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Vom 28. bis 30. Juni findet in München die GEMA-Mitgliederversammlung 1999 statt. Im Mittelpunkt der Versammlung stehen Themen wie der Geschäftsbericht 1998, die Erwartungen für das Jahr 2000 oder die Administration digitaler Medien. Für kontroverse Diskussionen unter den Wahrnehmungsberechtigten wird sicher das neu eingeführte Hochrechnungsverfahren PRO sorgen. Im 50. Jahr nach dem Tod des Urvaters der GEMA, Richard Strauss, unterhielt sich nmz-Herausgeber Theo Geißler mit GEMA-Vorstandsvorsitzendem Reinhold Kreile über den geistigen und materiellen Wert von Kultur und Musik.
nmz: Fangen wir gleich mit dem heißen Eisen dieses Jahres an, nämlich mit dem Hochrechnungsverfahren PRO. Dieses neue Abrechnungsverfahren der GEMA hat bei einigen Unruhe ausgelöst. Wer hat denn überhaupt Grund zur Unruhe?
Reinhold Kreile (Foto: nmz)Reinhold Kreile: Die GEMA nimmt von allen Konzerten und Veranstaltungen, immer wenn urheberrechtlich geschützte Musik in der Öffentlichkeit gespielt wird, Vergütungen ein, die in ihrer Gesamtheit an die aufgeführten musikalischen Urheber ausgeschüttet werden. Aus diesen für jede Veranstaltung bezahlten Vergütungen wird eine Gesamtsumme gebildet, von der jeder Komponist, jeder Textdichter und jeder Verleger den Anteil erhält, der ihm gemäß der Aufführung seiner Werke zusteht. Seit Jahrzehnten geschieht diese Errechnung mittels eines relativ einfachen, gleichsam holzgeschnitzten Verfahrens durch eine Hochrechnung der vorhandenen Programme auf die Anzahl aller denkbar gespielten Programme.
nmz: Was bedeutet „denkbar gespielten“?
Kreile: Das bisherige Hochrechnungsverfahren führte zu dem Ergebnis, daß ein Werk, für das ein Programm vorliegt, so behandelt worden ist, als wenn es sieben Mal aufgeführt worden wäre. Dadurch sind diejenigen Komponisten, die sich selbst gespielt und vollständig ihre Programme vorgelegt haben, statistisch begünstigt worden. Wenn ein Barpianist in Flensburg sein Werk an einem Abend gespielt hat, dann wurde es so vergütet, als hätte er es gleichzeitig in Stuttgart und in Bad Reichenhall und in Garmisch und in Frankfurt gespielt. Deswegen hat sich die GEMA jahrelang sehr gründlich mit der Frage beschäftigt, wie man dieses einfache Hochrechnungsverfahren verbessern kann. Für die Entwicklung der neuen Hochrechnungstechniken hat sich die GEMA mathematisch-statistischer Hilfe bedient. Das Verfahren, das der Mathematiker Professor Dr. Gerhard Arminger entwickelt hat, ist an der Universität München nochmals überprüft worden und aufgrund dieses verbesserten Hochrechungsverfahrens werden die neuen Berechnungen durchgeführt. Darüber sind die Mitglieder schon im vorvergangenen Jahr ausführlich informiert und im letzten Jahr in einer längeren Debatte ebenfalls mit allen Gutachten vertraut gemacht worden. Insgesamt nehmen 29.000 Wahrnehmungsberechtigte an dem neuen Abrechnungsverfahren der Unterhaltungsmusik in Sparte U teil.
nmz: Betrifft das nur die Sparte U?
Kreile: Das betrifft nur die Sparte U. Nun haben sich etwa 180 Mitglieder von den insgesamt 29.000 mittels Einspruch gegen das neue Hochrechnungsverfahren gewandt, und dies nehmen wir sehr ernst. Doch auch ernstzunehmen ist, daß in der Zwischenzeit auch eine Reihe weiterer Wahrnehmungsberechtigter Beschwer-den vorgebracht haben, zwar nicht gegen dieses neue Hochrechungsverfahren, wohl aber dagegen, daß es so lange nicht eingeführt worden ist. Sie sagen: Warum hat die GEMA das so lange nicht gemacht? Sie hat mir jahrelang für meine Werke, die ja viel häufiger aufgeführt wurden als bisher abgerechnet, die Vergütung vorenthalten.
