Klavier (mit Stimme) (Text: Else Lasker-Schüler)
Edition Peters EP 14327 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Pointillistischer Stil. Ausgehend von leisem, introvertiertem Espressivo schwingt sich der Gesang vorübergehend zu tänzerischem Esprit auf. Der bevorzugt im Diskant verortete, teils mechanisch anmutende Klavierpart sichert durch plastische Gestaltung Spielfreude und Textverständlichkeit.

Form, Struktur
Zum Gedichtaufbau formal kontrapunktischer Spannungsbogen in zehn Abschnitten. Verkettungen kleinster rhythmischer und melodischer Zellen scheinen diversen Additions- und Filterprozessen zu unterliegen, mit der Folge harmonischer Wechsel und schwankender texturaler Perforationsgrade.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation (extra Zweiliniensystem für die gegen Ende schattenhaft sekundierende Stimme des Pianisten)
Dauer: ca. 8 min.
schwer

Kommentar
Trotz einiger Freiheiten im Umgang mit der Textkontinuität gelingt Lévy eine pianistisch wie stimmlich geradezu zärtliche Annäherung an Else Lasker-Schülers expressionistisches Gedicht Mein Liebeslied, dessen Worte poetisch stimmig, mitunter auch lautmalerisch umgesetzt werden.


Rolf Riehm (*1937): Framing Schwarze Pappeln Persephone (2020) für Sopran, Flöte, Bratsche, Kontrabass und Klavier (Texte: Hohes Lied, Rosa Luxemburg, Isabelle Eberhardt, Karoline von Günderrode, aus einer TV-Adaption des Orpheus-Mythos)
Eigenverlag (Partitur im Facsimile. Aufführungsmaterial leihweise über www.rolfriehm.de)

Stilrichtung, allg. Charakter
Pluralistischer Stil. Musikalisch wie textlich assoziationsreicher Diskurs voller überraschender Konstellationen und Wendungen, etwa durch eingeflochtene Fragmente romantischer Klavierwerke, ein ausgiebig zitiertes Madrigal Monteverdis oder jähe Dynamik-, Klang- und Haltungswechsel.

Form, Struktur
Ohne merkliche Übergänge montierte Form aus vier Teilen, die selbst wiederum merklich collage-artige Züge tragen, wobei die Ensembletexturen vorwiegend durch Anlagerung heterophoner Linien oder registerartiger Parallelklänge ans extrem vielgestaltige Melos der Gesangsolistin entstehen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Weitgehend traditionelle Partiturnotation mit wenigen Passagen nur angedeuteter rhythmischer und melodischer Verläufe, zahlreiche verbale Aufführungshinweise.
Dauer: ca. 18 min.
mittelschwer (Instrumente), sehr schwer (Stimme)

Kommentar
Teils berückende, teils aufwühlende künstlerische Reflexion des Framing-Begriffs im geschichtlich weit gefassten Spannungsfeld zwischen Liebe und Tod. Musik als kulturelles Gedächtnis, Bühne für starke Frauenfiguren und Kraftwerk der Gefühle. Gewohnt couragiertes Stück des Wahlfrankfurters.

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