Gut zwei Monate nach dem Tod von Opernregisseur Joachim Herz liegen bereits Schriften aus dem Nachlass vor, vom Meister noch in „letzter Hand“ ediert. Dass deren Titel „Oper mit Herz“ fast wie ein Wortspiel klingt, ist natürlich kein Zufall. Geht es doch um den Auftakt einer drei Bände angelegten Edition „Musiktheater des Joachim Herz“, in dem zunächst der Weg „Von der Barockoper zum Musikdrama“ gezeichnet werden soll.
Der im Herbst mit 86 Jahren verstorbene Regisseur Joachim Herz, einst Assistent von Walter Felsenstein, gilt neben diesem Urgestein als einer der wichtigsten Wegbereiter und Bewahrer des realistischen Musiktheaters. Die Entsprechung von Musik aus dem Geist des Theaters und Theater aus dem Geist der Musik ist ihm in seinen Bühnenarbeiten stets Basis allen Herangehens gewesen. Seine nun aus dem Nachlass veröffentlichten Schriften reflektieren diesen Grundgedanken überzeugend. „Von der Barockoper zum Musikdrama“ umreißt in Diskursen, Essays, nachgedruckten Vorträgen und dramaturgischen Schriften anschaulich derartigen Anspruch. Ob pur informativ oder polemisch, ob betrachtend oder erläuternd – was Herz schreibt, ist so unterhaltsam wie originell.
Schon der erste Band „Oper mit Herz“ vermittelt lesenswerte Einblicke in ein äußerst schaffensreiches Opernleben und umfasst sowohl die Jahrzehnte, in denen Herz als Regisseur in Häusern wie Berlin, Dresden und Leipzig fest engagiert und zugleich als Gast in aller Welt gefragt war, als auch die Jahrhunderte, aus denen die von ihm (v)erarbeiteten Opern datieren.
Das Stichwort Barockoper berührt zunächst einmal die Auswahl von Händel bis Hasse. Galt ersterem eine nie abgeflaute Renaissance – insbesondere „Xerxes“, von Herz 1972 in Leipzig inszeniert und auf Gastspielen damals in Ost und West gefeiert, sowie auch der Dramatik Händelscher Oratorien gilt besonderes Augenmerk –, blieb die dem zweiten bis heute versagt. Herz fragt zwar, natürlich, wwarum das so ist, eine stichhaltige Antwort steht noch immer aus. Über Gluck, den Reformer, geht es weit zurück mit fundierten Betrachtungen zur griechischen Mythologie – den Vorlagen neuartiger Opernkunst – und wieder nach vorn, hin zu Mozart und Beethoven. Da wird der „Fidelio“ analysiert und werden einige Umsetzungen dieser Oper näher betrachtet, vor allem aber finden sich spannende Deutungen Mozarts jeweiliger Personage.
Obwohl Joachim Herz, von 1959 bis 1976 Operndirektor in Leipzig, anschließend Intendant und Chefregisseur an der Komischen Oper Berlin und von 1981 bis 1991 Chefregisseur der Staatsoper in Dresden, sowohl in diesen festen Positionen als auch in freier Tätigkeit als Gastregisseur ein breites Spektrum vom Barock bis zur jüngeren Gegenwart und neben deutschem auch italienisches und slawisches Repertoire inszenierte, wird er bis heute vor allem mit Wagner in Verbindung gebracht. Kein Wunder, denn mit den „Meistersingern“ eröffnete er 1960 das neu errichtete Leipziger Opernhaus und mit dem „Ring des Nibelungen“ schuf er zwischen 1973 und 1976 eine nachhaltig exemplarische Interpretation dieser Tetralogie. In logischer Konsequenz finden sich in dieser gründlich edierten Publikation auch richtungsweisende Aufsätze zum Kosmos des Wagnerschen Musiktheaters.
Den Herausgebern Kristel Pappel und Michael Heinemann ist für diese gründliche Arbeit kaum genug zu danken. Denn die Musikwissenschaftlerin aus Tallinn, nun Herzens Witwe, sowie der Professor der Dresdner Musikhochschule Carl Maria von Weber haben im ersten Band von „Oper mit Herz“ nicht nur Bewahrenswertes bewahrt, sie haben aus einem überreichen Fundus Lesenswertes zusammengetragen, das sowohl Macher als auch Liebhaber der Gattung Oper interessieren dürfte. Schon jetzt sind zwei weitere Bände „Oper mit Herz“ angekündigt, sie sollen sich der Moderne des Musiktheaters (zahlreiche der insgesamt 126 Inszenierungen von Joachim Herz waren Ur- und Erstaufführungen) sowie ausgiebig der Vita des 1924 in Dresden geborenen Querulanten widmen.
Die Lust zur weiteren Lektüre ist längst geweckt. Neben seiner enormen Allgemeinbildung – was stets ein Genuss für seine Gesprächspartner war und nun gewiss auch für die Leserschaft sein wird – überzeugt Herz im ersten Band dieser Schriftenreihe mit höchster Detailkenntnis und unbestechlichem Gedächtnis. Da er meist auch so schrieb, wie er sprach, erinnert der Duktus so mancher Passagen geradezu lebhaft an diesen Opernmenschen, der sich mit seiner Arbeit ein Stück weit unsterblich gemacht hat.