Ich kann beiden Seiten, von denen die GEMA jetzt angegriffen wird, nur antworten: Ein solches verbessertes Hochrechnungsverfahren läßt sich nur nach sehr gewissenhafter Prüfung durchführen. Man braucht dazu eine relativ lange Anlaufzeit und natürlich auch gewisse Instrumentarien der Datenverarbeitung, die wir bisher nicht hatten, die wir aber jetzt haben. Das Ergebnis ist, daß ein kleiner Teil der Mitglieder sich benachteiligt fühlt, weil sie nämlich nicht erkannt haben, daß sie bisher bevorzugt waren. Im Aufsichtsrat haben wir dieses Thema sehr eingehend besprochen und sehen, daß eine Reihe dieser Mitglieder, die von ihnen hier nicht erwartete Einbußen erlitten haben, dies als Härte empfinden. Die GEMA kann zwar als Lizenzvergütung nur die Beträge ausschütten, die sich aus der genauen Berechnung ergeben. Wenn aber in einem bestimmten Bereich offensichtlich eine Härte entstanden ist, soll eine Milderung dieser Härte eintreten. Deswegen hat sich der Aufsichtsrat zusammen mit dem Vorstand der GEMA dazu entschlossen, der Mitgliederversammlung vorzuschlagen, für eine gewisse Zeit einen Härteausgleich vorzunehmen. Wer nach dem neuen Hochrechnungsverfahren weniger als die Hälfte bekommt, als er nach dem alten Hochrechnungsverfahren bekommen hätte, soll einen Ausgleich bis auf die Hälfte unter sozialen und kulturellen Gesichtspunkten erhalten.
nmz: Sie rechnen trotzdem mit einer stürmischen Mitgliederversammlung...
Kreile: ...weil es um Grundprinzipien der GEMA geht. Ein Vorwurf heißt, daß das neue Verfahren unsozial sei. Nun ist die Frage, ob zwei mal zwei vier ist oder sieben nicht nach den Gesichtspunkten des Sozialen zu beantworten, sondern nur rechnerisch und nicht anders. Aber das Soziale soll und kann seine Rolle durch eine Ausgleichsregelung spielen. Das hat die GEMA in solchen Fällen bisher immer getan, und ich hoffe auch sehr, daß die Mitgliederversammlung dies so sieht und auch dem Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand zustimmt.
nmz: Warum hat man diese Sichtweise des Themas „Selbstaufführer“ auf den U-Musikbereich beschränkt und nicht auf den E-Musikbereich ausgedehnt?
Kreile: Im Bereich der Konzertaufführungen und sogenannter E-Musik ist die Problematik völlig anders. Denn im E-Musikbereich liegen bei fast 100 Prozent aller Konzerte Programme vor. Eine Hochrechnung der Programme ist hier also nicht erforderlich. Das Problem ist bei der U-Musik gänzlich anders. Hier weiß man, daß viele Werke sehr häufig gespielt, aber für sie keine Programme vorgelegt werden. Im U-Bereich gibt es, auch wenn die GEMA noch so intensiv bei den Veranstaltern hinterher ist, daß Programme eingereicht werden, eben nur bei zirka einem Siebtel aller Veranstaltungen Programme, aber man kann daraus nicht weiter den Schluß ziehen, daß bei den anderen sechs Siebteln die gleichen Programme gespielt werden wie bei dem durch Programm-„belegten“ einem Siebtel. Das neue, genau überlegte Verfahren der Methode PRO zieht daraus den Schluß, daß ein Werk, wenn es in mehreren Monaten, in mehreren Bezirken gespielt wird, dann auch anderswo, in anderen Monaten gespielt wird. In der Mitgliederversammlung wird die Diskussion natürlich um die Grundprinzipien gehen, nach denen die kollektive Wahrnehmung von individuellen Urheberrechten zu erfolgen hat. Das klingt zwar ein bißchen juristisch und ökonomisch, aber genau darum geht es. Die GEMA bündelt in sich alle Rechte der Urheber, das ist auch ihre Stärke in der Verhandlung mit Nutzern; das hereingeholte Geld muß auch angemessen und richtig verteilt werden. Und hier von der kollektiven Wahrnehmung zur richtigen individuellen Ausschüttung zu kommen, ist das Grundanliegen der GEMA; sie verhält sich so, wie es im Urheberwahrnehmungsgesetz niedergelegt worden ist. Und daran wird man immer wieder neu arbeiten, manchmal auch darüber streiten, aber immer im Hinblick darauf, daß sich die neuen Erkenntnisquellen, die neuen Berechnungsmethoden immer mehr verfeinern und dazu dienen, die Abrechnungen immer zutreffender zu machen.
nmz: Wird das nicht immer schwieriger? Ich denke da beispielsweise an eine Klanginstallation in Donaueschingen oder in Witten. Wie will man das gerecht bewerten? Dann gibt es Grenzflächen zwischen U und E, es wird improvisiert, auch im E-Bereich; wie läßt sich das noch unter klare Beurteilungskriterien subsumieren?
