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Schaltstelle interdisziplinärer Zusammenarbeit

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Ein Wegweiser durch die vielfältigen Teilgebiete der Elementaren Musikpädagogik, EMP
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Juliane Ribke, Michael Dartsch (Hg.): Facetten Elementarer Musikpädagogik – Erfahrungen. Verbindungen. Hintergründe (ConBrio Fachbuch Band 9), ConBrio, Regensburg 2002, 332 S.; ISBN 3-932581-48-2; € 29,&#8211

Aufgrund ihrer enormen Hebel- und Langzeitwirkung sind elementare Lehr- und Lernvorgänge von immenser Wichtigkeit. Diametral entgegen steht deren dürftige gesellschaftliche Akzeptanz, die sich nicht zuletzt in geringeren intellektuellen Anforderungen und kurzen Ausbildungszeiten in der Primarstufenausbildung und ähnlichem widerspiegelt. Nicht erst die PISA-Studie belegt die Folgen einer solchen Kurzsichtigkeit.

In diesem Spannungsfeld zwischen vorhandenem objektiven Wert und mangelnder subjektiver Wertschätzung ringt auch die Elementare Musikpädagogik (EMP) um ihren Standort, ihre Legitimation, ihre historische Verankerung, ihre Anerkennung inner- und außerhalb des eigenen Faches.

Begonnen als „Zuarbeiter“ beziehungsweise „Vorstufe“ des Instrumentalunterrichts an Musikschulen (50er-Jahre), über die „Musikalische Früherziehung und Grundausbildung“ (60er-Jahre), hat sich inzwischen die EMP an vielen Musikhochschulen als eigenständige – wissenschaftlich, pädagogisch und künstlerisch fundierte – Disziplin fest etabliert (S. 9).

Nicht zuletzt ist dies Verdienst des 1994 in Leipzig gegründeten Arbeitskreises Elementarer Musikpädagogik an Ausbildungsinstituten in Deutschland, (AEMP). Unter der profunden und ordnenden Federführung zweier namhafter Professoren/-innen, nämlich Juliane Ribke und Michael Dartsch, wurde ein Forschungsband zusammengestellt, der die vielfältigen Facetten elementarer Musikpädagogik eindrucksvoll dokumentiert: ein Kaleidoskop sehr heterogener und vieldimensionaler Beiträge von 20 Autorinnen und Autoren, das weit über den musikalischen Tellerrand hinausragt, dabei aber immer den Menschen im Mittelpunkt sieht.
Mit ihrer natur- wie geisteswissenschaftlich fundierten „Standortbestimmung“ gibt Juliane Ribke einen Gesamtüberblick über die EMP und damit auch über die Themenvielfalt des umfangreichen Forschungsbandes. Zu Recht gehört die Autorin zu den bekanntesten und wichtigsten Vertreterinnen ihres Fachs; Zitate aus ihren grundlegenden und anspruchsvollen Publikationen ziehen sich wie ein roter Faden durch den gesamten Forschungsband.

Wie eine Präambel erscheint Hans Günther Bastians bahnbrechende Langzeitstudie an sieben Berliner Grundschulen: Bastian „belegt, dass musizierende Kinder ein besseres Sozialverhalten aufweisen, ihren IQ-Wert erhöhen, gute schulische Leistungen erbringen und über eine stärkere Konzentrationsfähigkeit verfügen“ (S. 199). Nach Bastian und analogen Forschungen in anderen Ländern (Schweiz, USA u.a.) kommt damit der elementaren Musikerziehung für die Gesamtentwicklung eines Menschen eine globale und kaum zu überschätzende Bedeutung zu. (Schade, dass nur Sibylle Endris-Lüttmann explizit auf diese wegweisenden Ergebnisse eingeht.) Vieles läuft in diesem Buch zusammen, was in unserer immer noch hochspezialisierten Forschungslandschaft häufig isoliert, einseitig, neben- oder gegeneinander diskutiert wird.

Zuerst erfreut die zwar häufig postulierte – selten aber erfüllte – Einheit von Forschung und Lehre, von wissenschaftlichem Überbau und erdender Basisarbeit. So widmet sich Teil 3 des Buches schwerpunktmäßig den „Hintergründen“, Teil 1 vorrangig dem „Erfahrungsraum“ elementarer Musikpädagogik, ohne beide Bereiche voneinander abzutrennen.

Teil 1 räumt mit dem historisch bedingten Vorurteil auf, EMP sei nur für Kinder zuständig. Vielmehr reicht die Spannweite vom Kleinkind-Alter (Maria Seeliger, Iris Küspert) über Vorschul- und Grundschulkinder (Jule Greiner, Christine Hartman-Hilter), Jugendliche (Andrea Friedhofen) bis hin in den Erwachsenen- und Seniorenbereich (Charlotte Fröhlich, Insuk Lee). Dahinter steht die wichtige und spezifisch menschliche Eigenschaft, ein Leben lang – auch Neues – lernen zu können: gestützt durch ältere anthropologische Forschung (Gehlen, Lorenz u.a.) wie auch durch aktuelle Erkenntnisse (Gembris u.a.).

