Es ist ein merkwürdiges Ding mit der Liebe zwischen der Neuen Musik und der Alten Musik. Zu beobachten ist sie allerorten. Da greifen Komponisten die isorhythmischen Prinzipien eines Machaut auf, Purcell- oder Gesualdo-Bearbeitungen werden angefertigt, man bezieht sich auf barocke Formmodelle oder schreibt für Cembalo oder Countertenor. Auch die Konzertveranstalter greifen die Gegenüberstellung von Alt und Neu immer häufiger auf. Dabei muss das innige Nebeneinander doch eher verwundern. Schließlich sind die Musiker der Historischen Aufführungspraxis wie der zeitgenössischen Musik ausgesprochene Spezialisten ihres Fachs. Überschneidungen des Repertoires gibt es da praktisch keine.
Und jetzt ist sogar eine Sommerakademie für Alt und Neu ins Leben gerufen worden, von zwei in Freiburg ansässigen Formationen, dem ensemble recherche und dem Freiburger Barockorchester. Anfang September fand die Akademie in Freiburg erstmals statt. Freilich ist es nicht allein die Liebe, die beide Ensembles zusammentreibt. Der Schulterschluss in einer Ensemble-Akademie ist durchaus auch als Zweckehe zu verstehen: die beiden Ensembles kämpfen in Freiburg und inmitten der üblichen Sparrunden für die Einrichtung eines gemeinsamen „Ensemblehauses“, das das Problem der mangelhaften Behausung und der unzulänglichen Proberäume beheben soll. Darüber hinaus sind einige Punkte zu verzeichnen, die beide Ensembles beziehungsweise die Szenen der Neuen und der Alten Musik ganz allgemein miteinander verbinden. Wie beispielsweise das Spezialistentum – noch immer spielt sich die Ausbildung der Musiker an den Rändern des klassischen Musikstudiums ab. Auch sind beide Szenen in einem geistigen Klima des Aufbruchs und im Bewusstsein entstanden, Pionierarbeit zu leisten. Und sie waren von dem Impuls getragen, sich von der am klassisch-romantischen Repertoire geschulten Ästhetik abzugrenzen. Insofern sind das Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche ähnlich sozialisiert.
Zielgruppe der Akademie waren nicht nur Studenten, sondern, wie es Rüdiger Nolte (Dramaturg des Freiburger Barockorchesters) umriss, „auch im Beruf stehende Musiker, die immer mehr in Oper- und Sinfonieorchestern mit unseren Spezialbereichen konfrontiert werden“.
Denn, so formulierte es der Flötist Martin Fahlenbock vom ensemble recherche aus der Warte der Neuen Musik, „wir machen immer wieder die Erfahrung, selbst bei Kollegen aus Rundfunkorchestern, dass es da wirkliche Defizite gibt, nicht nur, was rein technische Dinge angeht, sondern auch im Hinblick darauf, wie man sich eine zeitgenössische Partitur erschliesst“. Zusammen gekommen ist schließlich eine recht bunte Truppe, der Anteil der Orchestermusiker bleibt zwar ausbaufähig, aber insbesondere den Schulmusiklehrern konnten die Dozenten schließlich große Offenheit bescheinigen.
Eine Besonderheit der Akademie war die Einrichtung eines nachmittäglichen „Spielraums“, in dem sich die „Alten“ und „Neuen“ zum gemeinsamen Gespräch trafen. Hier ging es um die Ausleuchtung ästhetischer und technischer Begriffe wie Klang, Struktur, Affekt und damit um ein Aufspüren von Parallelen und Unterschieden zwischen Alter und Neuer Musik.
Und auch um die beidseitigen Vorurteile sollte es gehen, die während der fünftägigen Akademie unterschwellig stets Thema waren – also zum einen um die gefühllosen Technokraten mit intellektuellem Gehabe (Neue Musik) und zum anderen um die Wohlfühlmusiker in intonatorischer Schieflage (Alte Musik), wie es NDR-Redakteurin Margarete Zander in einem von ihr moderierten Nachmittag zur Erheiterung aller auf den Punkt brachte.
Die offene Konfrontation der beiden „Lager“ war durchaus erwünscht, zur Prügelei kam es dann aber doch nicht – obwohl am Rande der abendlichen gemeinsam gestalteten Konzerte Unmutsäußerungen durchaus in großer Deutlichkeit zu vernehmen gewesen waren. Und es waren keineswegs nur die Barockfans, die der Neutönerei fassungslos gegenüber standen, sondern umgekehrt Anhänger der Avantgarde, die sich über die Hohlheit der Barockmusik aufregten. Offenbar, so die Musiker der Diskussionsrunde im „Spielraum“, ist die Lagerbildung im Publikum noch viel ausgeprägter als unter den Musikern selbst. Dass solche Vorbehalte nur in Auseinandersetzung miteinander überwunden werden können, liegt auf der Hand. Einen ersten Schritt in diese Richtung getan zu haben, darf sich die Freiburger Ensemble-Akademie nun auf ihre Fahnen schreiben. Und auch wenn man sich über den ästhetischen Sinn des Schulterschlusses zwischen Alt und Neu weiterhin seine Gedanken machen kann, so bleibt doch der pädagogische Mehrwert eines solchen Versuchs unbestritten. Er lässt sich auch ganz handfest daran ablesen, dass etliche der insgesamt siebzig Akademieteilnehmer – von der überwältigenden Nachfrage waren übrigens beide Seiten gleichermaßen überrascht – die Möglichkeit nutzten, Unterricht sowohl bei den Dozenten der Alten als auch der Neuen Musik zu nehmen. Oder bei den Proben der „anderen Seite“ zuzuhören.
Insgesamt zeigen sich die Verantwortlichen mit dem Verlauf der Akademie zufrieden. Auch die positive Rückmeldung der Teilnehmer lädt zur Fortsetzung ein. Der finanzielle Rahmen dafür sei jedoch noch keineswegs gesichert. „Unter diesen Bedingungen kann man das ein Mal, aber nicht jedes Jahr machen“, betont Lucas Fels vom ensemble recherche. So mussten beispielsweise die Räume der Freiburger Musikhochschule für fünf Tage angemietet werden.
Und dass man ausgerechnet dort dem Akademie-Projekt nicht mit einem günstigen Angebot entgegen gekommen ist, hat die Veranstalter spürbar verbittert.
Davon, dass an der Musikhochschule weder an der Alten noch an der Neuen Musik ein ausgeprägtes Interesse besteht, ist man überzeugt. Plötzlich tut sich ein weiterer Graben auf: der zwischen der traditionellen klassischen Musik und dem Spezialistentum am Rande. Auch da gibt es also noch einiges zu tun.
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