Kreile: Das ist gar nicht so schwierig, denn der Unterschied zwischen U und E ist auf der einen Seite ganz offensichtlich und problemlos, wird aber in Grenzfällen doch höchst schwierig zu begreifen und darzustellen. Zwischen Ihnen und mir ist er völlig klar: Es ist eben ein Unterschied, ob ich einen Schlager oder ein Streichquartett höre. Dann gibt es aber natürlich Fälle, wo das ineinander übergeht. Und die Komponisten versuchen – auch aus ästhetischen Gründen –, diese Unterschiede zu verwischen, um damit eine neue Farbe in die Musik hineinzubekommen. Sie nennen das so schön „Crossover“. Es ist im Einzelfall möglicherweise ein bißchen schwierig zu entscheiden, ob die Ouvertüre zu „Candide“ von Bernstein ein Werk der Unterhaltungsmusik ist, wie Bernstein selber gemeint hat, oder ob es dann E-Musik ist, wenn sie von den Münchner Philharmonikern in einem Konzert gespielt wird. Darüber kann man sich streiten, aber im Grunde genommen sind das solche Ausnahmefälle, daß es die Grundprinzipien der kollektiven Wahrnehmung überhaupt nicht betrifft.
Internationale Kooperationen
nmz: Auf die Globalisierung des Musikmarktes haben die musikalischen Wahrnehmungsgesellschaften, die in der „Conféderation Internationale des Sociétes d’Auteurs et Compositeurs“ (CISAC) zusammen-geschlossen sind, jetzt mit einem „Common Information System“, kurz CIS, reagiert. Worauf zielt die Kooperation?
Kreile: Diese Kooperation zielt darauf, die Dokumentation der Werke, eine der Grundlagen überhaupt der Tätigkeit einer Verwertungsgesellschaft, möglichst einheitlich vorzunehmen. Dann kann auch jede andere Verwertungsgesellschaft sie weitgehend übernehmen, und Doppelarbeit wird vermieden. Bei der Öffnung von Dokumentationen sind wir im Rahmen der CISAC (der Dachorganisation aller Verwertungsgesellschaften der Welt), weit vorangeschritten. Das ist ein „work in progress“, und die Kooperation der Verwertungsgesellschaften schreitet sowohl hinsichtlich der Wahrnehmung, nämlich daß man das Geld überhaupt hereinbekommt, wie hinsichtlich der Verteilung, voran. Im Interesse der Urheber soll und muß sie stets weiterentwickelt werden.
nmz: Gerade die amerikanische Schwestergesellschaft „American Society of Composers, Authors and Publishers“, ASCAP, und die britische „Performing Right Society“, PRS, sowie die „Mechanical Copyright Society“, MCPS, haben jetzt eine eigene Form von Kooperation ins Leben gerufen, zusammen mit dem holländischen „Het Bureau voor Muziek-Auteursrecht“, BUMA, und der „Stichting STEMRA“. Ist diese Kooperation als Konkurrenzunternehmen zu sehen? Sie wird ja auch materiell sehr gut ausgestattet? 20 Millionen Dollar, das ist eine ansehnliche Zahl.
Kreile: Nein, das ist kein Konkurrenzunternehmen, sondern es ist im Gegenteil ein Unternehmen, das sich sehr öffnet für alle Verwertungsgesellschaften, so ist wenigstens der Plan.
nmz: Wird da nicht gewissermaßen verdoppelt gearbeitet?