Christine Hartman-Hilter gelingt es, einen weiteren Gegensatz zu überwinden: In ihrer hochaktuellen, völkerverbindenden Studie führt sie Kinder verschiedener Nationalitäten und Kulturen zusammen. Mit ihrem Beitrag „Elementare Musikpädagogik in der sozialpädagogischen Gruppenarbeit“ betritt Andrea Friedhofen das wichtige und komplexe Feld‚ Sozialpädagogik – Musiktherapie – Sonderpädagogik‘. Obgleich auch Teilaspekt sämtlicher Artikel des 1. Kapitels schlägt „Musik und Bewegung“ eine breite Brücke zum 2. Kapitel: Dieses thematisiert interdisziplinäre „Verbindungen“ Elementarer Musikpädagogik: in und außerhalb der Musik. In der Verknüpfung von „Bewegung, Sprache, Bild und Musik“ (S. 162) sieht Barbara Metzger eine tragfähige Basis für einen modernen Instrumental-/Vokalunterricht. Zudem eröffnet die Kombination EMP – Instrument „ständig neue, oft unvorhersehbare Möglichkeiten … Technik, Interpretation, Literaturspiel, Gehörbildung, Improvisieren und Komponieren“ zu integrieren und „lebendig zu gestalten“ (S. 166).

Ein Leitwort Maria Montessoris steht nicht nur über Ingrid Engels „Spaß mit Mozart und Picasso“, sondern ebenso über den folgenden Beiträgen: „Pädagogische Zielsetzung fächerübergreifenden Lernens ist die Verknüpfung von musikalischen, bildnerischen und tänzerischen Elementen“ (S. 210). Andrea Kampelmann erläutert die Möglichkeiten der EMP in der Komposition. Dabei geht es ihr „nicht allein darum, Kompositionstechniken zu erlernen, sondern … [um] Freude an der Musik … als Ausdruck psychischer und physischer Energien.“ (S. 182) Mit ihren szenisch ausgearbeiteten „Schlossgeschichten“ dokumentiert Barbara Stiller die Rolle der EMP im Konzertwesen. Ziel sei eine Schulung und Verknüpfung von „sensoriellen, affektiven und kognitiven Wahrnehmungsebenen“ (S. 196). Daher plädiert Stiller für einen „erlebnisorientierten und persönlichkeitsbildenden“ Unterricht (S. 197).

Synästhetische, das heißt verschiedene Sinne assoziierende Eindrücke (zum Beispiel „Farben hören“) stehen im Mittelpunkt von Sibylle Endris-Lüttmanns „Kindermusiktheater“, Ingrid Engels „Spaß mit Mozart und Picasso“ sowie Ludger Kowal-Summeks Ausführungen über „Märchen“. Bekannte Märchen und Fabeln wie Prokofjews „Peter und der Wolf“ oder Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ arbeitet Sibylle Endris-Lüttmann für den Vorschul- und Grundschulbereich auf: „Über das Hören, Erleben und Ausdrücken in der Bewegung finden sie Zugang zur Musik und können sich damit identifizieren“ (S. 200). Ingrid Engel rückt die Malerei stärker ins Blickfeld und setzt dabei die vielfältigen „Wechselbeziehungen zwischen auditiven, visuellen, motorischen und taktilen Wahrnehmungen“ kreativ und förderlich ein (S. 210). Ludger Kowal-Summek sieht im Zusammenwirken „von Spiel, Musik, Märchen und Sprache“ eine ausgezeichnete Möglichkeit für ein Kind, „Einsicht in sich selbst zu nehmen“ (S. 237, nach Rodari).

Rhythmik und die EMP

Wissenschaftlich sehr fundiert, facettenreich und historisch differenziert analysiert Marianne Steffen-Wittek die fach- und fächerübergreifende Relevanz des Faches Rhythmik. Hier konfrontiert die Autorin (musikalische) Rhythmik mit Aspekten unterschiedlichster Forschungszweige aus Sportwissenschaft, Psychologie, Medizin, Hirnphysiologie und vielen anderen Mit ihrem bedeutsamen Artikel schafft die Weimarer Professorin einen Brückenschlag sowohl zum ersten als auch zum dritten Kapitel.

