Unter den Neuerscheinungen für Klavier finden sich bei allen Verlagen auffallend viele Sonaten in einzelnen Ausgaben oder sinnvollen Kleingruppierungen. Einige Verlagsprogramme beinhalten die schrittweise Herausgabe aller klassischen Sonaten in Urtext-Editionen. Im Gegensatz zu den gewichtigen Sammelbänden genießen sie mehrere Vorteile: Der Herausgeber kann sich speziell einer Sonate zuwenden, der Nutzer profitiert von den in die Tiefe gehenden Ausführungen im Vorwort und eine praktische Komponente lässt sich auch noch positiv ins Feld führen. Da sich größere und kleinere Verlage dieser Praxis bedienen, besteht zudem noch die Möglichkeit eines Abgleichens.
Beethoven: Sonate in Fis, op. 78, Bärenreiter, BA 11807
Bis zum 250. Geburtstag Beethovens im Jahr 2020 will der Bärenreiter-Verlag alle Sonaten des Komponisten in Urtext-Ausgaben vorlegen, herausgegeben von Jonathan Del Mar. Der Beethoven-Experte unterzieht für dieses Großprojekt alle zur Verfügung stehenden Quellen einer akribischen Durchsicht. Die Fis-Dur-Sonate, die in mehrfacher Hinsicht mit Alleinstellungsmerkmalen aufwartet, soll an dieser Stelle der näheren Betrachtung dienen. Beethoven hat das Werk Therese Gräfin Brunsvik zugeeignet. Eine enge persönliche Verbindung mag den äußerst intimen Charakter begründen. Zudem ist die Sonate mit nur zwei Sätzen quantitativ überschaubar. Die Wahl der Tonart gibt Rätsel auf, da sie äußerst selten verwendet wird. Spieltechnisch gesehen ist die Tonart Fis-Dur eigentlich ideal für zartere Frauenhände und sie verleiht dem Werk etwas Spezielles. Die viertaktige Einleitung im Adagio cantabile ist der einzige langsame Ansatz in diesem Werk, das man als glücklich konzipiert bezeichnen könnte. Die vorgeschriebene Wiederholung beider Hälften des Kopfsatzes ist eigentlich unüblich und hat zur Folge, dass dieser Satz fast doppelt so lang ist wie das Allegro vivace. Die Virtuosität wird durch spieltechnische Raffinessen erzeugt, die aber immer in einem anmutigen Duktus eingebettet bleiben. Grundlegende Hinweise im Vorwort und zur Aufführungspraxis helfen dem Interpreten, zu einer eigenen künstlerischen Entscheidung zu finden.
Schubert: Sonate in G, op. 78-D 894, Bärenreiter, BA 9615
In einer Rezension aus dem Jahr 1827 wird Schubert als „beliebter und talentvoller Lieder-Compositeur“ beschrieben, der in dieser Fantasie „seinem Erfindungsgeiste freyen Spielraum gab“. Tatsächlich ist die Bezeichnung „Fantasie, Andante, Menuetto und Allegretto“, die der Wiener Verleger Haslinger prägte, nicht ganz abwegig, wobei es offenbar Abweichungen zwischen dem Autograph und der Erstveröffentlichung gab. Kaum eine andere Sonate häuft so unglaublich viele Stimmungsmomente an, dass der Eindruck entsteht, der Komponist wolle alles Anmutige, Zauberhafte, das Eruptiv-Klanggewaltige, Poetische, aber auch Tänzerisches oder Wehmütiges auf einmal zur Entfaltung bringen. Dabei gelingt Schubert ein äußerst feinsinniger Klaviersatz, der im H-Dur-Trio des Menuetts in trauter Ländler-Seligkeit zu vollendeter Schönheit findet. In den Hinweisen zur Aufführungspraxis gibt Mario Aschauer exakte Anweisungen, wie unter Berücksichtigung der Beschaffenheit der Instrumente zu Schuberts Lebenszeit dieser Klang spieltechnisch realisiert werden kann. Den größten Raum nehmen in der Recherche Anschlag und Pedalgebrauch ein; Schubert legte sehr viel Wert auf eine diffizile Handhabung der Tasten. Die Edition orientiert sich am Urtext der Neuen Schubert-Ausgabe, wird in gut lesbarem Notenlayout und breitem Bärenreiter-Format präsentiert und ist mit zweckmäßigen Wendestellen eingerichtet.