Kreile: Nein. Wenn die Dokumentation gemäß CIS nach einheitlichen Normen festgelegt ist, dann erfolgt die eigentliche Datenverarbeitung. Das eine (also CIS) ist die Normengebung, das andere der praktische Vollzug. Dabei taucht natürlich die Frage auf, ob alle Verwertungsgesellschaften alle Dokumentationen nach diesen Normen dann jeweils für sich selber anfertigen müssen, oder ob es möglich ist, daß eine Gruppe von Gesellschaften zusammenarbeitet. Ich habe beispielsweise schon eine ganze Reihe von Gesprächen darüber geführt, ob es einen Sinn hat, daß wir uns in diesem Bereich beteiligen, oder ob und inwieweit sich dieses internationale Music Joint Venture an unserem sehr fortschrittlichen EDV-System beteiligt. Hierüber befinden wir uns in einem kooperativen Gespräch. So etwas muß sehr sorgsam vorbereitet werden.
nmz: Aber es gibt doch so eine Art Mentalitätsunterschied, gerade zwischen den eben genannten Schwestergesellschaften und der mitteleuropäischen Sicht der Dinge. Da wundert es einen doch, daß in einem International Music Joint Venture, also einer materialistisch orientierten Gruppierung, 20 Millionen Dollar investiert werden. Was steckt dahinter? Ist das nicht doch der Versuch, die amerikanische Mentalität international durchzusetzen, die ja sehr rigide ist, was das Ablehnen inhaltlicher, künstlerischer oder kultureller Betrachtungen betrifft.
Kreile: Wir können davon ausgehen, daß die GEMA all dies sieht und sich nicht vereinnahmen lassen wird, ebensowenig wie die PRS und die ASCAP oder BUMA/STEMRA von der GEMA. Für die Ausgestaltung der Dokumentation, für den technischen Vorgang können wir unter Umständen die Wege gemeinsam gehen, aber nur unter der Garantie, daß jede Gesellschaft, also auch die GEMA, die Herrschaft über ihre eigenen Dokumentationen behält. Und zwar sowohl über die der GEMA-Mitglieder, wie auch der internationalen Dokumentationen, die ja in Deutschland weitgehend von den Subverlagen in die GEMA eingebracht werden. Genau das gleiche würde Ihnen mein französischer Kollege sagen: Wir wollen gemeinsam versuchen, die Kosten zu reduzieren, denn wir leiden unter dem immer höheren Kostendruck.
nmz: Sie treiben immer höheren technischen und personellen Aufwand, beispielsweise für die Kontrolle.
Kreile: Ja. Denn wir registrieren natürlich, daß es immer mehr Musik an immer mehr Plätzen gibt. Gott sei Dank. Deswegen steigen auch die Einnahmen. Aber mehr hereinzuholen und zu verteilen bedeutet eben auch erhöhten Kostenaufwand. Und den in Maßen zu halten, ist der Sinn der Kooperationen. Niemals die eigene Selbständigkeit aufgeben, aber in vernünftiger Weise zusammenarbeiten, zum Nutzen der Autoren, das ist unsere Aufgabe.
nmz: Auf der anderen Seite ist es so, daß die Globalisierung der Musikdistribution, etwa durchs Internet, eine ganz enge internationale Kooperation nötig macht, die – um gar keine Schutzlücken aufkommen zu lassen – eigentlich eine gemeinsame große Datenbank erforderlich macht.
Kreile: Das wäre das erste, zweitens muß man aber darin zusammenarbeiten, denjenigen ausfindig zu machen, der an die Verwertungsgesellschaften für die Nutzung im Internet das Entgelt zahlen muß. Ich betone immer mit besonderer Freude, daß das deutsche Urheberrecht ganz an der Spitze steht, und im Rahmen aller europäischen Staaten ist das Urheberrecht auf einem hohen Level angesiedelt. Aber beim Internet geht es nicht so sehr um die Frage, ob ein Urheberrechtsschutz für das, was im Internet ist, besteht. Der besteht natürlich! Aber ich muß denjenigen in dieser virtuellen „online-Welt“ „erwischen“, der die Musik in das Internet einspeist und dort nutzbar macht. Und wenn der nicht aus Deutschland ist, dann stehe ich an den deutschen Grenzen. Deswegen wollen wir einen Verbund der Verwertungsgesellschaften für die Nutzung im Internet, nämlich mit der Maßgabe, daß für das Inkasso der Vergütung die Verwertungsgesellschaft zuständig ist, in deren Verwaltungsgebiet der Provider die Musik ins Internet hineinbringt, aber die Vergütung richtet sich danach, wo das im Internet befindliche Musikgut genutzt wird, weil eben dort die Tarife zwischen Amerika und Europa sehr auseinandergehen. Die Amerikaner haben geringere Tarife als wir in Deutschland und in anderen Teilen Europas. Und deswegen wollen wir hier für die Nutzung in Deutschland die Vergütung gemäß den deutschen Tarifen erhalten.