So gehört Rhythmik zum Kanon weiterer komplexer Begriffe beziehungsweise Schwerpunkte, die in der EMP und Kapitel 3 eine zentrale Rolle spielen: „Gestalt(ung)“, „Bewegung“, „Methode“ und „Ganzheit(lichkeit)“ durchleuchten „Hintergründe“ und fokussieren in der Kant’schen Frage nach dem Menschen und dessen Bedingtheit. Vor dem Hintergrund des eingangs erörterten „Selbstfindungs“-Prozesses der EMP und deren Anerkennung als künstlerisches Hauptfach nehmen sich Vroni Priesner und Doris Hamann der ebenso zentralen wie schwammigen Begriffe „Gestalt“ und „künstlerisch“ an. Als wesentliche Charakteristika in „Schaffens- oder Gestaltungsprozessen“ erkennen beide Wissenschaftlerinnen dynamische Muster mit „feldartigen, mosaikartigen, … [auch] unbewussten, unzensierten, ungeordneten, … chaotischen Phasen, die erst später zu reflektierter Ebene führen.“ (S. 259f.) Ein enger Bezug zur Chaosforschung wird offenbar.

Renate Dummert greift zwei schon angeschnittene, zentrale Komplexe der EMP – Synästhesie sowie „Musik und Bewegung“ – erneut auf und erforscht deren Hintergründe in natur- und geisteswissenschaftlicher Kompetenz: In Anlehnung an Entwicklungspsychologie und Hirnforschung erläutert sie Interdependenzen von „sensorischer Sensibilisierung und Körperorientiertheit [nicht nur] beim Musiklernen“ (S. 261), Rückkopplungs-Prozesse in der Ausbildung von Ohr und Motorik: „Da die beiden Funktionssysteme [Hören und Gleichgewicht] des Innenohres eine Einheit darstellen, müsste eine Förderung des Bewegungsverhaltens durch den Umgang mit Musik ebenso möglich sein wie eine Förderung der musikalischen Fähigkeiten durch Bewegung“ (S. 263, J. Ribke).

Methodenwahl

Einem weiteren schillernden Symbol, ja der vielleicht zentralen Frage pädagogischer Vermittlung schlechthin, widmet sich Werner Beidinger: der ‚Methode‘. Überzeugend der Versuch, die verschiedenen, zumeist unscharfen, Bedeutungen von ‚Methode‘ zu durchleuchten und in die EMP zu integrieren. Dazu analysiert Beidinger vier interdependente und sich überschneidende Komponenten von ‚Methode‘: Lehrwerke, musikpädagogische Konzepte, methodische Hilfsmittel sowie Grundprinzipien und Herangehensweisen. Unweigerlich stellt sich der alte kategoriale Gegensatz ‚Inhalt – Form‘ in den Weg. Er erinnert an die ebenso alte wie unlösbare Frage nach der Henne und dem Ei, da „sich der Inhalt beim Lernenden entsprechend dem Weg seiner Vermittlung konstituiert“ [und umgekehrt!] (S. 291 nach Kaiser/Nolte).

Auch Werner Rizzi warnt vor „oberflächlichem Aktionismus“ (S. 293) in der verkürzten, klischeehaften und schlagwortartigen Verwendung komplexer Begriffe. Entsprechend umfassend, vielschichtig und anspruchsvoll sein Verständnis von ‚Ganzheitlichkeit‘ beziehungsweise ‚Ganzheit‘! Rizzi empfiehlt, „in der Art neuronaler Netzwerke zu denken, in der klare ‚ganze‘ Gestalten eben entweder nicht oder nicht andauernd abgrenzbar und erkennbar sind.“ (S. 305) Dabei entwickelt der Autor ein historisch und systematisch fein nuancierendes Bild von ‚Ganzheit(lichkeit)‘, das auch philosophische, physikalische und neurobiologische Aspekte mit einbezieht. In Anlehnung an Max Fuchs nennt Rizzi drei konstitutive, für die EMP relevante Ganzheitsbegriffe: einen „persönlichkeitstheoretischen“, einen „sozialisationstheoretischen“ und einen „anthropologischen“ (S. 305f.).

In seinem resümierenden und alle Beiträge verknüpfenden Schlusswort macht Michael Dartsch dies noch einmal deutlich. Hier stellt Dartsch die musikalische Entwicklung in einen größeren Zusammenhang, ein umfassendes „Anthropologisches Bedingungsfeld“. So könne die „anthropologische Fundierung der Elementaren Musikpädagogik … nur durch … Reduktion von Komplexität gelingen“ (S. 312). Spiel, Fantasie, Ausdruck und Beziehung seien „Quellen menschlichen Musizierens, … die jenseits – und häufig vor – einer musikalischen Spezialisierung angesiedelt sind“ (S. 314).

Fazit: Aus den Anfängen eines Mauerblümchens hat sich die Elementare Musikpädagogik längst emanzipiert: als selbstständiges – wissenschaftlich und künstlerisch fundiertes – Fach, als integraler Bestandteil aller musikalischen Teilgebiete, als Schaltstelle für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Ebenso vielschichtig, fundiert, spannend und engagiert zeichnet das innovative und wegweisende Buch den oft beschwerlichen, aber erfolgreichen Weg der EMP. Ein Vorbild für andere musikalische und nichtmusikalische Teilgebiete, ein Muss auch für politische Entscheidungsträger!

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