Mozart: Sonate A, KV 331 (300i), Edition Peters, EP 11506
In der vorliegenden Ausgabe des Peters-Verlages wird einmal mehr deutlich, wie schwierig es ist, die im Verlauf der Jahrhunderte bei Veröffentlichungen vorgenommenen Eingriffe am Werk wieder auszumerzen und sich möglichst nahe am Original zu orientieren. Klavierstücke ließen sich gut verkaufen und dem entsprechenden Zeitgeist gemäß bedenkenlos verändern. Viele Dinge beruhen letztendlich auf Spekulationen, weil das Manuskript fehlt und nur der Erstdruck als alleinige Quelle zur Verfügung steht. Der Herausgeber Klaus Burmeister hat nun lupenrein recherchiert, kritisch betrachtet und verglichen. Die Digitalisierung von Notenexemplaren aus Archiven und Bibliotheken macht es zudem möglich, dass auch eine interessierte Öffentlichkeit davon Gebrauch machen kann. Im Falle der A-Dur-Sonate war ein Teilautograph in der Széchény- Nationalbibliothek in Budapest aufgefunden worden, das nun für die vorliegende Ausgabe mit herangezogen werden konnte und somit den neuesten Forschungsstand anzeigt. Immer wieder übernommene Textfehler, Bezeichnungen zur Artikulation sowie Warnungsakzidenzien wurden revidiert und im Text als „Kleingedrucktes“ sichtbar gemacht. Eine sehr gut lesbare Notengrafik lässt auch noch genügend Platz für eigene Eintragungen.
Beethoven: Große Sonate für das Hammerklavier, op. 106, Wiener Urtext Edition, UT 50432
Das Dilemma des nicht vorhandenen Original-Manuskripts betrifft auch die Hammerklavier-Sonate. Fehlende Stichvorlagen und die Vermutung, dass auch schon der Erstdruck mit Fehlern übersät war, weil Kopisten unter Zeitdruck standen und nicht versiert waren, lassen jedes Quellenstudium schnell an seine Grenzen stoßen. Die Wiener Erstausgabe von 1819 im Verlag Artaria scheint von Beethoven zumindest korrekturgelesen worden sein, weshalb diese Fassung als ziemlich identisch angesehen werden kann. Die Londoner Erstausgabe betreute Ferdinand Ries, an den ein von Beethoven erstelltes Fehlerverzeichnis ging. Unter Berücksichtigung der englischen Klaviere, die zu dieser Zeit einen geringeren Tonumfang besaßen und beispielsweise im una-corda-Spiel völlig anders klangen, musste an einigen Stellen nach Alternativen gesucht werden. Tatsächlich wurde auch eine Aufteilung der Sonate in zwei Teile in Erwägung gezogen, weil man sich bessere Verkaufschancen erhoffte. Die speziellen Einzelheiten dazu sind im Vorwort detailliert nachlesbar. In die vorliegende Revision ließ Jochen Reutter alle Erkenntnisse einfließen. Auch hier sind die einzelnen Anmerkungen dazu im Text gekennzeichnet, auch sämtliche Angaben, die die Tempi betreffen. Die teils ausufernde Abhandlung über konträre Metronomangaben, die auch den im Umlauf befindlichen verschiedenen Geräten geschuldet war, mag etwas verwirren, da eine schlussendliche Aussage dennoch nicht getroffen werden kann und dem Interpreten auch ein gewisser Spielraum eingeräumt werden sollte. Besonders ausgeklügelt erscheinen die Fingersatzangaben, die an manchen Stellen, der leichteren Spielbarkeit halber, eine Übernahme der Stimme in die jeweils andere Hand vorschlagen.
