Neuausgaben der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy erregen naturgemäß nicht so großes Aufsehen wie solche von Bach, Mozart oder Beethoven. Dies hat den Vorteil, dass auch eine Gesamtausgabe in aller Ruhe auf höchstem Niveau vorwärts gebracht werden kann mit dem Anspruch auf Gültigkeit – man denke hingegen an die geglückte Intervention Bärenreiters mit der Del Mar-Urtextausgabe der Beethoven-Symphonien, die die von Henle betriebene Gesamtausgabe (allerdings auch – primär! – ganz zweifelsfrei aus qualitativen, musikpraktisch-editorischen Gründen!) wohl ein für alle Mal ins Abseits verwiesen hat.
Neuausgaben der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy erregen naturgemäß nicht so großes Aufsehen wie solche von Bach, Mozart oder Beethoven. Dies hat den Vorteil, dass auch eine Gesamtausgabe in aller Ruhe auf höchstem Niveau vorwärts gebracht werden kann mit dem Anspruch auf Gültigkeit – man denke hingegen an die geglückte Intervention Bärenreiters mit der Del Mar-Urtextausgabe der Beethoven-Symphonien, die die von Henle betriebene Gesamtausgabe (allerdings auch – primär! – ganz zweifelsfrei aus qualitativen, musikpraktisch-editorischen Gründen!) wohl ein für alle Mal ins Abseits verwiesen hat.Bei Mendelssohn also ist das Schlachtfeld ruhiger, was natürlich nicht zuletzt damit zu tun hat, dass seine Partituren, zumal diejenigen der Reifezeit, kaum in wesentlichen Punkten Anlass zu hitzigen Auslegungs-Streitigkeiten liefern. Darüber hinaus muss nun aber betont werden, dass die Editoren der beim Wiesbadener Verlag Breitkopf & Härtel erscheinenden Mendelssohn-Gesamtausgabe in den letzten Jahren wahrhaft Außergewöhnliches hinsichtlich Rechercheaufwand und kritischer Sorgfalt geleistet haben, wie dies selbst bei den hohen Erwartungen an solche Projekte nicht Usus ist (so sind ja zum Beispiel bis heute zu manchen Bänden der Mozart-Gesamtausgabe keine kritischen Berichte erschienen!). Breitkopf & Härtel setzt nicht einfach die bewährte Praxis der einstigen DDR-Mendelssohn-GA des Deutschen Verlags für Musik fort. Auch dort war der Revisionsbericht im Notenband mit enthalten, dazu gab’s ein knappes Vorwort „zum vorliegenden Band“ und ein paar Autograph-Seiten zur Ansicht. Dieses ganze Drumherum ist nun auf einen viel ausführlicheren und übersichtlicheren Standard gebracht worden. Die Einleitung (zweisprachig deutsch-englisch) gibt eine Fülle von Informationen zu Entstehungsgeschichte, zeitgenössischen Aufführungen, Drucklegung, personal- und zeitstilistischer Einordnung und Detailproblemen. Besonders interessante Seiten sind auch hier wieder im Autograph-Faksimile einzusehen. Und dann, dies wohl die entscheidenste Verbesserung: der Kritische Bericht ist nunmehr in zwei Hauptteile aufgegliedert. Im ersten Teil werden sämtliche bemerkenswerten Abweichungen zwischen den verschiedenen Quellen aufgelistet und auch die erkennbaren Schritte des kompositorischen Prozesses offen gelegt, zum Beispiel später gestrichene Passagen, die vollständig wiedergegeben sind, oder Veränderungen, bei denen der ursprüngliche Zustand mitgeteilt wird. Wo das gesungene oder gesprochene Wort vorkommt, sind auch alle textlichen Varianten dokumentiert (dieser Textvergleich nimmt bei der Neuedition des Sommernachtstraums immerhin 22 großformatige Seiten in Anspruch!).In letzter Zeit sind drei Frühwerke erschienen, unter welchen das Doppelkonzert für Violine und Klavier herausragt, und die komplette Schauspielmusik zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ op. 61. Letztere wurde von Editionsleiter Christian Martin Schmidt herausgegeben und geriet zu einem wahrhaft prächtigen Vorzeigeexemplar. Allein der Kritische Bericht, der sich mit 17 Quellen auseinander setzt, umfasst 86 Seiten und listet am Ende akribisch Skizzen und verworfene Fassungen auf, bis hin zu jenen „Entwürfen, die nicht zugeordnet werden können“. Die mitedierte Ouvertüre ist nicht in das vergleichende Verfahren einbezogen, da sie als Konzertwerk viel früher entstand und ihre kritische Neuedition getrennt in Planung ist.
Geht man den editorischen Entscheidungen Schmidts im Einzelnen nach, so kommt man bald zu der Erkenntnis, dass hier nicht nur musikwissenschaftlich-theoretisch höchste Seriosität waltete, sondern auch musikalisch-praktisch mit sensiblem Ohr gearbeitet wurde. In der umfangreichen Einleitung erfährt man alles Wissenswerte, was zusammengetragen werden konnte, so auch über „Numerierung und Titel der Sätze“ (den „Elfenmarsch“ bezeichnete Mendelssohn nicht als solchen) und über die Instrumentation. Hier ist eine Information von besonderem Interesse, zumal ihr aufführungspraktisch bislang nicht nachgegangen wurde. Die auch in dieser Partitur mit „Ophicleïde“ bezeichnete tiefste Stimme der Blechbläser, die in unserem Konzertleben von einer Basstuba ausgeführt wird, war von Mendelssohn für ein „Corno Inglese di Basso“ vorgesehen (dasselbe gilt für seine Ouvertüre für Harmoniemusik op. 24)! Es ist dies aber nicht, wie man denken sollte, eine Art Kontrabassoboe, sondern ein Basshorn, welches erstmals in England hergestellt wurde. Dieses Instrument scheint technisch nie genügend vervollkommnet worden zu sein. Zu welcher Familie es gehört, wird leider nicht mitgeteilt. Ob es sich um ein Bass-Saxhorn handelt, wie die Franzosen es verwendeten? Jedenfalls ist von Mendelssohns Hand eine nicht mit abgedruckte Zeichnung überliefert, bis zu deren GA-Dokumentation (in Serie X sind Zeichnungen und Aquarelle, in Serie XI Briefe, Schriften und Tagebücher vorgesehen) man leider wohl noch einige Zeit warten muss.
Im Erstdruck vorgelegt wurde das von Christoph Hellmundt herausgegebene frühe, vermutlich Anfang 1822 komponierte Konzert in a-Moll für Klavier und Streicher. Bislang war es nur in einer Abschrift des Deutschen Verlags für Musik leihweise erhältlich. Hellmundt verweist, in Übereinstimmung mit zitierten Studien, auf die offensichtliche Anlehnung an das a-Moll-Konzert Johann Nepomuk Hummels, aber auch des c-Moll-Konzerts von Carl Philipp Emanuel Bach und des B-Dur-Doppelkonzerts von Johann Ladislaus Dussek. Der Kritische Bericht gibt Aufschluss über die Eintragungen des Lehrers Carl Friedrich Zelter in der Partitur und erteilt Auskunft, wo Mendelssohn dessen Änderungsvorschläge übernommen hat (und sie somit in die vorliegende Ausgabe Eingang fanden) und wo er sie ignorierte.