„Sammlungen mit thematischem Bezug“ – ein Verkaufshit? Das Angebot in seiner Fülle ist mittlerweile schwer überschaubar und lässt tatsächlich kaum Wünsche offen. Schon Bach „sammelte“, und meist lag die Bündelung in der Hand der Komponisten. Klavierspielende Fräulein häufelten im 19. Jahrhundert fleißig von Hand vervielfältigte Albumblätter; heute werden Musikverlage tätig, um eine nie dagewesene Zahl von Klavierschülern mit immer neuen Ausgaben zu versorgen. Die Bemühungen unter den Komponisten halten sich dabei in Grenzen, also wird alternativ Vorhandenes aufbereitet, zeitgemäß verpackt und eben mit einem Thema versehen. Dabei wird auf Schwankungen im Schwierigkeitsgrad geachtet, die schließlich ein Garant für länger währende Verwendung im Unterricht sind. Das Wiederfinden eines bestimmten Stückes gestaltet sich bei der Verwendung von mehreren Sammlungen allerdings oft zu einem Problem.
Programmmusik,Schott Piano Classics, ED 9043
Programmmusik ist so unendlich vielfältig, dass eine Sortierung der begrifflich fassbaren Sujets die Auswahl erleichtert. Beim Betrachten der Themata hat man sofort die einschlägigen Klavierstücke vor Augen, aber auf die soll hier gar nicht eingegangen werden. „Im Wald“ – „Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen“ von Janácek ist hier gut platziert (gepasst hätte auch „Der Specht“ von Gubaidulina). „An eine wilde Rose“ denkt MacDowell und trifft auf einen „Einsamen Wanderer“ (Grieg). „Der Regen“ von Kossenko (DDR-Lehrplan!) soll einmal stellvertretend für das gleichlautende Programm stehen. Bei den „Hirten-Portraits“ sei „Und der kleine Hirte sang“ von Villa-Lobos genannt; alle Hirtenlieder sind eher melancholisch gefärbt. Prokofjew lässt den Mond auf der Wiese spazieren, sein „Kinderalbum“ erweist sich als wahre Fundgrube. Zum Thema „Mondschein“ gibt es auch einen poppigen Kontrast: „Walking on the Moon“ von Eduard Pütz. In der Rubrik „Traum“ zeigen sich leider nur die Romantiker; sie hätte beispielsweise mit dem „Verträumten Kind“ von Jean Françaix bereichert werden können, um der permanenten Unterfrequentierung von Neuer Musik entgegenzuwirken. Personen „In Bewegung“, mal reitend (Chatchaturjan) oder auch „Im Tanze wiegend“ (Villa-Lobos) sowie „Das Pferderennen“ (Satie, mit dem ihm eigenen Witz) spannen den Bogen zum technischen Programm. Hier lässt es sich weit schweifen, vom Barock bis in die Moderne: „Die kleinen Windmühlen“ von Couperin, „Die Nähmaschine“ von Ibert oder auch „Par T.S.F.“ von Martin. „On Tour“ als abschließendes Thema benennt unterschiedliche Fortbewegungsmittel zu Land und Wasser, derer sich Komponisten wie Mendelssohn, Bartók und Mussorgski („Der Ochsenkarren“) bedient haben. Für luftige Höhen hätte es ein kleines Klavierstück von Jenö Takács gegeben: der „Segelflug“, oder auch, um der kalten Jahreszeit Genüge zu tun, die „Schlittenfahrt“ vom gleichen Komponisten. Für Schüler, die es gern jazzig mögen: „Inter-City Stomp“ von Christopher Norton und von Mike Schoenmehl die „Zugreise“. Vierzig Klavierstücke im Ganzen, die Monika Twelsiek zusammengetragen hat.