Mozart: Sonate B, KV 570, Wiener Urtext Edition, UT 50407
Albert Einstein bemerkte zu diesem Werk, dass „es vielleicht der ausgeglichenste Typus, das Ideal der Mozartschen Klaviersonate“ sei. Das knapp geformte Werk vereint gedankenreich Überraschungen harmonischer Art mit kontrapunktischen Vernetzungen. Erlesen schön beginnt das Adagio und behält das Edle auch noch bei, wenn sich Wehmut und Liebreiz dazugesellen. Der letzte Satz (Allegretto) strotzt vor Spielfreude, die sich in Staccato-Achteln niederschlägt. Für diese Sonate gibt es keine authentische Quelle, nur fragmentarische Ansätze. Der Erstdruck war mit einer Violinstimme versehen, die aber den Klavierpart offenbar unberührt ließ und nachfolgend für das Quellenstudium herangezogen wurde. Die Ausgabe präsentiert lediglich Lautstärkeangaben und verzichtet fast ausschließlich auf dynamische Bezeichnungen. Alle Hinweise dazu, auch zu eventuellem Pedalgebrauch und zur Einhaltung von Wiederholungen, sollten im Nachwort nachgelesen werden. Der Verlag hat auch in diese Sonate Fingersätze integriert.
Carl Czerny: Sonate h, op. 145, Doblinger, DM 1470
Czerny hinterließ elf veröffentlichte Klaviersonaten, die, wie der Herausgeber des vorliegenden Bandes Iwo ZaĆuski richtig bemerkt, „alle eine Wiederentdeckung verdienen“. Mit Blick auf seine Zeitgenossen Beethoven und Schubert befand sich Czerny in einer Misere: Diese Sonate entsteht 1827, in einer Zeit, als Beethoven op. 111 schon längst vollendet hatte und Schuberts Monumentalwerk in B-Dur D 960, noch folgen sollte. Czerny war sich seiner Qualitäten aber durchaus bewusst, wenngleich er grundsätzlich anders vorging als seine Zeitgenossen. Der sonderbare Aufbau der Sonate rechtfertigt dann auch die alternativ verwendetet Bezeichnung „Grande Fantaisie en forme de Sonate“ – mit insgesamt sechs Sätzen fällt sie dann doch aus dem Rahmen. Der Kopfsatz kommt thematisch einem klassischen Aufbau noch am nächsten, während der 2. Satz, Allegro molto, 3/4-Takt, fast wie ein Scherzo wirkt und ein im morendo ausklingendes Trio in H-Dur einschließt. Der dritte Satz scheint die eigentliche Fantasie zu sein: Adagio molto espressivo in D-Dur, das im Piano mit immerwährenden 32stel-Punktierungen beginnt, dann mit einer figurativen Begleitfigur umwoben und nur von ff-Tremoli unterbrochen wird. Ein kurzer 4. Satz im Allegro vivace, 2/4-Takt, ist ein leises motorisches Getrappel, das sich von dem fast hymnenartigen Mittelteil in H-Dur konsequent abhebt. Fast sinnlich wirkt der 5. Teil, wieder im Wechsel von Moll und Dur und mit rhythmischen Verdichtungen, die zum Höhepunkt führen, bevor das Stück leise ausklingt. Czernys Sonate gipfelt in einer dreistimmigen Fuge, die dem Interpreten ein gutes Handwerk abverlangt und ganz am Schluss das erste Eingangsmotiv noch einmal in Erinnerung bringt. Das Werk lebt von Extremen, erschienen ist es erstmals bei H. A. Probst in Leipzig; die vorliegende Edition basiert auf dieser Druckausgabe.