Lizensierung im Internet
nmz: Gibt es denn Fortschritte bei der Harmonisierung der Internet-Lizenzierung auf internationaler Ebene?
Kreile: Wir haben schon ganz erhebliche Fortschritte gemacht, indem das eben Gesagte schon fast die allgemeine Überzeugung der Verwertungsgesellschaften geworden ist. Zur Zeit ist die Lizenzierung im Internet ja kein großes Geschäft. Es sind zwar etwa 100.000 weltweit zerstreute Musikstücke im Internet, aber die Abrufung ist noch weit weg von einem Massengeschäft. Wir konzentrieren uns dennoch auf das, was möglicherweise in drei bis fünf Jahren kommen wird, und bereiten das Massengeschäft organisatorisch vor. Es muß darüber hinaus auch erkannt werden, was ins Internet tatsächlich hineingestellt und was abgerufen wird. Dazu bedarf es ganz bestimmter Suchmaschinen. Nur zusammen mit der Schallplattenindustrie können wir diese Aufgabe bewältigen, denn deren Rechte sind zusammen mit denen der Urheber und Interpreten in Gefahr. Also alle diejenigen, die im Internet die vergütungsfreie Nutzung ihrer Rechte erdulden müssen, einer Freibeuterei ausgesetzt sind, müssen zusammenarbeiten, um solche Suchmaschinen zu gestalten. Auch sollten für neue Aufnahmen, wie die EG-Kommission immer wieder sagt, Verhinderungstechniken dagegen entwickelt werden, daß die Werke mehr als einmal abgerufen oder überspielt werden können. Das ist ein Wettlauf zwischen Hase und Igel; aber es geht darum, daß die Urheber zum Igel werden.
nmz: Die bisherigen Igel sind meistens die Hacker...
Kreile: Immer dann, wenn die Techniker eine Lösung gefunden haben zu verhindern, daß Musik unentgeltlich gespielt werden kann, dann kommen wieder andere und verhindern, daß das verhindert wird. Ich war dieser Tage in Los Angeles bei einer Konferenz, und es ist mir sehr wichtig, daß es gelungen ist, alle Techniker zu überzeugen, daß Handlungsbedarf besteht. Denn wenn die Musik in den weltweiten Datennetzen nicht geschützt werden kann, dann gibt es keine neue Musik mehr, denn der Komponist muß in den Einnahmen aus der Nutzung seiner Musik eine Lebensgrundlage finden können. Und das ist die Aufgabe der Verwertungsgesellschaften. Und auch die Schallplattenindustrie muß dies ihren oft zum gleichen Konzern gehörenden Internet-Betreibern deutlich machen. Nur wenn Schallplattenindustrie, technische Industrie und Urheberrechtsverwertungsgesellschaften in diesem Punkt zusammenarbeiten, dann gibt es auch weiter music business, gibt es Geschäft mit der Musik.
nmz: Ich möchte hier noch einen potentiellen vierten Partner ins Spiel bringen, und das ist die kulturelle Bildung, die Pädagogik. Wertebildung findet ja im Alter zwischen vier und zehn Jahren ihre grundlegenden Prägungen. Wäre es nicht ein wichtiges Ziel, in den Bildungskatalog die Bedeutung des geistigen Eigentums quasi als Lernziel mit zu implementieren? Könnte das nicht eine interessante und zukunftsweisende Aufgabe sein?
Kreile: Dieser Aufgabe muß man sich immer unterziehen. Schon Richard Strauss, der Urvater aller deutschen Verwertungsgesellschaften, hat diesen Gesichtspunkt immer wieder vorgetragen, nämlich daß Kultur ein Wert ist, Werte müssen vermittelt werden.
nmz: Aber es gibt nach wie vor wenig Bewußtsein vom Wert des geistigen Eigentums. Ich kann mich nicht erinnern, in einem Lehrplan ein Lernziel gesehen zu haben, das sich in diese Richtung bewegt. Im Gegenteil, gerade die Lehrer demonstrieren den Schülern doch, wie man es nicht machen soll, mit kopierten Materialien, Noten, Buchseiten.