Reisebilder, Schott Piano Classics, ED 9044
„Von fremden Ländern und Menschen“ aus den Kinderszenen von Schumann gibt die Marschrichtungszahl an und soll den Reisekompass einnorden. Eine aufkeimende Neugier dürfte allerdings beim Lesen der Inhaltsangabe sofort gedämpft werden. Dieses so ausgesprochen aktuelle Thema hätte eine umfassendere Recherche verdient. Die Klavierstücke haben einen regionalen Bezug und bringen entweder Liebgewordenes des eigenen Landes oder Anrührendes aus der Fremde aufs Notenblatt. Früher war Musik ein Mitbringsel, heute kann man überall und jederzeit Musik hören und kaum eine nationale Volksweise wird uns fremd erscheinen. Die Nutzer des Bandes dürften also schon „vor Ort“ gewesen sein. Allein die im Titel erkennbare nationale Zuordnung war offensichtlich ausschlaggebend für die Auswahl der Stücke. Italien kann gleich überflogen werden; die einschlägigen Klavierstücke sind bekannt. Landen wir also in Spanien: Jenö Takács begrüßt uns mit Straßenmusikanten, wir streifen das vergnügliche Milieu (Joaquin Turina: „Madrid“ und „Fiesta“), treffen auf ein südspanisches Tanzlied (Malagueña) und lassen uns emotional gefangen nehmen („Rustica“ von Joaquin Rodrigo). Die beiden südeuropäischen Nationen dominieren auch an dieser Stelle. Schade, dass Frankreich nur mit einem Stück präsent ist. Dafür bringt es aber das einzige barocke Stück ein: „Tambourin“ von Rameau, ein lebhaftes und mit Prallern verziertes Stück mit Verwandlungsgeschick. Edvard Grieg führt die Reisenden nach Norwegen. Der Nähe zur Volksmusik seiner Heimat verdankt die Klavierliteratur zahlreiche Kompositionen, die letztlich durch die Beschränkung auf die nationale Charakteristik populär wurden. Neben „Norwegisch“ aus op. 12 hätte ein weiteres Stück gutgetan. In Polen treffen wir nur auf Chopin, trotz des vielfältigen Angebots von Mazurken und Polonaisen anderer Komponisten. Schön ausgewählt ist der „Dance bohémienne“ von Debussy. Lokalkolorit und impressionistische Fingerzeige kooperieren fast genial. Zdenek Fibich kommt noch mit einem feurigen Furiant (Volkstanz mit metrischen Wechseln) zu Wort. Etwas dürftig erscheint auch die Auswahl von ungarischen Stücken. Dass Bartók nicht fehlen sollte, ist klar. Aber warum findet Mosonyi keinen Platz? Hier hätte man auf typisch Ungarisches, unter Einbeziehung der Zigeunermusik, aufmerksam machen können: „Der kleine Csikós“ aus der „Ungarischen Kinderwelt“. Es ist auch bedenklich, Tschaikowsky als einzigen Vertreter für die russische Musik anzuführen. Hier hätten Volkslied-Variationen von Glinka das Gesamtbild sicher gerundet. Die Reise führt uns weiter nach Asien. Der Komponist Tong Shang schrieb Miniaturen nach Volksliedern der inneren Mongolei. Die schlichte Melodieführung verrät viel Anmut, die auch durch die Harmonisierung nicht gestört wird. Ein so riesiger Kontinent wie Amerika scheint mit lediglich drei Stücken unterrepräsentiert. Das großgriffige Prelude Nr. 2 von Gershwin ist für Schüler zudem kaum zu bewältigen. Immerhin gibt es einen Tango, „Garôto“, von Ernesto Nazareth, um nicht auf Joplin sitzen zu bleiben. Die Chance, neuere Stücke publik zu machen (zum Beispiel „Mexikanischer Tanz“ von Nikolas Economou), wurde auch hier vertan. Schließlich fristen auch Deutschland und Österreich ein recht jämmerliches Dasein, weil zur Hauptsache auf Ländler beschränkt, aber immerhin klassisch geprägt. Wo bleibt die Allemande? Auch einige vierhändige Stücke hätten der Ausgabe gut zu Gesicht gestanden (die „Finnländischen Volksweisen“ von Busoni beispielsweise).
Impressionismus, Schott Piano Classics, ED 9042
Der Untertitel „21 Klavierstücke rund um Debussy“ soll die Epoche des Impressionismus nicht so eng eingrenzen. Gleich vorweg: Hier gelang Monika Twelsiek eine in sich stimmige Zusammenstellung, die auch Raum lässt für einige Raritäten. Mit dem „Notturno“ von Grieg gibt es einen ersten Berührungspunkt, neben dem „Abend im Hochgebirge“ („Lyrische Stücke“). Die „Hirtenweise“ von Liszt mag als Zäsur gelten, bevor man sich Debussy selbst nähert. Neben bekannten Repertoire-Stücken fiel die Wahl auf „La Fille aux cheveux de lin“ und „La Sérénade interrompue“; einerseits ruhig schwingende Parallelakkordik, andererseits repetierende Motorik. Die „Pavane“ von Ravel zählt zu den wohl populärsten Schöpfungen des Komponisten. Nach Erscheinen der Orchesterfassung mag das Original wie eine nachträglich produzierte Klavierfassung erscheinen, wirkt es doch wenig klavierbezogen. Für des Komponisten erfolgreiches Bemühen, sich aus den Zwängen des Impressionismus zu befreien, stehen die „Miroirs“. „Oiseaux tristes“ verdeutlicht zudem, auf welch hohem Niveau der Band angesiedelt ist. Von der iberischen Halbinsel kommende stilistische Merkmale werden im „Prélude“ von Albéniz und De Fallas „Homenaje“ in eigenverfasster Klavierbearbeitung zum Ausdruck gebracht. Die Allmacht der Gitarre setzt dabei aber ganz eigenwillige Akzente. Die Beiträge von Satie sollen hier nur Erwähnung finden: „Gnossiennes“ eins bis drei und „Idylle“ à Debussy. Als unbedingte Bereicherung kann das im Klavierrepertoire noch nicht verankerte Schaffen von Federico Mompou (1893–1987) angesehen werden. Nicht nur das Notenbild scheint sich mit dem von Satie zu decken. Mit „Jeux sur la plage“ 1–3 aus „Scènes d’enfants“ kann man in eine ganz eigenwillige, klangfarbenreiche Musiksprache eintauchen.
