Giacomo Puccini: Messa a 4 voci con orchestra, Kritische Neuausgabe 2004, Carus 40.645
Die von Carus vorgelegte Kritische Neuausgabe von Giacomo Puccinis einziger Messe, der „Messa a 4 voci con orchestra“, ist die erste Ausgabe, die sich konsequent auf die originale Partitur des Komponisten stützt. Die dadurch transparent werdende Editions- und Werkgeschichte führt zu erheblichen Abweichungen vom bisher gewohnten Notentext. Darüber hinaus lädt sie dazu ein, von einem etwas anderen Ausgangspunkt den Blick auf Puccinis Lebenslauf und seine Kompositionsweise zu richten – sich dem Opernkomponisten anhand einer Sakralkomposition zu nähern.
Die als „Messa di Gloria“ bekannte Komposition ist das erste größere Werk Puccinis und zugleich das umfangreichste außerhalb seiner Opern. Als es der 21-jährige Puccini im Sommer 1880 wie eine Art Gesellenstück abschloss, stand er am Ende seiner Schulzeit und sollte wie die lange Reihe seiner Vorfahren vor Ort Kirchenmusiker werden. Dementsprechend fand die Uraufführung der Messa während eines Gottesdienstes am 12. Juli 1880 statt. Doch bald darauf verließ Puccini einem ganz anderen Traum folgend seine Heimatstadt Lucca, die Vision vor Augen, Opernkomponist zu werden. Als solchem fehlte es Puccini, wie der Herausgeber der Messa, Dieter Schickling anmerkt, nicht an „distanzreicher Selbstironie“, ließ er doch zwei Sätze der Messa geschickt in spätere Opern einfließen: das Kyrie in „Edgar“ (1885–1889), das Agnus Dei in „Manon Lescaut“ (1889–1892).
Der Erfolg als Opernkomponist ließ allerdings quälend auf sich warten, sodass Puccini mit der Bearbeitung älterer Stücke begann, um eventuell wenigstens diese aufgeführt zu wissen. Dabei unterzog er auch die Messa einer Überarbeitung, deren Spuren in der autographen Partitur zu sehen sind. Als jedoch „Manon Lescaut“ überraschend zu einem großen internationalen Erfolg wurde, ließ Puccini die Überarbeitung ruhen. Der Durchbruch war erfolgt, der Grundstein für Bekanntheit und Ruhm als Opernkomponist gelegt. Im Schatten der großen Bühnenkompositionen stehend erklang das „Jugendwerk“ der Messa erst 72 Jahre nach deren Uraufführung erneut. Allerdings nicht in Lucca, auch nicht in Europa – nein, dank der Puccini-Verehrung eines italo-amerikanischen Priesters namens Dante Del Fiorentino in Chicago.
Del Fiorentino hatte in jungen Jahren in Puccinis Wohnort Torre del Lago den Komponisten kennen gelernt und später zahlreiche Puccini-Handschriften und -Briefe gesammelt. So war er auch an eine alte Abschrift der Messa gelangt. In den USA sorgte er für die Veröffentlichung und die Wiederaufführung des Stücks (1952), das sich in der Folge unter dem nicht originalen Titel „Messa di Gloria“ in Kirche und Konzert durchsetzte. Das seitdem verfügbare Aufführungsmaterial beruhte in erster Linie auf der Del-Fiorentino-Abschrift und wurde zu Beginn der siebziger Jahre nur teilweise anhand des Autographs korrigiert. In dieser Fassung erlebte Puccinis Messa viele Aufführungen in der ganzen Welt und auch mehrere Schalplatteneinspielungen.
Vom Exkurs in die Geschichte der Messa ins Jahr 2004 zurückkehrend richtet sich ein abschließender Blick auf die erste vollständig auf der autographen Partitur basierende Ausgabe. Anhand der exakten Lektüre des originalen Textes konnte der Herausgeber die für den späteren Opernkomponisten charakteristische Subtilität und Flexibilität der Schreibweise transparent machen und die Messa in ihrer „unbekümmerten Frische, in ihrer manchmal geradezu frechen Verschmelzung von traditionellem Handwerk und jugendlichem Sentiment“ (Schickling) neu verfügbar machen.