Kreile: Da haben Sie leider recht. Ich freue mich sehr, wenn ein Bundespräsident – wie Roman Herzog kürzlich – den Wert des geistigen Eigentums betont, weil er weiß, daß dies ein ganz wichtiger politischer und gesellschaftspolitischer Wert ist. Aber das muß dann auch weitergegeben werden. Dazu sind auch die Musikzeitschriften da, und manchmal wird auch einer Ihrer Leser, der mehr in dem praktischen Bereich tätig ist, sich sagen: Ich will auch dem Komponisten etwas zahlen. Die Urhebervergütung gehört zum Konzert wie der Saal und das Instrument: alles hat seinen (angemessenen) Preis.
nmz: Das ist ein Vermittlungsproblem.
Kreile: Es muß klar sein, daß der Komponist ein Recht darauf hat, für seine geistige Leistung eine Vergütung zu bekommen. Das haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof immer wieder gesagt. Im Grunde ist es immer eine Abwandlung des Bibelworts: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert.“ Und auch der musikalische Arbeiter, nämlich der Komponist „ist seines Lohnes wert“.
nmz: Sie legen jetzt Ihren zehnten Geschäftsbericht vor und wenn man die Zahlen anschaut, dann stellt man fest, daß Sie in dieser Zeitspanne über einen verdoppelten Ertrag berichten können. Macht Sie das stolz?
Kreile: Es macht mich insofern froh, als ich meine, daß ich meinen Auftrag, die Rechte der Komponisten zu wahren und zu fördern, zusammen mit den Mitarbeitern der GEMA ordentlich erfüllt habe. In der Tat ist es schön, zu sehen, daß es durch Kleinarbeit und manchmal auch durch große Arbeit innerhalb von zehn Jahren zu einer Verdoppelung (Ertrag 1989 718 Millionen Mark, Ertrag 1998 1.465 Millionen Mark) gekommen ist. Und ich wünschte sehr, daß es so weiter ginge.
nmz: Welche Zahlen Ihres Geschäftsberichtes sehen Sie denn mit besonderer Freude?
Kreile: Besonders die Zahlen in dem Bereich der Aufführungsrechte, die dadurch zustandekommen, daß wir versuchen, überall flächendeckend unsere Tarife, die nicht hoch (im europäischen Bereich sogar durchaus niedrig) sind, durchzusetzen. Deswegen finde ich es besonders schön, daß wir von der Kneipe an der Ecke über die Turnhalle bis zum Konzertsaal nicht dramatische, aber doch konsequente Steigerungen verzeichnen können.
GEMA als Monopolist
nmz: Das ist der Erfolg Ihres Außendienstes.
Kreile: Und der Erfolg der Veinbarungen mit den großen Musiknutzerverbänden, die natürlich manchmal die GEMA als Monopolisten und Geldeintreiber beschimpfen. Die Musiknutzerverbände, etwa der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, versuchen jetzt, das Monopol der GEMA zu kippen. Ich kann den Herren dazu nur viel Vergnügen wünschen, wenn sie neben der bisherigen GEMA eine zweite aufbauen wollen. Denn eine solche zweite GEMA kann neben der anderen nur dann leben, wenn sie höhere Vergütungen fordert, denn sonst nämlich gibt kein Urheber ihr die Rechte. Deswegen haben das Bundesjustizministerium ebenso wie die Weltorganisation des geistigen Eigentums in Genf gesagt, diese Monopolstruktur der Verwertungsgesellschaften muß unbedingt beibehalten werden, zudem jegliches Monopol, wie etwa die GEMA, der Mißbrauchsaufsicht unterliegt. Die derzeitige (weltweite) Struktur nützt auch gerade dem Musiknutzer. Denn wenn er zur GEMA kommt, dann weiß er, sie gibt ihm das Recht für alle Musik, die es auf der Welt gibt. Wenn er die Rechte bei verschiedenen Gesellschaften suchen müßte, würde er sie nicht finden. Wenn er dann glaubt, er könnte Musik unentgeltlich aufführen, dann wird er sich irren, denn man wird dann schon dafür sorgen, daß diese Musik dann vergütet werden muß. Und besonders erfreut bin ich darüber, daß die Vergütungen für die Nutzung der Musik in Rundfunk und Fernsehen sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt haben, von 1989 199 Millionen Mark auf 1998 355 Millionen Mark; dies ist das Ergebnis auch der Öffnung des Rundfunk- und Fernsehbereichs für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk und das private Fernsehen. Allerdings hat dadurch der Musikverbrauch immens zugenommen; trotz der Verdoppelung der Vergütungen in den letzten zehn Jahren ist die Höhe der Vergütung für das Einzelwerk noch erheblich verbesserungsbedürftig.
