Hauptrubrik
Banner Full-Size

Vermittlungsbrücken zu modernen Klassikern

Untertitel
„Listening Lab“ – die Universal Edition startet mit Berg und Ligeti eine neue Materialreihe
Publikationsdatum
Body

„…wichtig für meine Musik ist auch Konsistenz…“, diese Worte György Ligetis könnten als Motto für den Auftrag interpretiert werden, welchen die Universal Edition an die Autorinnen und Autoren ihrer Materialien zur Musikvermittlung einst erteilt hat.

Bei den Anfang dieses Jahres erschienenen Heften handelt es sich um zwei Bände mit zahlreichen Workshop- und Unterrichtsmaterialien zur Auseinandersetzung mit je einem großen Werk der Musik des 20. Jahrhunderts. Der erste Band widmet sich Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, der zweite „Atmosphères“ von György Ligeti. Auf jeweils über 60 Seiten erhalten Interessierte eine Fülle an Anregungen, die sie in der musikalischen Arbeit mit mehr oder weniger musikalisch versierten Gruppen von Kindern über Jugendliche bis zu erwachsenen Laien umsetzen können. In sechs beziehungsweise sieben Kapiteln wird den Leserinnen und Lesern eine ausgewogene Mischung an Hintergrundinformationen, biografischem Wissen, kompositorisch-analytischen Details sowie zahlreichen musikpraktischen Aufgabenstellungen vermittelt, die sich mit Stimme, Sprache, Szene, Bodypercussion und – überwiegend elementarem – Instrumentarium umsetzen lassen.
Das letzte Kapitel widmet sich jeweils dem Thema „Projektvorschläge“, in dem den Anleitenden in Form einer Modulstruktur vorgeschlagen wird, wie und mit welcher Schwerpunktsetzung sie die Anregungen mit unterschiedlichen Zielgruppen realisieren können.

Neben erfrischend unkomplizierten Ideen für einen multimedialen Umgang mit digitalen Medien schlagen die Autorinnen und Autoren ebenfalls unterschiedliche „Vermittlungsbrücken“ zu anderen Kunstsparten wie bildender Kunst und Architektur. Welchen Stellenwert das so genannte Referenzwerk bei den verschiedenen Settings an Workshops, Konzerteinführungsveranstaltungen, Musikunterricht oder partizipativen Musikvermittlungsprojekten letztendlich einnehmen soll, bleibt den anleitenden Musikvermittlern frei gestellt. Zahlreiche Aufgabenstellungen eignen sich auch ohne unmittelbare Bezugnahme zu den Werken als anregende Arten für einen künstlerisch-praktischen Umgang mit Musik. Viele Überlegungen, die aus Schulbüchern, theaterpädagogischen Unterrichtsmaterialien oder Fachzeitschriften für Musik bekannt sind, findet man hier in einem neuen Bezugsrahmen zu den beiden Musikwerken wieder. Auf diese Weise erhalten die Leserinnen und Leser gute Anregungen, wie sie selbst solche und ähnliche Aufgabenstellungen für weitere Kompositionen entwickeln können.

Die vielfältigen Ideen werden kurz, knapp und so gut verständlich beschrieben, dass sie sich auch von weniger erfahrenen Workshopleitern umsetzen lassen. Der Aufbau der Hefte erschließt sich einem dabei schnell, zumal weiterführende Informationen, Empfehlungen, Verweise zu anderen Websites, Anregungen für Abschlusspräsentationen und weitere Tipps durch dezente Icons vielerorts vermerkt sind. Diese sind allerdings auch notwendig, um den vollständigen Gebrauch der Werke einmal mehr handhabbar zu machen. Leider beinhalten die graphisch gut aufbereiteten und auch haptisch schönen Materialien weder Hörbeispiele noch Partiturausschnitte, so dass ein Arbeiten mit weiterführenden Websites sowie der Homepage der Universal Edition zwingend erforderlich ist. Wer sich einmal daran gewöhnt hat, wird damit keine Probleme haben, einmal abgesehen davon, dass das Finden der einzelnen Werkausschnitte ohne konkrete Zeitangaben nicht besonders komfortabel ist und man um zusätzliche Partituranschaffungen über das ohnehin recht teure Material hinaus nicht herum kommt.

Die Materialien zur Musikvermittlung heißen bewusst nicht Lehrwerk und die damit angesprochenen Käuferinnen und Käufer dementsprechend auch nicht Lehrperson, sondern Musikvermittler. Dennoch sei ein Gebrauch der Materialien in Schul- und Unterrichtskontexten explizit empfohlen. Je nach individueller Vorbildung ist für jeden Geschmack etwas dabei, und persönliche Vorlieben und Fähigkeiten lassen sich hinreichend berücksichtigen. Wer beispielsweise mit seinen Teilnehmergruppen nicht gerne Volkslieder in für sie schwer ausführbaren Lagen singt, kann auf diese Anregungen ebenso verzichten, wie Menschen, die keine Stabspiele zur Verfügung haben oder eine Übertragung von Anklängen an Requiemskompositionen auf Orff-Xylofone schlichtweg geschmacklos finden. Zahlreiche Anregungen zum kreativen Schreiben und freien Assoziieren mit Sprache bieten sich insbesondere für spartenübergreifende Projekte an. Davon, dass die allererste praktische Aufgabenstellung in dem Band zu Bergs Violinkonzert darin besteht, seinen eigenen Nachruf zu verfassen, sollte sich niemand verschrecken lassen. Andere Anregungen bieten genügend Anlässe, um einen für jeden stimmigen Einstieg in die Thematik zu wählen.

Abschließend sei Bezug nehmend auf die von Ligeti geforderte Konsistenz eindeutig hervorgehoben, dass beide Bände eine hohe Affinität zu den Referenzwerken aufweisen. Zahlreiche Musikvermittlerinnen und Musikvermittler können von der fundierten Beschäftigung mit Bergs Violinkonzert und Ligetis Atmosphères durch die Autorinnen und Autoren unmittelbar profitieren. Eine eigene kritische Auseinandersetzung mit der Musik wird einem dabei aber ebenso wenig abgenommen wie die ständige Klärung, wann die angebotenen Praxis- und Improvisationsanregungen für jeden einzelnen hinreichend konsistent zu den jeweiligen Werken erscheinen. Schade, dass wir nicht mehr erfahren werden, was Berg und Ligeti selbst zu diesen Materialien gesagt hätten. Eine nicht unerhebliche Voraussetzung für eine möglichst lebensnahe Anwendung der Materialien müsste es sein, dass die Werke auch auf den Spielplänen der Orchester weiterhin vielerorts Berücksichtigung finden. Das Erscheinen eines dritten Bandes mit Materialien zur Musikvermittlung zu „Rendering“ von Luciano Berio wird bereits öffentlich beworben. Zu hoffen bleibt, dass sich das Herausgeberteam von „listening lab“ eines schönen Tages auch einmal dem Werk eines noch lebenden Komponisten annehmen wird.

Constanze Wimmer / Helmut Schmidinger: Alban Berg – Violinkonzert (Listening Lab – Materialien zur Musikvermittlung, Band 1), UE 26315
Veronika Großberger / Johannes Voit: György Ligeti – Atmosphères (Listening Lab, Band 2), UE 26316, jeweils € 39,95

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!