Piano Project, new pieces for piano, Universal Edition, UE 33662
Dieses einzigartige Werk soll allen Klavierpädagogen in die Hand gegeben werden, die schon seit Jahren speziell für den Unterricht komponierte Klavierstücke von Zeitgenossen anmahnen. Anne-Lise Gastaldi und Valérie Haluk ist es gelungen, in Kooperation mit Komponisten, die besonders für die zeitgenössische Musiksprache charakteristisch erscheinen, ein Projekt zu verwirklichen, welches seinesgleichen sucht. Die Aneignung zeitgenössischer Spieltechniken sollte so früh wie möglich beginnen; hier erfolgt der Einstieg allerdings auf recht hohem Niveau. Da wäre eine weitere Aktivität in dieser Richtung ratsam, auch unter Einbeziehung der jüngeren Komponistengeneration.
Georges Aperghis (geb. 1945) be-ginnt mit „Pièce pour jeunes pianistes“, einem von langsamen, jedoch figurativen Teilen umrandeten rhythmisch-metrischen Presto. Er beschränkt sich auf ein eingegrenztes Tonmaterial, welches durch die Hinzunahme eines sempre getretenen halben Pedals schwebende Cluster erzeugt. Das wohl anspruchsvollste Stück liefert Pierre Boulez (geb. 1925): „Une page d’éphéméride“. Sehr frei gehalten, dynamisch extrem, von Klangkultur geprägt (Sostenuto-Pedal zwingend) erfordert es ein hohes Maß musikalischer Reife. Das Stück „Antipodes“ des Italieners Ivan Fedele (geb. 1953) lebt von chromatischen Zellen, die sich auf den Nebentonbereich beschränken und mit geringem Tonumfang auskommen. Dabei spielen beide Hände im großen Abstand, zumeist im Pianissimo, und treffen sich im Zusammenspiel leicht rhythmisiert in chromatischen Clustern. Ein ganz in sich gekehrtes Stück bringt Cristobal Halffter (geb. 1930) ein: „El juguete olvidado“.
Mittels geschickter Pedalisierung formieren sich isolierte Klänge, die durch dissonante Tonfolgen besondere akustische Reize auslösen. Michael Jarrell (geb. 1958) nähert sich mit „Stille“ emotional seinem spanischen Kollegen. Er legt Wert auf Präzision und gibt dem Interpreten „Zählhilfen“. György Kurtág (geb. 1926) liefert drei kurze Beiträge. Sie gewähren dem Interpreten gestalterischen Freiraum. Auch Kurtág bevorzugt die leisen Dissonanzen, die im großen Tonumfang erst durch das Pedal hörbar werden. Sextenchromatik, in den Mittelstimmen parallel verlaufend und einer Tonlage treu bleibend, speist das kurze Stück von Peter Eötvös (geb. 1944). Auch der spanische Komponist Luis de Pablo (geb. 1930) verschweigt nicht seine Vorliebe für chromatische Clus-ter. Und das Stück „Saludo a Albéniz“ entstand offenbar in Anlehnung an „Asturias“, staccato gezupft, nur spieltechnisch komplexer. Zum Abschluss gibt es ein vierhändiges Stück von Salvatore Sciarrino (geb. 1927), konzipiert für die ganz Kleinen, dafür aber im Umfang doch etwas zu lang. Die Tastatur fungiert als eine Art Schlaginstrument; es wird durchweg im Fortissimo gespielt, um die Resonanzen zum Klingen zu bringen.