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Reichtum und Ruhm im Schattenreich neuer Medien

Untertitel
Pop-Literatur: „Tristesse Royal“ zwischen Ironie und Rock
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Kultur lebt von der Differenz: vom Abstand zu dem, was vorher war und sonst noch ist. Jeder Autor, der mehr sein will als Epigone, also Verwalter von Traditionsbeständen, bricht mit einer Konvention und provoziert. Der permanente Skandal ist Motor der Kulturgeschichte: Die neue Sprache kann von denen, die nur die alte erlernt haben, nicht verstanden werden. Enttäuschte Erwartungen und Missverständnisse führen zu einem explosiven Gemisch.

Pop-Literatur meint nicht Texte, die sich mit einem bestimmten Musik-Genre beschäftigen, sondern Formen erzählender und theoretisierend-essayistischer Prosa, die Produkt und Konsequenz einer „pop-kulturellen“ Sozialisation sind. So gesehen waren die Avantgardisten unter den Dichtern und Denkern der letzten Jahre fast zwangsläufig „Pop“. Pop-Literatur wurde hippes Markenzeichen aber auch Teil des Mainstreams: Man konnte mit ihr reich werden, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die nmz stellt in einer kleinen Serie die wichtigsten Autoren und Trends vor. Kultur lebt von der Differenz: vom Abstand zu dem, was vorher war und sonst noch ist. Jeder Autor, der mehr sein will als Epigone, also Verwalter von Traditionsbeständen, bricht mit einer Konvention und provoziert. Der permanente Skandal ist Motor der Kulturgeschichte: Die neue Sprache kann von denen, die nur die alte erlernt haben, nicht verstanden werden. Enttäuschte Erwartungen und Missverständnisse führen zu einem explosiven Gemisch. Wer die Geschichte des Neuen erst einmal als Geschichte der Skandalisierungen begriffen hat, wundert sich, wie gut das immer wieder funktioniert: Wer die Medienrausch-Reaktionen auf den hintersinnig komponierten Diskussionsband „Tristesse Royale“ verfolgt, sieht dieselbe Dramaturgie des Entsetzens und Erschreckens am Werk, die spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts jede neue Kunst nur als Ende der Kunst und jede „Jugendbewegung“ bloß als Untergang des Abendlandes entziffern konnte.

Das „pop-kulturelle Quintett“, das der Untertitel des Bandes in bös-ironischer Anspielung auf eine fernsehnotorische Altherrenrunde (mit Dame) benennt, besteht aus zwei sehr und drei minder bekannten Autoren:
dem einstigen „Tempo“-Kolumnisten und „Faserland“-Romancier Christian Kracht und dem „Soloalbum“-Superstar und FAZ-Feuilletonisten Benjamin von Stuckrad-Barre, sowie den kaum weniger begabten Selbst-Inszenierern Joachim Bessing, Eckhart Nickel und Fürstin Gloria-Bruder Alexander von Schönburg, die sich Reichtum und Ruhm im Schattenreich der neuen Medien verdienen und in eigenem Namen, aber gern auch anonym oder heteronym ihre Eintragungen im neuesten Journal des Luxus und der Moden vornehmen.

Dieses Quintett ließ sich drei Tage lang im geschichtsbelasteten Luxushotel der neuen Berliner Mitte, dem Adlon, kasernieren – und redete dort ungeniert über Gott und die Welt oder genauer: über Einstellungen und Werte, Haltungen und Gefühle. Nicht gerade ein ganzes Zeitalter wurde in diesen drei Tagen besichtigt, aber immerhin seine Kategorien und Codes, seine blendendsten Bilder und Bedürfnisse. Was dieses dreitägige Adlon’sche Pandämonium, in dem all die Gespenster, die einem halbwegs gebildeten Mitteleuropäer so Tag für Tag durch den Kopf spuken, Revue passieren, zu einer solchen Provokation machte, dass die großen Medien, von „Spiegel“ bis „Zeit“, unisono und sehr pawlowsch reagierten, war der nietzscheanische Nihilismus. Da wurde mit dem Hammer philosophiert und Mephisto maskierte sich als Dandy.

„Tristesse Royale“ kündet noch von postmoderner Aussichtslosigkeit, von einem Post-Histoire-Stillstand, wo sich die Extreme berühren: Fröhlichkeit und Verzweiflung, Arroganz und Nicht-Weiter-Wissen, Ironie und Rock. Aber im Grunde sind Kracht und Co. konservative Revolutionäre, die nach haltbaren Werten suchen. Wie sie es tun, ist freilich subversiv; und ihre Kritiker tappen in die Fallen, die sie lustvoll stellen. Mag sein, dass die Fünf die Ironie satt haben. Aber wie sie die Ironie verabschieden, ist ein ironisches Meisterstück, bei dem einem schwindlig werden kann. Diese nietzscheanischen Blond-Bestien in Savile Row-Anzügen und mit erlesenem Geschmack sind hochreferenzielle Zauberkünstler, die ganze Welten in kleinsten Anspielungen verstecken können. An einer Stelle beschweren sich die Fünf über den Verlust der Lese-Kunst. Im weltweit nivellierten Internet-Dorf monologisiert jeder nur noch vor sich hin. Was der Andere sagt, bietet bloß den Anstoß. Die Reaktion auf „Tristesse Royale“ belegt die These. Da phantasieren Groß-Kritiker, weitgehend frei von Textkenntnis, über Ent-Politisierung und Ent-Moralisierung, während das Quintett gerade auf den Spuren Foucaults an einer neuen Ästhetik der Existenz arbeitet.

Die Radikalität dieser Spurenleser und -verwischer besteht in Sprachkritik und Bildbeschreibung. Sie feiern, noch einmal, den schönen Schein und bezeichnen zugleich seine hässliche Kehrseite.

Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre, Ullstein Metropolis 1999.

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