Zur E-Musik-Ausschüttung
nmz: Noch einen Blick zurück auf Ihren Geschäftsbericht. Gibt es auch Zahlen, über die Sie ein bißchen die Stirn runzeln? Man hört beispielsweise von den E-Musikverlegern, daß es da in den letzten Jahren dramatische Einbrüche gegeben habe.
Kreile: Es ist erkennbar, daß die Ausschüttung für die E-Musik für den Einzelnen etwas rückläufig ist, obwohl sich seit Jahren der von der GEMA kassierte Betrag in der gleichen Größenordnung hält (zirka 23 Millionen Mark). Aber obgleich das Inkasso nicht steigt, weil die Veranstaltungen stagnieren, werden in diesen Veranstaltungen mehr Werke gespielt. Es kann deswegen bei einzelnen Komponisten dazu kommen, daß er 10 oder 20 Prozent weniger bekommt als vorher. Deswegen versuchen wir natürlich, die Tarife möglichst auszureizen. Aber: wenn die GEMA für einen kleinen Konzertsaal einen zu hohen Tarif ansetzt, dann wird der Pianist eben nicht ein Werk eines lebenden Komponisten spielen, sondern noch eine Beethoven-Sonate oder eine Schubert-Ecossaise. Das ist nicht ganz einfach auszutarieren. Die E-Musik muß bezahlbar sein – dann wird sie gespielt. Wir können noch ein paar Spielräume ausnutzen, aber wir dürfen die Vergütung für Musik nicht unangemessen in den Tarifen hochsetzen, sonst wird sie uns nicht abgenommen.
nmz: Wir haben eine neue Bundesregierung, die sich – trotz eines Kulturministers – nicht unbedingt durch eine Hinwendung zu Kunst und Kultur auszuzeichnen scheint. Sie hatten gerade einen Kongreß in Berlin. Das Thema war „Kreativität ist nicht umsonst“. Herta Däubler-Gmelin hat sich dort sehr engagiert für den Urheberrechtsschutz ausgesprochen. Macht das wenigstens Hoffnung?
Kreile: Frau Däubler-Gmelin hat sich in ihrer Berliner Rede als Justizministerin außerordentlich stark für die Erhaltung und die Fortbildung des Urheberrechts eingesetzt. Das ist wichtig, denn das Justizministerium ist zuständig für das Urheberrecht, nicht das Staatsministerium für Kultur, aber auch dort habe ich am Engagement für die Urheber keine Zweifel. Zudem haben wir in Deutschland seit jeher eine überparteiliche Auffassung vom Urheberrecht. Deswegen schaue ich also in Hinsicht auf das Urheberrecht sehr hoffnungsfroh in die Zukunft. Doch im Internetbereich sehe ich die Praktizierung des Urheberrechtsgesetzes nicht ganz so positiv, dazu bedarf es noch einiger sehr intensiver Vorarbeiten, auch einer gemeinsamen europäischen Plattform, aber da diese europäische Plattform auch von uns mitgestaltet wird, glaube ich, daß wir auch hier zu einem guten Ergebnis kommen werden. Allerdings sind die Machtverhältnisse innerhalb der EG ganz deutlich zu spüren. Für die große Kommunikationsindustrie ist ja dieser urheberrechtliche Bereich bloß ein kleiner Klacks, denn sie wollen Daten transportieren und darin möglichst nicht gestört werden. Da ist das Urheberrecht störend. Es geht darum, diesen großen, mächtigen Kolossen zu sagen, daß die Werke der Urheber nicht bloße Daten zum Transport sind, man muß ihnen deutlich machen, daß die digitalen Autobahnen, die sie bauen, leer sein werden, wenn dort nicht auch kulturelle Güter, kulturelle Werte des schöpferischen Geistes, sowohl U- wie E-Musik, fahren. Ich glaube, auch dort wird man zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Aber dazu muß man jeden Tag von neuem anfangen und darf nicht müde werden. Und das ist eines der Grundprinzipien der Verwertungsgesellschaften: Sie werden niemals müde werden, sich für die Rechte der Autoren einzusetzen.