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Ein sehr liebenswürdig blickender Mann mit Brille und Hut im Wald.

Mit einem Lächeln, so wie sein fein Gespür: Martin Hufner. Foto: Petra Basche

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Das scharfe Schwert des Argumentes – Martin Hufner zum 60. Geburtstag

Vorspann / Teaser

Im Frühsommer stand ein Zwanzigjähriger vor dem musikwissenschaftlichen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen und rezitierte – ein Reclam-Heft in der Rechten, ein Licher in der Linken – das legendäre „Heldenplatz“-Gedicht von Ernst Jandl. Bei „pirsch! döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz!“ schoss seine Hand (die mit dem Bier) nach vorne und seine Energie fuhr in die atemlos lauschenden Kommilitonen hinein. Noch vier Jahrzehnte später sehe ich ihn so: einer, der die Schärfe der Avantgarde spürbar werden lässt. Martin Hufner vollendet heute, am 20. Januar 2024, sein sechstes Lebensjahrzehnt.

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Er legte immer Wert darauf, aus Wolfsburg zu kommen, obgleich er in Münster geboren wurde. Das Studium in Gießen schloss Hufner mit einer Arbeit über den Komponisten Adorno ab, die er anschließend zur Dissertation ausbaute. Als Adornit, der er geblieben ist, konnte er sich über „Adorno-Verkalkung“ unter den Musikwissenschaftlern echauffieren, ohne seinen geistigen Hausherrn zu verdammen. „Was wären wir ohne ihn?“, fragte er dann entwaffnend. 

„Adorno und die Zwölftontechnik“ erschien 1995 im ConBrio Verlag in Regensburg, und hier fand Hufner 1994 seine berufliche Heimat. Er begann als Lektor, wurde Redakteur der nmz, startete mit Theo Geißler die Website www.nmz.de, die er bis heute betreut. Unter seinen für ConBrio gestalteten Büchern ragt „Passagen. Kreuz- und Quergänge durch die Moderne“ von Nicolas Schalz und Peter Rautmann heraus, eine tausendseitige Fundgrube, 1997 in liebevoller Aufmachung publiziert. Hufners Herzblut steckt darin und vieles von dem, was ihn beschäftigt und ausmacht. Denn Hufner ist ein Leser und Denker mit einem immens breiten Spektrum. Philosophen und Dichter, Soziologen und Häretiker, Schwadroneure und Tagebuchschreiber, Raucher und Selbstmörder – er nimmt sie alle ernst und schaut ihnen zugleich auf die Finger. Und natürlich den Komponisten. Dass er, der Geige und Klavier spielt, selbst komponiert hat, ist keine Überraschung. In seinem Plattenschrank fand ich, als wir uns kennenlernten, Scheiben, die mein Leben veränderten. Von seinem Bücherschrank will ich gar nicht reden. Bei einem Umzug nahm sich eine Freundin, bereits am Ende ihrer Kräfte, eine Kiste, auf die er „Kleines Lyrik-Regal“ geschrieben hatte. Danach fiel sie aus. 

2009 übersiedelte Hufner nach Berlin, inzwischen wohnt er mit der Frau seines Lebens im Grünen. Er fotografiert (oft auf langen Spaziergängen mit seinem Hund) und verwandelt die Ergebnisse mittels Graphikprogrammen in Kunstwerke. Wer sich mit ihm auf Facebook „befreundet“ hat, kennt sie (und den Hund). Er gestaltet Websites und berät ihre Betreiber. Er hat die Herausforderung der social media angenommen und belebt die entsprechenden Angebote der nmz. Vor allem aber schreibt er ohne Unterlass, und da er Streit nicht fürchtet, stemmt er sich all jenen entgegen, die die Bedeutung von Musik, Kunst und Literatur, ja von Geist für die Menschwerdung schmälern möchten. Was bedeutet, so ziemlich alle aktuellen Transformationsprozesse kritisch unter die Lupe zu nehmen. 

Wenn man 60 wird, graben sich die Sorgenfalten tiefer ein. Ihn belasten das weltweite Erstarken rechtspopulistischer Parteien, Antisemitismus und Fremdenhass, generell der Bedeutungsverlust von Bildung und Kunst, schließlich die Entkernung der Öffentlich-Rechtlichen. Doch er wird weiter dagegen anrennen, mit dem scharfen Schwert des Argumentes.